Austronesische Sprachen

Austronesische Sprachen
Verbreitungsgebiet der austronesischen Sprachen

Die austronesischen Sprachen bilden eine sehr weit verbreitete Sprachfamilie mit insgesamt etwa 1150 Sprachen, die von rund 300 Millionen Menschen gesprochen werden. Nach der Anzahl der Sprachen wird das Austronesische nur noch vom afrikanischen Niger-Kongo übertroffen, nach der Zahl seiner Sprecher ist es die fünftgrößte Sprachfamilie der Erde. Unübertroffen ist das Austronesische in seiner flächenmäßigen Ausdehnung von Madagaskar bis zur Osterinsel, von Taiwan bis nach Neuseeland. Nach Paul K. Benedict bildet es zusammen mit der Sprachfamilie Tai-Kadai die Makrofamilie Austro-Tai. Daneben besteht der Vorschlag von dessen Zusammenfassung mit dem Austroasiatischen zur Makrofamile Austrisch (auf gleicher Ebene wie der Vorschlag von Eurasiatisch nach Joseph Greenberg). Diese Thesen haben jedoch nur wenige Anhänger in der Fachwelt.

Austronesische Sprachen (hellrosa dargestellt) neben den anderen Sprachfamilien der Welt

Inhaltsverzeichnis

Urheimat und Ausdehnung der Austronesier

Nach neueren Forschungsresultaten (z. B. Adelaar 2005) ergibt sich für die Gliederung des Austronesischen eine eigenartige Situation: es gibt acht bis zehn primäre Zweige des Austronesischen, die alle auf Taiwan gesprochen werden und zusammen nur 21 Sprachen mit 330.000 Sprechern umfassen (siehe unten: Klassifikation). Alle anderen austronesischen Sprachen gehören zu einem einzigen Primärzweig, dem Malayo-Polynesischen mit über 1.100 Sprachen und rund 300 Millionen Sprechern. Daraus kann man schließen, dass das Entstehungsgebiet oder zumindest das Zentrum der beginnenden Ausbreitung des Austronesischen die Insel Taiwan und angrenzende Gebiete des chinesischen Festlands – Fujian, Guangdong – waren. Eine 6.000 Jahre alte neolithische Kultur auf Taiwan und dem angrenzenden Festland mit einer spezifischen Keramik wird mit den frühen Austronesiern in Verbindung gebracht. Von dort haben sich die austronesischen Sprachen und ihre Träger samt ihrer agrarischen Kultur in einem Jahrtausende dauernden Prozess ausgebreitet, dessen Hauptstationen sich zeitlich ungefähr verfolgen lassen:

  • Taiwan 4000 v. Chr.
  • Nord-Philippinen 3000 v. Chr.
  • Süd-Philippinen, Sulawesi, Borneo, Timor 2500–2000 v. Chr.
  • Melanesien, Küsten Neuguineas 1200 v. Chr.
  • Java, Sumatra, Malaiische Halbinsel 1000 v. Chr.
  • Marianen, Mikronesien 1000 v. Chr.
  • Hawaii, Ost-Polynesien, Osterinsel 300–400 n. Chr.
  • Madagaskar 700 n. Chr. (von Borneo aus)
  • Neuseeland 1200 n. Chr.

Auf dem chinesischen Festland sind heute keine Spuren austronesischer Sprachen mehr zu finden. Das erklärt sich aus dem kulturellen und sprachlichen Druck, den die Chinesen dort seit über 2.500 Jahren ausüben. Auch auf Taiwan – wo dieser Druck erst später einsetzte – stellen die Austronesier nur noch eine verschwindende Minderheit von 330.000 gegenüber einer chinesisch-sprechenden Bevölkerung von 23 Millionen Sprechern dar.

Proto-Austronesisch

Ein erster Versuch, das Lautsystem und den Wortschatz der austronesischen Ursprache zu rekonstruieren, wurde in den Dreißigerjahren des 20. Jahrhunderts von Otto Dempwolff unternommen („Uraustronesisch“). Vier Jahrzehnte später unternahm Otto Christian Dahl einen weiteren Anlauf zur Rekonstruktion des Proto-Austronesischen (siehe Literatur).

Die Hauptzweige des Austronesischen

Die austronesischen Sprachen werden in der aktuellen Forschung in zehn Hauptzweige klassifiziert. Davon sind neun Zweige nur in Taiwan vertreten („Formosa-Sprachen“, 330.000 Sprecher), der zehnte – nach seiner Sprecherzahl mit Abstand bedeutendste – ist das von Madagaskar bis zur Osterinsel verbreitete Malayo-Polynesische:

  • Atayal-Seediq-Sprachen (2 Sprachen, 90.000 Sprecher; Nordost-Taiwan)
  • Ost-Formosa-Sprachen (4 Sprachen, davon 2 ausgestorben, 130.000 Sprecher; Ost-Taiwan)
  • Puyuma (1 Sprache, 7.000 Sprecher; Ostküste von Taiwan)
  • Paiwan (2 Sprachen, eine ausgestorben, 50.000 Sprecher; südliches und südöstliches Bergland von Taiwan)
  • Rukai (1 Sprache, 8.000 Sprecher; süd-zentrales Bergland von Taiwan)
  • Tsou (2 Sprachen, 6.000 Sprecher; west-zentrales Bergland von Taiwan)
  • Bunun (1 Sprache, 35.000 Sprecher; ost-zentrale Ebene)
  • Western Plains (5 Sprachen, fast ausgestorben; westliche Ebene Taiwans)
  • Nord-West-Formosa (3 Sprachen, eine ausgestorben, 3.000 Sprecher; Nordwest-Taiwan)
  • Malayo-Polynesische Sprachen (1123 Sprachen, 295 Millionen Sprecher)
    • West-Malayo-Polynesische Sprachen (445 Sprachen, 284 Millionen Sprecher)
    • Zentral-Ost-Malayo-Polynesische Sprachen (678 Sprachen, 7,3 Millionen Sprecher)
      • Zentral-Malayo-Polynesische Sprachen (151 Sprachen, 4,5 Millionen Sprecher)
      • Ost-Malayo-Polynesische Sprachen (527 Sprachen, 2,8 Millionen Sprecher)
        • Südhalmahera-Westneuguinea-Gruppe SHWNG (39 Sprachen, 135.000 Sprecher)
        • Ozeanische Sprachen (488 Sprachen, 2,7 Millionen Sprecher)

Zur weiteren Klassifikation des Malayo-Polynesischen (1123 Sprachen mit 295 Mio. Sprechern) siehe den Artikel Malayo-Polynesische Sprachen.

Austronesische Millionen-Sprachen

Es gibt etwa 30 austronesische Sprachen mit mindestens einer Million Sprecher, davon werden 10 auf den Philippinen, 18 in Malaysia und Indonesien und eine auf Madagaskar gesprochen. Alle austronesischen Millionensprachen gehören zur Untergruppe des Malayo-Polynesischen und werden im Artikel Malayo-Polynesische Sprachen aufgeführt.

Literatur

  • Alexander Adelaar, Nikolaus P. Himmelmann: The Austronesian Languages of Asia and Madagascar. Routledge, London 2005. ISBN 0-7007-1286-0
  • Peter Bellwood: Frühe Landwirtschaft und die Ausbreitung des Austronesischen. In: Spektrum der Wissenschaft. Heidelberg 1991,9. ISSN 0170-2971
  • Peter Bellwood: Prehistory of Indo-Malaysian Archipelago. Honolulu 1997. ISBN 0-8248-1883-0
  • Paul K. Benedict: Austro-Thai Language and Culture. HRAF Press, New Haven 1975. ISBN 0-87536-323-7
  • Otto Christian Dahl: Proto-Austronesian. Studentlitteratur, Lund 1973.
  • Otto Dempwolff: Vergleichende Lautlehre des austronesischen Wortschatzes. Zeitschrift für Eingeborenen-Sprachen. Bd. 15, 17 u. 19. Berlin 1934–38.
  • John Lynch: Pacific Languages. An Introduction. University of Hawai'i Press, Honolulu 1998. ISBN 0-8248-1898-9 (Behandelt die ozeanisch-austronesischen, Papua- und australischen Sprachen)

Weblinks


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