Potenziell unendlich

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Aktuale Unendlichkeit (spätlat. actualis, „tätig“, „wirksam“) und potenzielle beziehungsweise potentielle Unendlichkeit (spätlat. potentialis, „nach Vermögen“) bezeichnen zwei entgegengesetzte Auffassungen des Unendlichen. Zuweilen wird statt „aktualer“ auch der Begriff „aktuelle Unendlichkeit“ gebraucht. Das Begriffspaar beschäftigt die Philosophie allgemein (vgl. Akt und Potenz), und bildet speziell in der Philosophie der Mathematik einen der wichtigsten Streitpunkte.

Es geht dabei um die Frage, wie uns ein unendlicher Gegenstandsbereich, z. B. der Bereich der natürlichen Zahlen, gegeben ist, ob er als fertig vorliegend zu denken ist (aktual unendlich), oder als zu jedem Zeitpunkt endlicher, aber immer größer werdender Bereich (potentiell unendlich).

Die aktuale Auffassung sieht das Unendliche, insofern es fertig vorliegt, auch als etwas wirklich Existierendes an, mit dem man im Prinzip genauso umgehen kann wie mit dem Endlichen, während die potentielle Auffassung das Unendliche stets als Prozess, als Entwicklung sieht und häufig zur Vorsicht im Umgang mit dem Unendlichen mahnt.

Die Rede von unendlichen „Mengen“, die sich auf der Seite der Aktualisten durchgesetzt hat und in Form der axiomatischen Mengenlehre zur wichtigsten Grundlage der Mathematik geworden ist, wird von den Potentialisten kritisiert bzw. abgelehnt. Um die Strittigkeit des Mengenbegriffs deutlich zu machen, wird er im Folgenden gelegentlich mit Anführungszeichen versehen.

Die Auffassung von Aristoteles

Aktuale Unendlichkeit verband Aristoteles nur mit der reinen „Aktualität Gottes“. Thomas von Aquin entwickelte hieraus die christliche Auffassung Gottes als aktualer Unendlichkeit. Der Begriff der „aktualen Unendlichkeit“ geht also davon aus, dass ein unendliches Etwas welches vollständig und mit jedem seiner Teile gegeben ist, tatsächlich existiert.

Für Physik, Mathematik und Philosophie wollte Aristoteles dagegen (im 3. Buch der Physik) nur potentielle Unendlichkeit zulassen: „Überhaupt existiert das Unendliche nur in dem Sinne, dass immer ein Anderes und wiederum ein Anderes genommen wird, das eben Genommene aber immer ein Endliches, jedoch ein immer Verschiedenes und wieder ein Verschiedenes ist.“ Diese Auffassung von Unendlichkeit bedeutet also lediglich die Möglichkeit, immer weiter zu gehen.

Verschiedene Auffassungen in der heutigen Mathematik

Einfachstes Beispiel für eine unendliche Menge ist die Menge \mathbb N=\{1,2,\dots\} der natürlichen Zahlen: Zu jeder natürlichen Zahl kann man einen Nachfolger angeben, es gibt also kein Ende. Jede einzelne dieser Zahlen (und sei sie auch noch so groß) lässt sich vollständig angeben, die Menge \mathbb N mit jedem ihrer Elemente dagegen nicht.

Vom Standpunkt der Finitisten ist deshalb \mathbb N, wie jeder andere unendliche Bereich, nicht als Menge existent. Eine endliche Menge aber existiert, denn sie kann durch Angabe all ihrer Elemente, wie zum Beispiel {1,2,3,4,5}, ausdrücklich angegeben werden. Die „Menge“ \mathbb N ist in diesem Sinne nur potentiell unendlich, da ihr zwar immer neue Elemente hinzugefügt werden können, sie aber niemals fertig vorliegt, da nicht alle ihre Elemente aufgeschrieben werden können.

Ultrafinitisten erheben hier den Einwand, dass auch endliche Mengen wie \{1,2,\dots,n\} (n ist eine beliebige natürliche Zahl) nicht vollständig aufgeschrieben werden können, wenn n so groß ist, dass praktische Gründe dies verhindern - zur Verfügung stehendes Papier, Lebensdauer des Schreibers oder Zahl der Elementarteilchen, die im zugänglichen Teil des Universums sicher unter 10100 liegt.

Für den gemäßigteren Konstruktivisten hingegen ist eine Menge bereits dann gegeben, wenn es einen Algorithmus/Verfahren gibt, mit dem jedes Element dieser Menge in endlich vielen Schritten konstruiert, also angegeben werden kann. Die Menge der natürlichen Zahlen ist in diesem Sinne aktual unendlich, weil sie in Form eines Algorithmus existiert, mit dem man jede natürliche Zahl in endlich vielen Schritten erzeugen kann. „Fertig vorliegend“ ist hier allerdings nicht die Menge als Zusammenfassung ihrer Elemente, sondern nur der Algorithmus, die Operationsvorschrift, nach der sie nach und nach erzeugt wird. Viele Konstruktivisten meiden daher den Begriff „aktual unendlich“ und bezeichnen Mengen wie die der natürlichen Zahlen lieber als „operativ abgeschlossen“, was einfach heißen soll, dass der zugehörige Algorithmus jedes Element der Menge früher oder später erzeugt.

Der Bereich der reellen Zahlen ist der klassische Fall einer nicht operativ abgeschlossenen Menge. Ein Algorithmus kann nur Zahlen produzieren, die mit endlich vielen Zeichen darstellbar sind, und so ist es zwar möglich, endliche oder abzählbare Mengen von reellen Zahlen (für Konstruktivisten sind das regelmäßige Folgen rationaler Zahlen) zu konstruieren (indem man z. B. einfach jeder einen anderen Namen gibt), aber es ist nicht möglich einen Algorithmus anzugeben, der jede reelle Zahl erzeugen kann. Denn der müsste diese in abzählbar vielen Schritten produzieren können, was aber nicht möglich ist, weil die Menge der reellen Zahlen überabzählbar ist (Cantors zweites Diagonalargument). Die „Menge“ der reellen Zahlen, kann also nicht durch einen Algorithmus (oder endlich viele) angegeben werden, sondern man würde unendlich viele Algorithmen benötigen, um alle reellen Zahlen zu erzeugen, und diese unendlich vielen Algorithmen lassen sich ihrerseits nicht durch einen höherstufigen Algorithmus erzeugen (denn auch daraus würde folgen, dass die reellen Zahlen abzählbar sein müssten). Die Algorithmen zur Erzeugung aller reellen Zahlen bilden demnach keinen operativ abgeschlossenen Bereich, sind also schwerlich als „fertig vorliegend“ zu bezeichnen und bilden daher eher eine potentielle Unendlichkeit.

Bemerkenswerterweise ist trotz dieser Schwierigkeiten, die Menge der reellen Zahlen zu erzeugen, auch auf konstruktivistischer Seite vereinzelt die aktuale Auffassung bezüglich der Unendlichkeit der reellen Zahlen anzutreffen: Der Intuitionist Brouwer sieht das Kontinuum als eine Urintuition an, also als etwas dem menschlichen Geist fertig Gegebenes und somit aktual Unendliches. Insofern die Menge der reellen Zahlen die gängige mathematische Modellierung des Kontinuums bildet, lässt auch sie sich dann als aktual unendlich auffassen.

Es gibt somit in der Philosophie der Mathematik neben der Ablehnung aller Unendlichkeitsbegriffe (Ultrafinitismus) die ausschließliche Akzeptanz des potentiell Unendlichen (Finitismus), darüberhinausgehend die Akzeptanz des aktual Unendlichen nur für operativ abgeschlossene Mengen wie die der natürlichen Zahlen (Konstruktivismus), sowie die Akzeptanz des aktual Unendlichen nur für das Kontinuum (Intuitionismus), während der Platonismus das aktual Unendliche durchgehend akzeptiert.

Die klassische Mathematik und gleichzeitig die überwiegende Mehrheit der heutigen Mathematiker akzeptiert das aktual Unendliche für alle Mengen, die sich auf der Grundlage der Axiome der Zermelo-Fraenkel-Mengenlehre definieren lassen: Das Unendlichkeitsaxiom liefert die Existenz der Menge der natürlichen Zahlen, das Potenzmengenaxiom die der reellen Zahlen. Auf dieser axiomatischen Grundlage ergibt sich eine unendliche Vielzahl von Stufen der aktualen Unendlichkeit, die durch unterschiedliche Kardinalzahlen gekennzeichnet sind. Für die Kardinalzahlen lässt sich, ähnlich wie für die reellen Zahlen, kein allgemeiner Entstehungsprozess angeben, der alle erzeugen könnte. Ob die „Gesamtheit aller Kardinalzahlen“ ein sinnvoller Begriff ist, ob man sie als aktuale Unendlichkeit auffassen kann, ist auch unter Mathematikern umstritten. Diese Gesamtheit als Menge im Sinne der axiomatischen Mengenlehre aufzufassen, führt nämlich zu einem logischen Widerspruch (vgl. Cantorsche Antinomie).

Literatur

  • Harro Heuser: Unendlichkeiten. Nachrichten aus dem Grand Canyon des Geistes. Teubner 2007, ISBN 978-3835101197.

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