Reifenmodell

Reifenmodell

Ein Reifenmodell ist eine spezielle Anwendung der Mehrkörpersimulation (MKS) zur Untersuchung der Fahrzeugdynamik .

Inhaltsverzeichnis

Motivation für Reifenmodelle

Der Reifen nimmt innerhalb des Fahrwerks eine herausragende Rolle hinsichtlich der Fahrdynamik des Fahrzeugs ein. Vorstellbar als ein Körper (Body), der über ein komplexes Gelenk (Joint) mit der Fahrbahn verbunden ist. Der Reifen stellt damit das kraftübertragende Bindeglied zwischen Fahrzeug und Fahrbahn dar.

In der Fahrdynamiksimulation ist man stets auf ein Reifenmodell angewiesen, da wegen der Vielzahl der Einflußgrößen keine messtechnische Erfassung in allen Betriebspunkten möglich ist. Die wesentlichsten Einflußgrößen sind: Schräglaufwinkel, Schlupf, Radlast, Sturz, Fahrgeschwindigkeit, Fahrbahnbeschaffenheit. Hinzu kommen weitere wie z. B. Luftdruck, Profiltiefe, ....

Entsprechend dem Einsatzgebiet des Reifenmodells (Pkw, Land- und Baumaschinen, On-/Offroad) sind bestimmte Reifeneigenschaften von herausragender Bedeutung:

  • Stationäre Reifeneigenschaften bei Pkw-Reifen (z. B. Seitenkraft-Schräglaufwinkel- oder Umfangskraft-Schlupf-Verhalten)
  • Instationäre Reifeneigenschaften (Reifeneinlaufverhalten).
  • Federungs- und Dämpfungseigenschaften des Reifens. Filterung von Bodenunebenheiten.
  • Schwingungseigenschaften
  • Profilgestaltung der Lauffläche hinsichtlich Traktions- oder Wasserverdrängungsvermögen des Reifens.

Dies begründet die Entwicklung von unterschiedlichen Reifenmodellen.

Klassifizierung der Reifenmodelle

Eine Klassifizierung der Reifenmodelle kann nach folgendem Schema erfolgen:

  • Fahrdynamikmodelle (empirischer Ansatz)
    • Magic Formula Tyre
    • Hohenheimer Reifenmodell
    • TMeasy (semi-physikalischer Ansatz)
  • Komfortmodelle (physikalischer Ansatz)
    • SWIFT (Short Wavelength Intermediate Frequency Tyre)
    • Ctire (Comfort tire)
    • BRIT (Brush and Ring Tyre)
    • Dtire (Dynamical Nonlinear Spatial Tire Model)
    • RMOD-K/CD-Tire (Comfort and Durability Tire)
    • FTire (Flexible Ring Tire Model)

Während bei Fahrdynamikmodellen die Kennlinien von Reifen zunächst auf einem Prüfstand gemessen und danach im Modell möglichst genau nachgebildet werden (empirischer Ansatz), basiert die physikalische Modellbildung (Komfortmodell) auf der Kenntnis des genauen physikalischen Entstehungsmechanismus der Reifenkräfte, was im Gegensatz zum Fahrdynamikmodell sehr lange Rechenzeiten zur Folge hat. Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass Fahrdynamikmodelle zur Nachbildung stationärer und instationärer Reifeneigenschaften im fahrdynamischen Frequenzbereich bis 20 Hz geeignet sind (Modellierung niederfrequenter Kräfte und Verformungen). Im Gegensatz dazu vermögen Komfortmodelle die Darstellung hochdynamischer Fahrzustände von 80 Hz und mehr (z. B. Vibrationen auf unebenem Untergrund). Dadurch ist auch eine Vorhersage von nicht messtechnisch gestützten Betriebspunkten möglich. Je nach Aufgabenstellung ist das Reifenmodell auszuwählen, das den besten Kompromiss aus Rechenzeit und Leistungsfähigkeit erzielt.

Parametrisierung und Verifizierung der Reifenmodelle

Ein sehr wichtiger Bestandteil eines Reifenmodells sind die benötigten Parameter, denn jedes Modell ist lediglich so genau wie die eingegebenen Parameter es ermöglichen. Daher ist die Parametrisierung des Reifenmodells von großer Bedeutung. Die Ermittlung der Parameter erfolgt an Reifenprüfständen, die gleichzeitig auch für die Verifizierung des Modells eingesetzt werden. Ein Reifenprüfstand kann als Trommel- oder und Flachbandprüfstand ausgeführt sein.

Bei Trommelprüfständen rollt der Reifen außen oder innen (Innentrommelprüfstand) an einer Trommel ab. Dabei ist zu beachten, dass die Trommel hinreichend groß sein muss, da ansonsten ihre Rundung die Messergebnisse zu sehr beeinflusst. Als Faustregel gilt ein Faktor von 6 x Reifenradius. Bei Flachbandprüfständen rollt das Rad auf einem Stahlband ab, das auf einer geschmierten Unterlage gleitet, so dass die Kontakfläche nicht gewölbt ist. Sowohl die Trommel- als auch die Flachbandprüfstände sind in der Regel mit einer korundartigen Oberfläche versehen, die dem Straßenbelag ähnlich ist. Die Prüfstände benötigen verhältnismäßig hohe Leistungen, um die hohen zu messenden Kräfte dynamisch zu erzeugen. Es werden die vertikalen, longitudinalen und lateralen Kräfte gemessen, sowie Momente um alle drei Achsen des radfesten Koordinatensystems. Dynamisch gemessene Kräfte können für die Bestimmung von Steifigkeiten und Dämpfung des Reifens herangezogen werden. Längskraft- und Seitenkraftverhalten werden bei verschiedenem Schlupf bzw. Schräglaufwinkel gemessen. Die gewonnenen Parameter werden anschließend in das jeweilige Reifenmodell eingesetzt. Die Prüfstände werden auch zur Verifizierung der Reifenmodelle eingesetzt, indem weitere Versuche durchgeführt, deren Ergebnisse als Referenz für das Reifenmodell dienen. Es wird dabei zwischen den stationären Kennlinien und dem dynamischen Reifenverhalten unterschieden. Durch die Verformung der Reifen ergibt sich eine Verzögerung im Kraftaufbau[1], die besonders bei großvolumigen und weichen Reifen, beispielsweise bei Ackerschlepperreifen, eine Rolle spielt.

Es ist allerdings zu berücksichtigen, dass Reifenprüfstände, z.B. Trommelprüfstände die Verhältnisse auf der Strasse nur angenähert nachbilden. Die Ergebnisse von Reifenprüfständen sind somit nur eingeschränkt zur Validierung geeignet.

Literatur

  • Ferhadbegović, B.: Entwicklung und Applikation eines instationären Reifenmodells zur Fahrdynamiksimulation von Ackerschleppern, Dissertation Universität Stuttgart 2009, Shaker Verlag Aachen, Forschungsbericht Agrartechnik VDI-MEG, Nr. 475.
  • Pacejka, H.B.: Tyre and Vehicle Dynamics, Butterworth-Heinemann Oxford, 2002.
  • Gipser, M.: Ftire: ein physikalisch basiertes, anwendungsorientiertes Reifenmodell für alle wichtigen fahrzeugdynamischen Fragestellungen, 4.Darmstädter Reifenkolloqium, Darmstadt, 2002, S.42-68.
  • Hirschberg, W.; Rill, G. and Weinfurther, H.: Tire Model TMeasy, Vehicle System Dynamics, Vol. 45, Issue SUPPL. 1, 2007, pages 101-119.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Ferhadbegoviċ, B.: Entwicklung und Applikation eines instationären Reifenmodells zur Fahrdynamiksimulation von Ackerschleppern (Homepage der Universität Hohenheim)

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Нужно сделать НИР?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Fahrsimulation — Bekannte Rennsimulation für den Amiga: Vroom (1991) Eine Rennsimulation ist ein Computerspiel des Typs Rennspiel, bei dem der Spieler in der Rolle einer der wetteifernden Fahrer ein möglichst wirklichkeitsgetreu simuliertes Fortbewegungsmittel… …   Deutsch Wikipedia

  • Rennsimulation — Bekannte Rennsimulation für den Amiga: Vroom (1991) Eine Rennsimulation ist ein Computerspiel des Typs Rennspiel, bei dem der Spieler in der Rolle einer der wetteifernden Fahrer ein möglichst wirklichkeitsgetreu simuliertes Fortbewegungsmittel… …   Deutsch Wikipedia

  • Fahrzeugdynamik — Die Fahrdynamik ist ein Spezialgebiet der Dynamik, welches sich mit der Bewegung von Landfahrzeugen (Rad , Ketten und Schienenfahrzeugen) befasst. Inhaltsverzeichnis 1 Bewegungsrichtungen 2 Methoden der Fahrdynamik 2.1 Fahrversuch 2.2… …   Deutsch Wikipedia

  • RFactor — Entwickler: Image Space Incorporated Verleger: Image Space Incorporated Publikation: 31. August 2005 Plattform(en) …   Deutsch Wikipedia

  • rFactor — Entwickler …   Deutsch Wikipedia

  • обозначение модели пневматической шины — обозначение модели шины Условное обозначение пневматической шины, указывающее разработчика шины и условный индекс, определяющий рисунок протектора по форме, расположению, размерам и высоте его элементов. Примечание Пример обозначения: модель Я… …   Справочник технического переводчика

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”