Picknick am Wegesrand (Roman)

Picknick am Wegesrand (Roman)

Picknick am Wegesrand (russisch Пикник на обочине, piknik na obotschinje), ist ein 1971 entstandener Science-Fiction-Roman von Arkadi und Boris Strugazki.

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

Das Buch beschreibt Lebensepisoden einiger Bewohner der Stadt Harmont, in der vor vielen Jahren der „Besuch“ durch eine fremde Zivilisation stattgefunden hat. Damals ist „die Zone“ entstanden, ein Gebiet, in dem viele Merkwürdigkeiten von den Besuchern hinterlassen wurden. Naturgesetze scheinen teilweise aufgehoben, Artefakte und Fallen bedrohen alle Eindringlinge. Die Hauptfigur des Romans ist Roderic Schuchart (im Original: „Redrick“, russisch „Рэдрик“, kurz „Red“), ein „Schatzgräber“ (Original: „Stalker“, russisch „Сталкер“), einer jener Männer, die unerlaubt unter Einsatz ihres Lebens in die Zone eindringen, dort Artefakte sammeln und sie auf dem Schwarzmarkt zu Geld machen. Vom Leben gezeichnet, begibt er sich schließlich auf die Suche nach einer sagenumwobenen „goldenen Kugel“ in die Zone. Dieser Kugel wird nachgesagt, sie würde „alle Wünsche erfüllen“. Am Ende seines Weges trifft der Protagonist Schuchart auf dieses Objekt und muss erkennen, dass er unfähig ist seine wirklichen Wünsche zu begreifen.

Nachwort Lems

Bemerkenswert ist das Nachwort von Stanisław Lem in der Suhrkamp-Ausgabe des Buches, in dem Lem die Geschichte rekapituliert und diese als „Ausgangsbedingung für ein Gedankenexperiment der ‚experimentellen Geschichtsforschung‘“ analysiert. Lems Erklärung für die Zone widerspricht hierbei dem Grundgedanken eines Picknicks. Er analysiert die Beschaffenheit der Zonen und kommt zu dem Schluss, dass es sich bei ihnen um Unfälle handeln müsse. Nach seiner Interpretation sind unbemannte Raumschiffe auf der Erde havariert und haben ihre Ladung dabei verloren. Schutzmechanismen haben allerdings dafür gesorgt, dass die Artefakte in scharf abgegrenzten Bereichen verblieben. Neben diesem Gedankenspiel beschreibt Lem außerdem noch religiöse Aspekte des Buches und der Zonen.

Stil

Das Buch ist größtenteils aus der Perspektive des Schatzsuchers Roderic Schuchart geschrieben. Dem Leser wird schnell deutlich, dass sich trotz des Unvermögens der Wissenschaft, die Zone und ihre Eigenschaften zu erklären, die Menschen um sie herum rasch mit ihr arrangieren. Schatzsucher dringen in sie ein und verkaufen ihre Beute auf einem florierenden Schwarzmarkt. Die UN ist mit dem Bewachen der Zone beschäftigt, die Wissenschaftler mit ihrer Erkundung. Selbst die Bewohner von Harmont haben gelernt, mit vielen der Seltsamkeiten zu leben. Der Leser lernt diese Welt aus einer „Ameisenperspektive“ kennen, durch jemanden, der dort am Rande der Zone seinen Alltag verbringt. Nur Stück für Stück und eher beiläufig werden die Umstände ihrer Entstehung und ihrer Wirkung auf die Gesellschaft deutlich. Das Hauptaugenmerk des Buches liegt auf den Menschen, die in diesem kleinen Mikrokosmos um die Zone herum leben. Es zeigt die Menschheit in einem sozialkritischen Spiegel, und vieles was dort deutlich wird, offenbart unsere Schwächen.

Über den Besuch

Es wird schon am Anfang des Buches in einem Interview mit einem Doktor Valentin Pillman deutlich, dass die Menschheit dem Phänomen des Besuches und der Zone komplett hilflos gegenüber steht. Man weiß, dass es sechs Zonen gibt. In diesen Zonen ist anscheinend etwas gelandet oder abgestürzt, was möglicherweise auf einer imaginären Linie zwischen dem Stern Deneb im Sternbild Schwan und der Erde durch den Weltraum geflogen ist. Ob aber tatsächlich außerirdische Wesen gelandet, wieder aufgebrochen oder noch immer da sind, kann niemand beantworten. Die Hintergründe der Zone als auch die weitere Bedeutung des „Besuchs“ für die Menschheit bleiben unklar und sind ein weites Feld für Gedankenexperimente. Im Buch selbst werden einige Thesen über den Besuch präsentiert. Eine favorisierte, auf die sich auch der Buchtitel bezieht, lautet: die Wesen sind gelandet und wieder davon geflogen, haben auf der Erde ihren Unrat liegen lassen und die Menschheit als solche wahrscheinlich gar nicht wahrgenommen – analog zu einem Picknick am Wegesrand, bei dem Spaziergänger ihren Abfall liegen lassen und Insekten und Krabbelgetier in ihm keinen erkennbaren Nutzen findet, er aber ungewollte Gefahren für sie mitbringt. Eine weitere These besagt, dass die Zone ein Experiment sein kann, in dem die Schatzgräber und Anwohner nicht mehr als weiße Mäuse in einem Irrgarten sind. Ein ähnliches Motiv findet sich übrigens auch in Das Experiment und als Hypothese in Ein Käfer im Ameisenhaufen derselben Autoren. Auch die Möglichkeit der Auslegung als (möglicherweise verunglückter) Kontaktversuch einer fremden Intelligenz wird erwähnt.

Über die Zone

So viele Merkwürdigkeiten es auch in der Zone geben mag, so gehorcht sie anscheinend einigen Gesetzen:

  • Ihr Areal ist relativ scharf begrenzt, was auch immer in ihr passiert, greift nicht selbstständig aus ihr heraus.
  • Die in der Zone gefundenen Artefakte und die dort auftretenden Phänomene entziehen sich jedem rationalen Versuch sie naturwissenschaftlich zu erklären. Trotzdem können einige der in der Zone gefundene Dinge vom Menschen praktisch genutzt werden.
  • Die Zone nimmt Einfluß auf die Nachkommen von Besuchern – diese zeigen häufig Anormalitäten, obwohl es keinen Hinweis auf die Ursachen einer mutagenen Wirkung durch die Zone zu geben scheint.
  • Von den Einwohnern der Zone, die sich während des „Besuchs“ vor Ort befanden, geht beim Verlassen der Gegend auf unbekannte Weise eine eigenartige Wirkung aus. In Gegenden, in denen Emigranten aus Harmont wohnten, war die statistische Wahrscheinlichkeit von Katastrophen und Unglücken signifikant erhöht. Auch nahmen die Emigranten seltsamen Einfluss auf die Lebenswege der Menschen ihres sozialen Umfeldes in der Fremde. So starben 90% der Kundschaft eines emigrierten Friseurs durch (gewöhnliche) Unfälle. Den beim „Besuch“ anwesenden Bewohnern der Zone ist es deshalb verboten auszuwandern.

Umgang der Gesellschaft mit der Zone:

  • Die Zonen sind unter internationale Beobachtung und Bewachung gestellt.
  • Um die Zone herum sind wissenschaftliche Institute zur Untersuchung errichtet.
  • Die Unterhaltungsindustrie nimmt sich den Phänomenen innerhalb der Zonen anfangs stark an.
  • Neben einem schier unerschöpflichen Untersuchungsobjekt für Wissenschaft stellt die Zone auch die Lebensgrundlage vieler illegaler Schatzsucher dar. Im Umfeld der Zone existiert ein florierender Schwarzmarkt für Artefakte aus der Zone. Artefakte aus der Zone sind begehrte Schmuckstücke und Statussymbole.
  • Um viele Dinge innerhalb der Zone ranken sich Mythen.

Verwendung in anderen Werken

Der Film Stalker

Nach Motiven der Novelle Picknick am Wegrand [sic!] wurde 1979 von Andrei Tarkowski der sowjetische Film Stalker gedreht. Das Drehbuch für den Film stammt wiederum von den Brüdern Strugazki. Der Film bezieht sich nur sehr entfernt auf die Buchvorlage. Die „goldene Kugel“ wurde durch ein sagenhaftes „Zimmer“ ersetzt, das angeblich alle Wünsche erfüllt. Der „Stalker“ (Synonym für den „Wegführer“) führt gegen Bezahlung zwei Männer – einen Schriftsteller und einen Naturwissenschaftler – durch die Zone zu diesem Zimmer. Will man die Werke vergleichen, so kann man in dem Film „Stalker“ lediglich eine Verfilmung des letzten Kapitels des Buches Picknick am Wegesrand sehen, und auch keine werkgetreue. Ein einzelner philosophisch/psychologischer Aspekt wird aus dem Buch, das eigentlich eine gerade Geschichte erzählt, herausgegriffen, die Frage nach dem Unbewussten, und mit hunderterlei von Gedankengängen, Assoziationen, Gedichtsrezitationen aus dem Off und Impressionen von untergegangenen Industrielandschaften vermengt. Von Anfang an diskutieren die drei Männer über dieses sagenumwobene Zimmer. Was passiert, wenn ein Schurke oder Verrückter in dieses Zimmer gelangt? Was bedeutet die Existenz eines solchen Ortes für den Menschen? Kennt der Mensch seine geheimen, unbewußten Wünsche überhaupt und kann er durch Erfüllung dieser wirklich glücklich werden?

Eine erste (später stark geänderte) Variante des Drehbuches wurde unter dem Titel „Die Wunschmaschine“ in der Ausgabe 2/1984 der Zeitschrift „Sowjetliteratur“ abgedruckt, später nachgedruckt in der Anthologie „Lichtjahr 4“ (Verlag Das Neue Berlin, 1985) sowie in Franz Rottensteiner „Polaris 10“ (Suhrkamp Verlag, 1986).

Das Spiel Stalker

Im März 2007 erschien das Spiel S.T.A.L.K.E.R.: Shadow of Chernobyl der ukrainischen Entwickler GSC Game World. Die Handlung wird darin von Harmont in die Umgebung des Reaktors von Tschernobyl des Jahres 2012 verlegt und lehnt sich nur noch indirekt an Buch und Film an.

Das Spiel stellt eine Kombination aus Ego-Shooter und Rollenspiel dar und liefert eine eigene Erklärung für die Entstehung der Zone: Hier wird die goldene Kugel zu einem Monolithen (ähnlich dem in 2001: Odyssee im Weltraum), der den Kern des „Sarkophag“ des Unglücksreaktors ausmacht und ebenfalls alle Wünsche erfüllen kann. Eine Variante des Spiels entlarvt aber auch diese Erklärung als Täuschung.

Ausgaben

  • Arkadi und Boris Strugazki: Picknick am Wegesrand : utopische Erzählung. Mit einem Nachwort von Stanisław Lem. Aus dem Russischen von Aljonna Möckel. Suhrkamp, Frankfurt am Main, erste Auflage 1981, 14. Aufl. 2008) ISBN 3-518-37170-3. (Erste deutsche Ausgabe: Verlag Das Neue Berlin, Leipzig 1976.)

Siehe auch


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