Richard L. Garwin

Richard L. Garwin

Richard Lawrence Garwin (* 19. April 1928 in Cleveland in Ohio) ist ein US-amerikanischer Experimentalphysiker und wichtiger wissenschaftlicher Berater der US-Regierung.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Garwins Vater war Elektroingenieur und arbeitete als Lehrer an einer technischen Schule und abends als Filmvorführer. Dabei reparierte er auch bald Filmvorführgeräte, Verstärker und Lautsprecher, wobei ihm sein Sohn half, der schon früh ein Elektronik-Bastler und Experte war. Garwin studierte ab 16 Jahren am Case Institute of Technology in Cleveland (Bachelor 1947), wobei er nachts als Filmvorführer arbeitete, und ging an die University of Chicago, wo Enrico Fermi eine große Gruppe brillanter (Graduate) Studenten um sich gesammelt hatte, viele noch mit Erfahrungen aus dem „Manhattan Project“ der Kriegsjahre (in Chicago wurde der erste Kernreaktor kritisch). Garwin schnitt in den notorisch schwierigen Prüfungen zur Zulassung ins Graduate Program mit Bestnoten ab. Er entwickelte bei Fermi Computer (für quantenmechanische Rechnungen) und einen Koinzidenzdetektor und promovierte 1949, also mit erst 21 Jahren. Garwin war danach drei Jahre in Chicago (u.a. entwickelte er Blasenkammern), bevor er 1952 an die IBM- Laboratorien ging. Ein Motiv war, das er nicht gern in großen Experimentatorengruppen arbeitete, die schon damals begannen, die Beschleuniger-Physik zu dominieren. Ein Drittel seiner Zeit erlaubte ihm IBM, sich Themen der nationalen Verteidigung zu widmen. Er blieb dort ab 1967 als Fellow im „Thomas J. Watson Research Center“ in Yorktown Heights in New York bis zu seiner Emeritierung 1993, wobei er nebenbei noch Adjunct Professor an der Columbia University und später an der „Kennedy School of Government“ in Harvard war. Er war auch Direktor des Watson Research Center – vermied aber ansonsten zu große bürokratische Belastung[1] - und dessen „Director of Applied Research“.

Garwin war seit der Eisenhower-Ära in den frühen 1950er Jahren Regierungsberater in Fragen militärischer Technologie und Abrüstung, aber auch z.B. im Gesundheitssystem und zivile Luftfahrt – beispielsweise war er als Mitglied eines Beratungskomitees unter Präsident Richard Nixon verantwortlich dafür, dass keinerlei Anstrengungen mehr in die Entwicklung von Überschall-Verkehrsflugzeugen unternommen wurden. 1962 bis 1965 und 1969 bis 1972 war er Mitglied des „Science Advisory Committee“ des US-Präsidenten und 1966 bis 1969 des Defense Science Board. Er war in der wissenschaftlichen Beratergruppe des „Joint Strategic Target Planning Staff” des US-Militärs und war 1998 in der “Rumsfeld-Kommission”, die die Bedrohung der USA durch Interkontinental-Raketen beurteilen sollte. 1993 bis 2001 war er Vorsitzender der Beratungskommission für Abrüstung und Nichtverbreitung von Kernwaffen des State Departments. Von 1994 bis 2004 „Philip D. Reed Senior Fellow for Science and Technology” am Council on Foreign Relations in New York City, dessen Mitglied er ist. Er war häufig vor Kongressausschüssen als Experte zu den unterschiedlichsten Themen (Nationale Sicherheit, Energiepolitik, Verkehrspolitik usw.). Er ist langjähriges Mitglied der Pugwash-Konferenzen (und Mitglied ihres Rates) und der JASON Defense Advisory Group. 1977 bis 1985 war er im Rat des International Institute for Strategic Studies in London.

Garwin ist als Pugwash-Mitglied ein Befürworter der Abrüstung und der Nichtverbreitung von Kernwaffen. Beispielsweise war er einer der Verantwortlichen „hinter den Kulissen“ für die Atomteststop-Abkommen und in den 1980er Jahren sehr skeptisch gegenüber dem Star-War-Programm (Raketenabwehr aus dem Weltall) von Präsident Ronald Reagan. 2006 sah er eine 50% Wahrscheinlichkeit voraus, das Terroristen in den nächsten 5 Jahren einen nuklearen Sprengsatz in einer US-Großstadt zünden könnten.[2].

Garwin hat über 500 Arbeiten veröffentlicht, schrieb zahlreiche Bücher und hält 45 Patente. Er ist Mitglied der American Physical Society, des IEEE, der American Academy of Arts and Sciences, der National Academy of Sciences (in deren Rat er 2002 wiedergewählt wurde), der National Academy of Engineering (1978) und der American Philosophical Society. 1983 erhielt er den Wright Preis für interdisziplinäre Forschung und 1991 den „Science and Peace“ Preis in Erice. 1996 erhielt er den Enrico-Fermi-Preis, 1996 den „R.V.Jones Foreign Intelligence Award“ und 2003 die National Medal of Science der USA. 2002 erhielt er die „Grande Medaille“ der französischen Akademie der Wissenschaften.

Werk

Garwin ist bekannt für seine frühen Experimente zur Beobachtung der Paritätsverletzung der schwachen Wechselwirkung, die er 1957 mit Leon Lederman und Marcel Weinrich ausführte, in Konkurrenz zu gleichzeitigen Experimenten Valentine Telegdi und C. S. Wu. Telegdi berichtet in seinen Erinnerungen[3], dass Garwin, den er als Experimentator auf eine Stufe mit dem Theoretiker Murray Gell-Mann stellt (beide ebenfalls Mitte der 1950er Kollegen aus Chicago), eine Bemerkung über die Möglichkeit eines solchen Experiments von Lederman in einem Restaurant aufschnappte und sich sofort an die Ausführung machte, wobei die von ihm an das Experiment adaptierte elektronische Apparatur ihrer Gruppe sofort einen großen Vorsprung verschaffte. 1959/60 war er mit Telegdi am CERN an dem Experiment zur genauen Messung des anomalen magnetischen Moments des Muons beteiligt (eine wichtige Vorhersage der Quantenelektrodynamik konnte so bestätigt werden). Daneben arbeitete er auch an Kernwaffen der USA. Schon ab 1950 war er in Begleitung von Fermi in Los Alamos, der ihn selbst aber nicht zur Beteiligung am Projekt der Wasserstoffbombe ermunterte. Edward Teller (ebenfalls ein ehemaliger Kollege von der Universität Chicago) holte Garwin 1951, um ihr Teller/Ulam Design für die Wasserstoffbombe zu testen. Garwin hatte durch seine Arbeit an Teilchendetektoren mit Kammern aus flüssigem Wasserstoff in Chicago die bestmögliche Expertise dafür und war nach Teller der Hauptkonstrukteur der ersten gezündeten Wasserstoffbombe („Mike-Test“ 1952)[4]. Im Sommer 1951 befragte Garwin dazu Experten der verschiedensten Gebiete in Los Alamos und entwickelte daraus, bevor er im Herbst wieder nach Chicago zurückkehrte, das "harte" Designkonzept, das dann weiter ausgearbeitet wurde[5]. Garwin war auch am Corona-Projekt der US-Spionagesatelliten in den 1960er Jahren beteiligt. Bei der 40-Jahr Feier des NRO (National Reconannaissance Office) wurde er als einer der zehn Gründer des Spionagesatellitensystems der USA geehrt.

Schriften (Auswahl)

  • mit Georges Charpak “Megawatts and Megatons – a turning point in the nuclear age ?”, Random House 2001 (erweiterte Fassung des französischen “Feux Follets et Champignons Nucleaires”, 1997)
  • Nuclear Weapons and World Politics, 1977
  • Nuclear Power Issues and Choices, 1977
  • Energy: The Next Twenty Years, 1979
  • Science Advice to the President, 1980
  • Managing the Plutonium Surplus: Applications and Technical Options, 1994
  • mit Georges Charpak, Venance Journe “De Tchernobyl en tchernobyls”, 2005

Weblinks

Anmerkungen

  1. ein Angebot 1960 Chef des Labors zu werden, lehnte er ab
  2. [1]
  3. Oral History Project, Caltech 2002
  4. Garwin selbst sah nie einem Kernwaffentest zu, AAAS 2006
  5. Teller betonte die große Rolle Garwins sowohl in einem Interview 1979 als auch 2001 vor seinem Tod, während er Ulams Rolle herunterspielte.[2]

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