Reiner Bastine

Reiner Bastine

Reiner Bastine (* 26. September 1939 in Kassel) ist Psychologe, Psychotherapeut und Mediator sowie Universitätsprofessor für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg (seit 1973, Emeritierung 2004). Zugleich ist er Ausbilder und Supervisor für Psychotherapie und für Mediation.

Bastine ist in Deutschland zunächst durch seine Beiträge zur Pädagogischen Psychologie[1] und zur Sozialpsychologie der Gruppenführung[2] und dann ab 1970 als einer der Wegbereiter der empirischen Psychotherapieforschung und der Integration von Psychotherapie (der sog. schulenübergreifenden Ansätze) bekannt geworden. Später entwickelte er eine umfassende Konzeption der Klinischen Psychologie und begründete die „Allgemeine Klinische Psychologie“. Schließlich förderte er entscheidend die Entwicklung der Mediation in Deutschland.

Inhaltsverzeichnis

Psychotherapie-Integration bzw. schulenübergreifende Psychotherapie

Bastine [3][4] konzipierte zwei verschiedene Ebenen des psychotherapeutischen Handelns, die ausgehend von der klientenzentrierte Psychotherapie von Carl Rogers als therapeutisches Basisverhalten und als differentielle Psychotherapie bezeichnet werden[5]. Differentiell ist die Psychotherapie in zweierlei Weise, einmal in Hinblick auf Unterschiede zwischen den Klienten (dies ist eine konzeptuelle Grundlage der s. g. störungsspezifischen Psychotherapie) und zum anderen in Hinblick auf notwendige Anpassungen an den Verlauf des therapeutischen Prozesses (s. g. adaptive Indikation in der Psychotherapie). Die Integration verschiedener psychotherapeutischer Ansätze betrifft vorrangig das differentielle Vorgehen, das von der Frage ausgeht, welche Zielsetzungen in der Psychotherapie mit welchen therapeutischen Mitteln behandelt werden.

Nach Bastine liegt das Potential für die Integration verschiedener Psychotherapieformen im konkreten psychotherapeutischen Handeln. Danach gibt es weitreichende Übereinstimmungen in den konkreten Zielsetzungen verschiedener Psychotherapieformen und den dafür eingesetzten Handlungs- und Vorgehensweisen. Diese allgemeinen Interventionsstrategien der Psychotherapie werden vorwiegend anhand der Klientenzentrierten Psychotherapie und der kognitiven Verhaltenstherapie entwickelt. Ein Beispiel ist das Amplifizeren, das der Erweiterung des Problem- und Veränderungsbewusstseins des Klienten dient. Dieses therapeutische Ziel kann durch eine Vielzahl unterschiedlicher Vorgehensweisen erreicht werden, z.B. Hinterfragen, evokatives Nachfragen, Erproben neuer Situationen, Vermitteln neuer Erfahrungen, Anbieten von Informationen, Rollenspiele und Rollentausch usw. Insgesamt schlägt Bastine[6] folgende Strategien psychotherapeutischen Handelns vor:

  • Amplifizieren = Erweitern des Problem- und Veränderungsbewusstseins
  • Konkretisieren/Vereinfachen = Aufgliedern komplexer Zielsetzungen in besser überschaubare und veränderbare Einheiten,
  • Konfrontieren = Gegenüberstellen mit den Schwierigkeiten bei gleichzeitigem Verhindern eines Ausweichens oder Vermeidens,
  • Selbstaktivieren = Steigerung der Eigenbeteiligung bei der Analyse und dem Bewältigen von Problemen,
  • Attribuieren = Erarbeiten von Erklärungen für die Entstehung und Veränderung von Problemen,
  • Stabilisiern = Konsolidieren eines erreichten Problembewältigungsniveaus.

Es wird angenommen, dass diese Strategien das therapeutische Handeln in verschiedenen Psychotherapieformen übergreifend kennzeichnen, wobei durchaus unterschiedliche Mittel und Vorgehensweisen eingesetzt werden, um die therapeutischen Ziele zu erreichen.

Angeregt wurde diese integrative Konzeption durch die empirische und vergleichende Psychotherapieforschung (Allen E. Bergin, S.L. Garfield, D.J. Kiesler, H.B. Urban, D.H. Ford), sowie durch die klientenzentrierte (Carl Rogers, Reinhard Tausch, D. Tscheulin), kognitiv-verhaltenstherapeutische (M. Goldfried, Frederick Kanfer, Aaron T. Beck) und systemisch-strategische Psychotherapie (Paul Watzlawick, Jay Haley, Jürgen Kriz). Später ergänzte Bastine[7] diese Konzeption um vier therapeutische Prozesse, die generell für die therapeutischen Veränderungsprozesse bei Klienten verantwortlich sind, nämlich die Emotionsverarbeitung, die kognitive Verarbeitung, die Kompetenzerweiterung und die Selbstakzeptanz.

Klinische Psychologie

In dem zweibändigen Lehrbuch „Klinische Psychologie“ [8] entwickelte Bastine eine umfassende Perspektive zur Klinischen Psychologie. Dies gelang ihm durch drei grundlegende Beiträge:

  • Erstens wurden neben den psychischen Störungen auch die psychologischen Aspekte körperlicher Störungen sowie psychische Krisen als die drei Gegenstandsbereiche der Klinischen Psychologie benannt (die damit zugleich die Verbindungen zu Nachbardisziplinen wie der Gesundheitspsychologie, Psychosomatik, Verhaltensmedizin oder Stressforschung thematisieren).
  • Zweitens wurde die Perspektive der klinisch-psychologischen Intervention über die Psychotherapie hinaus erweitert, so dass seither auch Beratung, andere Behandlungsverfahren und Prävention einbezogen sind.
  • Drittens zeigte Bastine, dass die Allgemeine Klinische Psychologie sich mit den grundlegenden Annahmen über die Gegenstände, Strukturen, Theorien, Methodologien und Methodiken des Faches zu beschäftigen hat beschäftigt. „Allgemein“ wird dabei im Sinne von übergreifend oder generisch verwendet, nicht als vorrangiger Bezug zur Allgemeinen Psychologie, da diese keineswegs gegenüber anderen psychologischen Fächern wie z.B. der Sozialpsychologie, Biopsychologie, Differenzielle Psychologie, Entwicklungspsychologie usw. eine besonders herausragende Stellung beizumessen sei. Mit dieser Konzeption von Allgemeiner Klinischer Psychologie hat Bastine eine Metaperspektive und ein neues Leitbild für das Faches entworfen, die seiner zunehmenden Aufsplitterung in die verschiedenen theoriegebundenen Systeme (Psychoanalyse, Verhaltenstherapie, klientenzentrierte Psychotherapie, Kognitive Verhaltenstherapie, Gestalttherapie usw.) einerseits, und in die Vielzahl störungsspezifischer Ansätze andererseits entgegenwirkt. Die inzwischen sehr ausdifferenzierten störungsspezifischen Ansätze werden der ergänzenden „Speziellen Klinischen Psychologie“ zugeordnet.

Aufgabe der Allgemeinen Klinischen Psychologie ist die konzeptionelle Fundierung der zentralen Themen des Faches, also der Definition klinisch-psychologischer Phänomene, der Erklärung ihrer Entwicklung und Verursachung (Ätiopathogenese), ihrer Klassifikation, Diagnostik und Intervention (Prävention, Therapie, Rehabilitation). In Bastine (1998) werden sechs zentrale inhaltliche und methodologische Merkmale der Allgemeinen Klinischen Psychologie postuliert:

  • die psychologische Perspektive als zentrale Leitlinie des Erkenntnisinteresses,
  • die Einbettung psychischer Probleme in biologische und soziale Kontexte,
  • die Entwicklungsperspektive (vor allem als Spannungsverhältnis zwischen Veränderung und Stabilität sowie als „Klinische Psychologie der Lebensspanne“),
  • die normative Orientierung,
  • die Konzeption klinisch-psychologischer Kausalbeziehungen als prinzipiell komplex und dynamisch (als Wirkungsgefüge oder Kausalnetze) und schließlich
  • keine einseitige, sondern vielmehr plurale methodologische empirische Orientierung des Faches.

Mediation

Seit Anfang der 90er Jahre gehört Bastine zu den Pionieren der Mediation in Deutschland. Seine Beiträge liegen in verschiedenen Bereichen, beispielsweise in der Etablierung der Mediation in der Praxis, in der Aus- und Weiterbildung sowie der Evaluation und empirischen Erforschung der Mediation. Dabei sind zahlreiche Publikationen entstanden, darunter die beiden „klassischen“ Mediationsbücher Scheidung ohne Verlierer (2002) und Mediation: Vom Konflikt zur Lösung (2006), die mit dem amerikanischen Mitbegründer der Mediation, John M. Haynes (1932-1999) und anderen verfasst wurden. Schwerpunkt dieser Arbeiten von Bastine ist das Verständnis der psychologischen Dynamik sozialer Konflikte und die Konsequenzen, die daraus für die Mediation als Vermittlungsverfahren zu ziehen sind[9][10]. In der Mediation wird ein wichtiger Beitrag zur Prävention gravierender Beziehungsprobleme und der Entwicklung psychischer Störungen gesehen. Außerdem gehört Bastine zu den wenigen in deutschsprachigen Raum, die die Familienmediation empirisch erforscht und ihre Verbreitung und Handhabung in der Praxis untersucht haben.

Literatur

  1. Linsenhoff, A., Bastine, R. & Kommer, D. (1980). Schulenübergreifende Perspektiven in der Psychotherapie. Integrative Therapie, 4, 302-322.
  2. Bastine, R., Fiedler, P., Grawe, K., Schmidtchen, St., Sommer, G. (Hrsg.) (1982), Grundbegriffe der Psychotherapie. Weinheim: edition psychologie.
  3. Bastine, R. (1986). Psychotherapie-Integration: Entwicklung und Stand. In A. Schorr (Hrsg.), Psychologie Mitte der 80er Jahre (S. 232-244). Bonn: Deutscher Psychologen Verlag.
  4. Bastine, R. (1998), Klinische Psychologie, Band I (3. Aufl.; 1. Aufl. 1984), Stuttgart: Kohlhammer.
  5. Bastine, R. & Ripke,L. (2004). Mediation im System Familie. In G. Falk, P. Heintel & E.E. Krainz (Hrsg.), Handbuch Mediation und Konfliktmanagement. (S. 131-145). Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften.
  6. Bastine, R. (2006). Mediation. In Ch. Steinebach (Hrsg.). Handbuch der Beratung. (S. 526-536). Stuttgart: Klett-Cotta.

Von und über Reiner Bastine

  1. Auckenthaler, A. , Behr, M. u.a. (1999). Reiner Bastine zum 60. Geburtstag. Gesprächspsychotherapie und Personzentrierte Beratung, 30, S. 159-160.
  2. Bastine, R. (2001). Meine Lehrjahre in Hamburg. In: I. Langer (Hrsg.) Menschlichkeit und Wissenschaft. Festschrift zum 80. Geburtstag von Reinhard Tausch (S.63-67). Köln: GwG.
  3. Köhn, D. & H. Vogel (Hrsg.)(2006). Reiner Bastine zu Ehren. (Schwerpunkt). Verhaltenstherapie und Psychosoziale Praxis, 38, S. 261-336.

Weblinks

Referenzen

  1. Bastine, R., Charlton, M., Grässner, D. & Schwärzel, W. (1969). Konstruktion eines „Fragebogens zur direktiven Einstellung“ von Lehrern (FDE). Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie, 1, 176-189.
  2. Bastine, R. (1972). Gruppenführung. In: C.F. Graumann (Hrsg.), Handbuch der Psychologie, Band 7/2: Sozialpsychologie (S. 1654-1709). Göttingen: Hogrefe.
  3. Bastine, R. (1974). Auf dem Weg zu einer integrierten Psychotherapie. Psychologie heute, 53-58.
  4. Bastine, R. (1976). Ansätze zur Formulierung von Interventionsstrategien in der Psychotherapie. In: P. Jankowski,D. Tscheulin, H.-J. Fietkau & F. Mann (Hrsg.), Klientenzentrierte Psychotherapie heute (S. 193-207). Göttingen: Hogrefe.
  5. Tscheulin, D. (1976). Ein Ansatz zu einer differentiellen Gesprächspsychotherapie als Beitrag zur Theoriebildung in der Klientzentrierten Psychotherapie. In: P. Jankowski, D. Tscheulin, H.-J. Fietkau & F. Mann (Hrsg.), Klientenzentrierte Psychotherapie heute (S. 98-109). Göttingen: Hogrefe.
  6. Bastine, R. (1978). Strategien psychotherapeutischen Handelns. In Reimer (Hrsg.), Möglichkeiten und Grenzen der Psychotherapie im psychiatrischen Krankenhaus (S. 59-66). Stuttgart: Thieme.
  7. Bastine, R. (1992). Psychotherapie. In Bastine (Hrsg.), Klinische Psychologie (Band II, S. 179-301).
  8. Bastine, R. (1998), Klinische Psychologie, Band I (3. Aufl.; 1. Aufl. 1984), Stuttgart: Kohlhammer.
  9. Bastine, R. (1995). Scheidungsmediation - Ein Verfahren psychologischer Hilfe. In: Bundeskonferenz für Erziehungsberatung (Hrsg.). Scheidungs-Mediation: Möglichkeiten und Grenzen (S. 14-37). Münster: Votum.
  10. Haynes, J.M., Mecke, A., Bastine, R. & Fong, L. (2006, 2. Aufl.). Mediation: Vom Konflikt zur Lösung. Stuttgart: Klett-Cotta.

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