- Satz von Vitali (Maßtheorie)
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Der Satz von Vitali (nach Giuseppe Vitali) besagt die Existenz einer nicht Lebesgue-messbaren Menge. Man bezeichnet jede der durch den (nichtkonstruktiven) Beweis des Satzes von Vitali entstandenen Mengen auch als Vitali-Menge. Deren Existenz wird dabei unter Zuhilfenahme des Auswahlaxioms bewiesen, insbesondere werden sie nicht explizit angegeben. Die Vitali-Mengen gelten als Standardbeispiele für nicht Lebesgue-messbare Mengen.
Inhaltsverzeichnis
Die Bedeutung nicht-messbarer Mengen
Bestimmten Mengen kann eine 'Länge' bzw. ein 'Maß' zugeordnet werden. Dem Intervall [0, 1] wird die Länge 1 zugeordnet und allgemein einem Intervall [a, b], a ≤ b, die Länge b − a. Wenn wir solche Intervalle als Metallstangen auffassen, haben sie ebenso eine wohldefinierte Masse. Wenn die [0, 1]-Stange 1 kg wiegt, wiegt die [3, 9]-Stange 6 kg. Die Menge [0, 1] ∪ [2, 3] ist aus zwei Intervallen der Länge eins zusammengesetzt, und ihre Gesamtlänge ist demnach 2, oder, wenn man es wieder auf Massen bezieht, zwei Stangen mit der Masse 1 ergeben die Gesamtmasse 2.
Dabei stellt sich natürlicherweise die Frage: Wenn E eine beliebige Teilmenge der reellen Achse ist, hat sie dann eine "Masse" bzw. "Länge"? Zum Beispiel können wir uns fragen, was das Maß der rationalen Zahlen ist. Diese liegen dicht in der reellen Achse, und damit ist es zunächst nicht klar, welches Maß man hier vernünftigerweise zuordnen will.
In dieser Situation stellt sich letztlich heraus, dass die sinnvolle Zuordnung das Maß 0 ist - in Übereinstimmung mit dem, was das Lebesgue-Maß liefert, das dem Intervall [a, b] die Länge b − a zuordnet. Jede Menge mit wohldefiniertem Maß wird "messbar" genannt. Bei der Konstruktion des Lebesgue-Maßes (zum Beispiel über das äußere Maß) ist es zunächst nicht klar, ob nicht-messbare Mengen existieren.
Konstruktion und Beweis
Wenn x und y reelle Zahlen und x−y eine rationale Zahl ist, dann schreiben wir x ~ y und sagen, dass x und y äquivalent sind - man kann zeigen, dass ~ eine Äquivalenzrelation ist. Zu jedem x gibt es eine Teilmenge [x] = {y in R : x ~ y} in R, die Äquivalenzklasse von x. Die Menge der Äquivalenzklassen bildet eine Partition von R. Das Auswahlaxiom erlaubt es uns, eine Menge auszuwählen, die einen Repräsentanten jeder Äquivalenzklasse enthält (für jede Äquivalenzklasse [x] enthält die Menge V∩ [x] nur ein einziges Element). Wir nennen V dann eine Vitali-Menge.
Die Vitali-Menge ist nicht messbar. Um das zu zeigen, nehmen wir an, V wäre messbar. Aus dieser Annahme schließen wir, dass die unendliche Summe a + a + a + ... identischer Zahlen a zwischen 1 und 3 liegt - das ist offensichtlich falsch und durch Widerspruch ist die Annahme widerlegt.
Sei nun zunächst q1, q2, ... eine Abzählung der rationalen Zahlen in [−1, 1] (die rationalen Zahlen sind abzählbar). Die Mengen , k = 1, 2, ... sind nach Konstruktion von V paarweise disjunkt, außerdem ist
(Um die erste Inklusion einzusehen, betrachte man eine reelle Zahl x aus [0,1] und einen Repräsentanten v aus V der Äquivalenzklasse [x] und betrachte dann x −v = q für eine beliebige rationale Zahl aus [-1,1] (etwa q = ql), dann ist also x in V l.)
Aus der Definition Lebesgue-messbarer Mengen folgt, dass alle diese Mengen die folgenden beiden Eigenschaften haben:
1. Das Maß ist σ-additiv, das heißt für abzählbar viele paarweise disjunkte Ai gilt
2. Das Maß ist translationsinvariant, das heißt für reelle Zahlen x gilt
.Nun betrachtet man das Maß μ der oben angegebenen Vereinigung. Da μ σ-additiv, ist es auch monoton, das heißt für . Daraus folgt:
Wegen σ-Additivität folgt, da die Vk disjunkt sind:
Wegen Translationsinvarianz gilt für jedes k = 1, 2, ..., μ(Vk) = μ(V). Zusammen mit Obigem erhält man:
Diese unendliche Summe ein- und derselben reellen Konstanten ist nichtnegativ. Falls die Konstante 0 ist, so muss auch die Summe 0 sein und ist daher sicher nicht größer oder gleich 1. Wenn der Term positiv ist, konvergiert die Summe nicht und ist insbesondere nicht kleiner oder gleich 3.
Damit erhält man den Widerspruch, und daher ist V nicht messbar.
Siehe auch
Literatur
- Herrlich, Horst: Axiom of Choice. Springer-Verlag, 2006, Seite 120.
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