Schriftrolle

Schriftrolle
Kompletter Schriftrollensatz des Tanach
Diese Büste aus dem frühen 6. Jahrhundert zeigt eine spätantike Aristokratin (vielleicht Anicia Iuliana) mit einer Schriftrolle als Symbol ihrer paideia.

Schriftrolle (auch Buchrolle, Volumen oder Rotulus) ist die aus einer gerollten Papyrus- oder Pergamentbahn bestehende typische Buchform des Altertums (siehe Antike Schriftrollen). Nur vereinzelt gab es Papier-Rotuli (beispielsweise einen Papierrotulus über die Prozeßauslagen des Stiftes Essen 1353-1355).

Die Rotuli wurden im 4. und 5. Jahrhundert weitgehend durch den Kodex verdrängt, einen gebundenen Block von Pergament- oder Papyrusbögen, der im Wesentlichen der heutigen Buchform entspricht; die Schriftrolle galt aber noch im 6. Jahrhundert als Symbol für klassische Bildung (paideia).

Der antike Rotulus wird wie die Tora seitwärts gerollt, während die mittelalterlichen Rotuli meist von oben nach unten gerollt wurden.

Während im europäischen Mittelalter literarische, liturgische und wissenschaftliche Bücher fast ausschließlich als Kodex hergestellt wurden, waren Rotuli bis ins 14. Jahrhundert für Verwaltungsschriftgut (Abrechnungen, Besitzverzeichnisse, Urkundensammlungen etc.) im Gebrauch.

Im deutschen Mittelalter wurden insbesondere grundherrschaftliche Verzeichnisse als Rotuli geführt. Darauf bezieht sich auch die deutsche Bezeichnung Rodel, Rödel, mit der man überwiegend Urbare bezeichnete. Die Bürgerrolle (auch Bürgerprotokoll, Bürgeraufnahmebuch, libri civium, burbok oder Bürgerbuch) verzeichnete alle Personen mit zuerkannten städtischen Bürgerrechten. Der alemannischen Sprachgebrauch verwendet dafür bis heute synonym den Ausdruck Rodel. Dem Gebrauch von Rotuli für listenartige Verzeichnisse entstammen auch moderne Bezeichnungen wie "Stammrolle", "Musterrolle".

In Süditalien sind Rotuli als liturgische Handschriften für das Exsultet in Gebrauch (Exultet-Rolle). Diese reich illustrierten Handschriften richten Bilder und Text umgekehrt aus, da der Rotulus beim Verlesen über die Kante des Pultes abgerollt wurde, so dass er außen herunterhing. Auf der Außenseite waren dann die Bilder für das Publikum richtig ausgerichtet, während der Lektor sie auf dem Kopf sah.

In England war der Rotulus besonders lange für die Abrechnungen der Sheriffs gegenüber der Zentrale im Gebrauch ('Pipe rolls').

Bis in die frühe Neuzeit gab es vor allem in Benediktinerklöstern die so genannten Totenrotel, die mit aneinandergeklebten Pergamentstücken zum Zwecke des Gebetsgedenkens andere Konvente vom Tod eigener Mönche unterrichteten.

Heute werden nur noch sehr wenige Texte als Schriftrolle ausgeführt, wie dies aus kultischen Gründen nach wie vor bei der jüdischen Tora der Fall ist.

Von hoher Bedeutung für die Bibelwissenschaft war die Entdeckung der Schriftrollen vom Toten Meer.

Literatur

  • Giulio Battelli: Rotolo liturgico, in: Enciclopedia Cattolica X, Città del Vaticano 1953, S. 1399-1402.
  • Guglielmo Cavallo:, Rotoli di Exultet dell'Italia meridionale, Bari 1973.
  • Helmut Hiller und Stephan Füssel: Wörterbuch des Buches. Sechste, grundlegend überarbeitete Auflage. Klostermann, Frankfurt a. M. 2002, ISBN 3-465-03220-9
  • André Jacob: Rouleaux grecs et latins dans l’Italie méridionale, in Recherches de codicologie comparée. La composition du codex en Orient et en Occident. Textes édités par P. Hoffmann. Index rédigés par C. Hunzinger, Paris, École normale supérieure, 1998, S. 69-97.
  • Richard H. Rouse: Roll and Codex, in: Paläographie 1981, hg. v. Gabriel Silagi, München 1982 (Münchner Beiträge zur Mediävistik und Renaissance- Forschung 32), S. 107-123.
  • Leo Santifaller: Über späte Papyrusrollen und frühe Pergamentrollen, in: Fs. für Johannes Spörl, 1965, S. 117 - 133.
  • Birgit Studt: Gebrauchsform mittelalterlicher Rotuli. Das Wort auf dem Weg zur Schrift - die Schrift auf dem Weg zum Bild, in: Vestigia Monasteriensia. Westfalen - Rheinland - Niederlande, hg. v. Peter Johanek, Mark Mersiowsky u. Ellen Widder, FS f. Wilhelm Jansen, Bielefeld 1995 (Studien z. Regionalgeschichte 5) , S. 325-350.
  • Michaela Zelzer: Von der Rolle zum Codex, in: Text als Realie, hg. v. Karl Brunner, Gerhard Jaritz, Wien 2003 (Sitzungsberichte d ÖAW-PH 704; Veröffentlichungen des Instituts für Realienkunde des Mittelalters und der Frühen Neuzeit 18), S. 9-22.
Ein Römer liest eine Schriftrolle. Von einem Sarkophag im Garten der Villa Balestra.

Weblinks


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