Schacholympiade 1936

Schacholympiade 1936

Schach-Olympia 1936 war ein Schach-Länderturnier, das vom 17. August bis 1. September 1936 in München stattfand. Obwohl es keine offizielle Veranstaltung der FIDE war, wurde es vom Großdeutschen Schachbund als Schacholympiade deklariert. Es fand direkt nach den Olympischen Sommerspielen in Berlin statt.

Inhaltsverzeichnis

Hintergrund

Obwohl Deutschland nach der „Machtergreifung“ weiterhin Mitglied des Internationalen Olympischen Komitees blieb, verließ der Großdeutsche Schachbund, der an die Stelle des Deutschen Schachbundes getreten war, die FIDE. Auf Grund der mit den FIDE-Grundsätzen unvereinbaren nationalsozialistischen Ideologie kam es zudem zur Entfremdung von der internationalen Schachgemeinschaft. Beispielsweise waren durch Regelungen der deutschen Regierung nur noch „arische“ Spieler in deutschen Mannschaften erlaubt.

Deutschland war dennoch entschlossen, sich beim Weltschachbund einen besseren Ruf zu verschaffen und bemühte sich um eine Wiederaufnahme. Zur Hundertjahrfeier des Münchner Schachclubs richtete Deutschland eine inoffizielle Schacholympiade aus. Die FIDE teilte ihren Mitgliedern mit, dass ihnen die Teilnahme freistünde. Im Gegenzug hatte der Großdeutsche Schachbund zugesagt, beim geplanten Turnier jüdische Schachspieler in den Länderteams zuzulassen.[1]

Im Vorfeld des Turniers fand ab Anfang 1935 an verschiedenen Orten ein „Olympiatraining“ durch Efim Bogoljubow und Willi Schlage statt. Mehrere Turniere wurden organisiert, um geeignete Kandidaten für die deutsche Mannschaft zu ermitteln: Bad Nauheim (August 1935), Bad Saarow (September 1935), Stadtprotzelten am Main (Dezember 1935 bis Januar 1936), Bad Elster (Mai 1936) Bad Nauheim (Mai 1936) Dresden (Juni 1936), Swinemünde (Juni 1936), Berlin und Nürnberg (Juli 1936).

Zeitgleich mit der inoffiziellen Schacholympiade fand ein großes internationales Turnier in Nottingham statt, wodurch beispielsweise England nicht antreten konnte. Auch die Vereinigten Staaten, die die drei vorherigen offiziellen Schacholympiaden gewonnen hatten, nahmen nicht teil. Argentinien sagte offiziell wegen zu hoher Reisekosten ab, was als stillschweigender Boykott zu verstehen war. Die Niederlande nahmen zwar mit einer zweitklassigen Mannschaft teil, die Zeitschrift des Niederländischen Schachbundes berichtete jedoch nicht über das Turnier. Mehrere polnische Spieler jüdischer Abstammung wollten das Turnier boykottieren, wurden aber von polnischen Schachfunktionären zur Teilnahme gedrängt. Lediglich Savielly Tartakower, der in Nottingham eingeladen war, konnte sich diesem Druck entziehen.

Die schachliche Großveranstaltung erhielt Förderung durch die Stadt München und den bayerischen Ministerpräsidenten Ludwig Siebert. Außerdem warb (der spätere Generalgouverneur im besetzten Polen) Hans Frank, der als Reichsminister ohne Geschäftsbereich amtierte, zusätzliche Mittel beim Propagandaministerium ein.[2]

Turnierablauf

Das Turnier fand in den Hallen des Ausstellungsparks auf der Theresienhöhe statt. Wegen der Sommerhitze war das Turnier für die Spieler sehr anstrengend, und auch die Zuschauerzahlen blieben hinter den Erwartungen zurück, obwohl mit Sonderzügen insgesamt 3.000 Schachinteressierte aus ganz Deutschland zum Turnier transportiert wurden und der Völkische Beobachter täglich auf einer Sonderseite berichtete.

An dem Turnier nahm die damalige Rekordzahl von 21 meist europäischen Nationen mit 208 Spielern teil. Abweichend von der üblichen Regelung, die ein Rundenturnier an vier Brettern vorsah, wurde ein Rundenturnier an acht Brettern gespielt. Insgesamt konnte jede Mannschaft zehn Spieler nominieren. Diese Änderung kam den Deutschen zugute, die zwar über keine absoluten Topspieler, aber eine sehr ausgeglichene Mannschaft verfügten. Andere Nationen hatten Schwierigkeiten, genügend geeignete Spieler aufzubieten, sodass das schachliche Niveau insgesamt nicht sehr hoch war. Die Wiener Schachzeitung sprach sogar von einer „Unmenge jämmerlicher Murksereien“. Insgesamt wurden 1.680 Partien ausgetragen, fast zwei Drittel davon wurden jedoch nicht veröffentlicht und gelten heute als verschollen. Für jede Partie standen zwei Stunden für vierzig Züge, anschließend eine weitere Stunde für jede weitere 20 Züge Bedenkzeit pro Spieler zur Verfügung. Gewinner sollte die Mannschaft mit den meisten Brettpunkten werden. Bei einem Gleichstand sollte die Anzahl der gewonnenen Matches entscheiden.

Pro Runde war ein Team spielfrei. Da außerdem eine Vielzahl von Hängepartien absolviert werden mussten, war die Tabellensituation im Verlauf des Turniers unübersichtlich. Ungarn gewann alle 20 Runden und das Turnier mit 110,5 Punkten, gefolgt von Polen mit 108 und Deutschland mit 106,5 Punkten. Für Ungarn und Polen erzielten Meister jüdischer Herkunft, wie die Steiner-Brüder, László Szabó, Paulin Frydman und Miguel Najdorf, herausragende Ergebnisse.

# Mannschaft Schachspieler
1 Ungarn Géza Maróczy, Lajos Steiner, Endre Steiner, Kornél Havasi, László Szabó, Gedeon Barcza, Árpád Vajda, Ernő Gereben, János Balogh, Imre Kóródy Keresztély
2 Polen Paulin Frydman, Mieczysław Najdorf, Teodor Regedziński, Kazimierz Makarczyk, Henryk Friedman, Leon Kremer, Henryk Pogorieły, Antoni Wojciechowski, Franciszek Sulik, Jerzy Jagielski
3 Deutschland Kurt Richter, Carl Ahues, Ludwig Engels, Carl Carls, Ludwig Rellstab, Fritz Sämisch, Ludwig Rödl, Herbert Heinicke, Wilhelm Ernst, Paul Michel

László Szabó holte am fünften Brett in 19 Partien 16,5 Punkte und erzielte damit die höchste Einzelpunktzahl und als einziger Spieler sowohl eine an jedem Brett vergebene Einzel- als auch Team-Goldmedaille.[3] Das beste Ergebnis am Spitzenbrett erreichte der 20-jährige Paul Keres für Estland mit 15,5 Punkten aus 20 Partien.

# Mannschaft Punkte
1 Ungarn 110.5
2 Polen 108
3 Deutschland 106.5
4 Jugoslawien 104.5
5 Tschechoslowakei 104
6 Lettland 96.5
7 Österreich 95
8 Schweden 94
9 Dänemark 91.5
10 Estland 90
11 Litauen 77.5
12 Finnland 75
13 Niederlande 71.5
14 Rumänien 68
15 Norwegen 64.5
16 Brasilien 63
17 Schweiz 61.5
18 Italien 59
19 Island 57.5
20 Frankreich 43.5
21 Bulgarien 38.5

Folgen

Das Olympiaturnier war sportpolitisch ein Erfolg. Im November 1936 schrieb das British Chess Magazine, das Münchener Länderturnier sei sehr gut organisiert gewesen und bedauerte, dass Deutschland aus der FIDE ausgetreten war.[1] Nach dem Turnier gelang es Deutschland, sich dem Weltschachbund anzunähern und später wieder Mitglied zu werden. Bereits bei der Schacholympiade 1939 durfte Deutschland wieder offiziell teilnehmen.

Da die Schacholympiade in München keine offizielle Veranstaltung war, erhielt sie auch keine numerische Zuordnung wie beispielsweise die Schacholympiade in Turin 2006 als 37. Schacholympiade. Erst 1964 wurden bei einer Schacholympiade mehr Partien gespielt.

In Erinnerung an die gute Organisation des „Schach-Olympia“ vor dem Kriege richtete der Deutsche Schachbund die Schacholympiade 1958 erneut in München aus.

Einzelnachweise

  1. a b Edward Winter, a.a.O.
  2. Ralf Woelk: Schach unterm Hakenkreuz. Politische Einflüsse auf das Schachspiel im Dritten Reich, Pfullingen 1996, S. 66ff. (= Tübinger Beiträge zum Thema Schach 3) ISBN 3-88502-017-3.
  3. Stanisław Gawlikowski: Olimpiady szachowe 1924-1974, Wyd. Sport i Turystyka, Warszawa 1978

Literatur

  • Kurt Richter (Hrsg.): Schach-Olympia München 1936. 2 Bände. De Gruyter, Berlin und Leipzig 1936, 1937 (Reprint: Edition Olms, Zürich 1997. ISBN 3-283-00255-X)
  • Emil Joseph Diemer: Olympische Blitzsiege, Magyar Sakkvilag, Kecskemet 1936
  • Anthony J. Gillam: Munich Chess ‚Olympiad‘ 1936, Chess Players, 2000
  • Mario Tal: Bruderküsse und Freudentränen. Eine Kulturgeschichte der Schach-Olympiaden. PapyRossa Verlag, Köln 2008. ISBN 978-3-89438-393-0. S. 91 - 117

Weblinks


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