Pauluskirche (Ulm)

Pauluskirche (Ulm)
Pauluskirche in Ulm von Westen

Die Pauluskirche in Ulm wurde als evangelische Garnisonkirche in den Jahren 1908 bis 1910 nördlich des Alten Friedhofs an der Frauenstraße von dem Architekten Theodor Fischer erbaut. Sie ist heute die Gemeindekirche der Ulmer Paulusgemeinde.

Inhaltsverzeichnis

Baugeschichte

Die Protokolle des Ulmer Rats belegen, dass bereits 1864 Absichten des Königlichen Kriegsministeriums bestanden, in Ulm eine eigene Garnisonskirche zu errichten. Dieses Vorhaben wurde jedoch durch Abgeordnetenkammer und Versammlung der Stände des Königreiches Württemberg abgelehnt, u.a. mit dem Hinweis darauf, dass Gewissensfreiheit bestehe und Militärangehörigen der Kirchgang nicht befohlen werden könne. Erst nach Errichtung einer evangelischen Garnisonskirche in Ludwigsburg und der katholischen Ulmer Garnisonskirche (St. Georg) kam es 1905 zur Ausschreibung eines Wettbewerbs für die Erbauung einer evangelischen Garnisonskirche in Ulm, die 2000 Sitzplätze umfassen sollte. Am 12. Dezember 1906 wurde aus sieben eingereichten Wettbewerbsbeiträgen der unter dem Motto „ain veste bvrg“ stehende Entwurf des Architekten Theodor Fischer ausgewählt. Nach einigen Änderungen am Entwurf begannen am 1. April 1908 die Bauarbeiten; die Grundsteinlegung erfolgte am 20. August 1908 im Beisein des Königs und Herzog Albrechts. Die Einweihung – in Anwesenheit des Königspaares – fand am 5. November 1910 statt.

Architektur

Theodor Fischer errichtete die Pauluskirche im Jugendstil, wobei das Vorbild der 1902 bis 1905 von ihm erbauten Dorfkirche in Gaggstatt erkennbar ist. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass in ihr als einem der ersten sakralen Gebäude in Deutschland für das Gewölbe im Schiff Sichtbeton verwendet wurde. Das weitgespannte Gewölbe ist säulenlos und wird von Betonbindern gehalten, die die Form des sogenannten Fischerbogens tragen. Die beiden über 50 m hohen granatförmigen Türme im Osten sollen an syrische Kuppeln erinnern. Im Westen ist dem Schiff ein zylinderförmiger Gebäudeteil teilweise vorgelagert, der auch die Orgelempore enthält. Auch die Wappentiere an den Säulenbasen der Eingangshalle – der staufische Löwe und der württembergische Hirsch – sind in Beton ausgeführt. Die Rückwand des Altars ist durch ein gemaltes Kruzifix von Adolf Hölzel gestaltet.

Das Innere der Kirche wurde in den 1960er-Jahren erheblich umgestaltet. Unter anderem wurde es mit einem gemusterten Terrazzo-Fußboden, einem Podest im Altarbereich, einem Sprechpult, neuer Bemalung der Ostfront des Schiffs (mit Themen aus der Offenbarung des Johannes) und neuen Fenstern ausgestattet. Viele ursprüngliche Jugendstilelemente gingen dabei verloren, zu denen u.a. von dem Maler Franz Mutzenbecher gestaltete Farbverglasungen gehörten.

Funktion

Militär

Die Pauluskirche dient heute in erster Linie als Gemeindekirche für die evangelischen Gemeindeglieder im Osten von Ulm. Dennoch ist diese Kirche immer auch noch Ort für die Militärseelsorge und für die Gottesdienste der Ulmer Militärgeistlichen.

Vesperkirche Ulm

In der Nachweihnachtszeit wird jährlich für einige Wochen ein besonderes soziales Projekt durchgeführt: die sogenannte Vesperkirche Ulm. Dabei werden für Arme und Bedürftige unter anderem warmes Essen zu einem eher symbolischen Preis, Vesperpakete, medizinische Betreuung (zum Beispiel eine Grippeschutzimpfung), Gespräche zur Krisenbewältigung und Lebensberatung angeboten.

Eingeladen sind alle, die Hilfe benötigen: Kamen anfangs ca. 70 Menschen, sind es mittlerweile über 300 pro Tag (Stand: 2007, Tendenz steigend). Die Veranstalter legen Wert darauf, dass alle, die in der Vesperkirche Hilfe suchen – ob Obdachlose, Prostituierte, Langzeitarbeitslose, Flüchtlinge, Drogensüchtige oder psychisch Kranke – dort nicht nur zu Essen erhalten, sondern auch als Menschen akzeptiert werden und Freunde finden können.

Geleitet wird das Projekt von Gemeindepfarrer Rolf Engelhardt. Unterstützt wird er dabei durch Privatspenden, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Evangelischen Gesamtkirchengemeinde Ulm und einige hundert ehrenamtliche Helfer aller Alters- und Berufsgruppen. Es gibt beispielsweise ein Tages-, Ärzte-, und Küchenteam. Außerdem engagieren sich verschiedene Firmen und Einrichtungen der Ulmer Region (etwa Die Schwäbische Tafel) durch kostenlose Medikamente, Nahrungsmittel und andere – meist kostenlose oder preislich stark reduzierte – Leistungen.

Orgel

Die Orgel der Pauluskirche zählt zu den wenigen erhaltenen großen spätromantischen Instrumenten in Süddeutschland. Sie wurde von der Firma Gebrüder Link (Giengen/Brenz) 1910 als dreimanualiges Instrument auf der zweiten Empore am Westende der Kirche erbaut. Die Orgel zeichnet aus, dass sie Elemente der elsässisch-neudeutschen Orgelreform aufgriff, die eine Synthese zwischen deutschem und französischem Orgeltyp erstrebte. So enthält das Werk des zweiten Manuals (Schwellwerk) Anleihen an ein französisches Récit: Einige Register tragen französischen Bezeichnungen (z.B. Voix céleste 8′), außerdem besitzt das Werk eine für französische Orgeln typische Zungenbatterie (Basson 16′, Trompette harmonique 8′, Clairon 4′). Das Werk des dritten Manuals hingegen erinnert eher an ein Schwellwerk in der Tradition der deutschen Spätromantik. Eine kleine Erweiterung der Orgel folgte bereits wenige Jahre später, ebenfalls durch die Firma Link (u. a. Errichtung eines Schwellkastens für das gesamte vom dritten Manual spielbare Werk).

Der erste Organist der Pauluskirche, Karl Beringer, zeichnete sich durch großes Interesse an der spätromantischen Orgelliteratur seiner Zeit aus. Max Reger, mit dem Beringer persönlich bekannt war, soll die Orgel anlässlich eines Besuchs in Ulm gespielt haben.

1970, als die Orgelbewegung auf ihrem Höhepunkt war, sollte die Orgel nach dem Wunsch der damaligen Gemeindeleitung vollständig abgetragen und durch ein dem Zeitgeschmack eher entsprechendes Instrument am Ostende des Kirchenschiffs ersetzt werden. Dieser Plan wurde jedoch verhindert. Stattdessen wurde die Orgel von Link teilweise umgebaut. Dabei wurde der Jugendstilprospekt entfernt und der Klang zeitgemäß aufgehellt, was bedeutete, dass vor allem Streicherregister durch Mixturen und Aliquotregister ersetzt wurden (u. a. Quinte 11/3′ und Hellmixtur statt Gamba auf I; Oktävlein 1′ und Ersetzung der Progressiv-Harmonika durch eine Scharf-Zimbel auf II.).

Im Zuge einer Überholung im Jahr 1996 durch die Firma Konrad Mühleisen (Leonberg) wurden diese Änderungen wieder weitgehend rückgängig gemacht. Einige Register wurden anhand der Pläne des ursprünglichen Instruments sowie nach Vorbildern in anderen Link-Orgeln der Entstehungszeit (u.a. in der Stadtkirche in Giengen an der Brenz) rekonstruiert (u. a.: Einbau von Cello 8′ im Pedal, von Konzertflöte 8′ (entspr. Flûte harmonique) und Gamba 8′ auf I; Verlagerung von Quinte 11/3′ von I auf II (kein Originalregister); Entfernung von Oktävlein 1′ auf II; Einbau von Flötenprinzipal 8′, Viola 8′ und Violine 4′ auf III, dort Ausbau von Nachthorn 4′ und Nasard 22/3′). Damit wurde die ursprüngliche Abstufung der leitenden Register der Werke mit Prinzipal 8′ auf I, Geigenprinzipal 8′ auf II und Flötenprinzipal 8′ auf III wieder hergestellt. Heute umfasst die Orgel 55 Register sowie drei Transmissionen, verteilt auf drei Manuale und Pedal.

I Hauptwerk
Principal 16′
Principal 8′
Konzertflöte 8′
Doppelgedeckt 8′
Gemshorn 8′
Gamba 8′
Octave 4′
Geigenprincipal 4′
Rohrflöte 4′
Quinte 22/3
Octave 2′
Kornett III–V 8′
Mixtur III 22/3
Mixtur III–V 11/3
Trompete 8′
II Schwellwerk
Lieblich Gedeckt 16′
Geigenprincipal 8′
Flauto amabile 8′
Gedeckt 8′
Aeoline 8′
Voix céleste 8′
Octave 4′
Flauto dolce 4′
Quinte 22/3
Piccolo 2′
Terz 13/5
Quintflöte 11/3
Mixtur IV–V 2′
Basson 16′
Trompette harmonique 8′
Clairon 4′
Tremulant
III Schwellwerk 2
Flötenprincipal 8′
Flöte 8′
Quintatön 8′
Viola 8′
Salicional 8′
Traversflöte 4′
Fugara 4′
Violine 4′
Nasat 22/3
Flageolet 2′
Clarinette 8′
Vox humana 8′
Tremulant
Pedal
Principalbass 16′
Subbass 16′
Gedecktbass 16′
Violonbass 16′
Quintbass 102/3
Octavbass 8′
Bourdon 8′
Cellobass 8′
Choralbass 4′
Flötenbass 4′
Schwiegel 2′
Mixturbass III 22/3
Posaune 16′
Basson 16′
Trompete 8′

Weitere Garnisonkirchen der näheren Umgebung

Literatur

  • Reiner Wertz: Pauluskirche in Ulm, Verlag J. F. Steinkopf, Stuttgart, 1970
  • Ev. Kirchengemeinde Ulm (Hrsg.): Die Pauluskirche in Ulm, Frey-Druck Ulm, 1982
  • Ulrich Hangleiter: Theodor Fischer als Kirchenbauer, Anton H. Konrad Verlag, Weißenhorn, 1999, ISBN 3-87437-424-6
  • Philip Hartmann: Orgel – in: Pauluskirche Ulm, DKV-Kunstführer Nr. 578/0, Deutscher Kunstverlag GmbH, München und Berlin, S. 28–30

Weblinks

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