Schülervorstellung

Schülervorstellung

Präkonzepte, auch vorunterrichtliche Vorstellungen bzw. Schülervorstellungen, sind eine besondere Form von Alltagstheorien, nämlich Konzepte, die ein Lernender (z. B. Schüler, Student) zu einem Phänomen besitzt, bevor dieses mit einer wissenschaftsanalogen Methode (z. B. im Unterricht) überprüft und ggf. in Richtung eines fachwissenchaftlich korrekten Konzepts verändert wurde.

Präkonzepte sind jedoch nicht auf Kinder beschränkt, sondern kommen fast überall dort vor, wo Menschen auf neue Phänomene treffen, für die sie eine persönliche Erklärung benötigen, ohne dabei das wissenschaftliche Konzept zu kennen. Präkonzepte stellen also eine besondere Form von Hypothese dar, die jedoch vom Betroffenen nicht mehr als Vermutung, sondern vielmehr als schlüssiges (vermeintlich richtiges) Konzept angesehen wird.

Inhaltsverzeichnis

Problematik

„Der wichtigste Faktor, der das Lernen beeinflusst, ist, was der Lernende schon weiß…“

Schülervorstellungen sind die Basis, auf denen Schüler ihr Wissen aufbauen und mit denen Lernende neue Wahrnehmungen interpretieren. Die Denkweisen, die Schüler haben, können sehr heterogen sein und daher ist ihr Verständnis zu einem Thema auch oft verschieden und manchmal sogar vom wissenschaftlichen Standpunkt aus gesehen falsch.

Da die meist fehler- oder lückenhaften "Selbsterklärungen" für den Betroffenen selbst ausreichend plausibel erscheinen und sich dazu oft über einen längeren Zeitraum subjektiv bewährt haben, sind sie nur sehr schwer durch neue Konzepte zu ersetzten, selbst wenn diese den korrekten Sachverhalt beschreiben. Gerade Schüler machen unbewusst einen großen Unterschied zwischen der Schule ("wo ich für gute Noten machen muss, was von mir erwartet wird") und der "wirklichen Welt" (in der sich die vermeintlich realen Dinge abspielen).

So erleben Lehrer oft, dass Schüler einen Sachverhalt scheinbar erfasst und gelernt haben, da sie ihn im Unterricht oder in einer Prüfung/Klassenarbeit korrekt darstellen können, aber bei einem nur leicht veränderten Kontext (Klassenfahrt ins Museum etc.) wieder auf ihr altes (subjektiv bewährtes) Präkonzept zurückgreifen. Dies führt häufig zu Missverständnissen seitens der Lehrkraft, der seine Schüler dann oft für "lernresistent", "unverbesserlich" oder gar für "unbegabt" und "dumm" hält.

Herkunft von Präkonzepten

  1. Alltagserfahrungen im Umgang mit Phänomenen wie Bewegung, Wärme, Licht und dergleichen.
  2. Alltagssprache
  3. Gespräche im Alltag, Lesen von Büchern, Konsumieren von Produkten der Massenmedien
  4. Vorangegangener Unterricht
  5. Kognitive Fähigkeiten: Grad der durch geistige Reifung oder Lernen entwickelten Fähigkeit in Modellen denken zu können.

Didaktische Verfahren

Bei dem Versuch, den Schüler von seinen Alltagserfahrungen und Erklärungen zur wissenschaftlichen Sichtweise ‚umzupolen’ stößt man auf einen großen Widerstand. Schüler ‚wollen’ die eigene Sichtweise nicht ändern und lassen ihre eigenen Vorstellungen nicht so schnell los. Ein geschicktes Vorgehen ist notwendig, um den Lernenden von den ‚Misskonzepten’ auf die wissenschaftlich korrekten Konzepte umzuformen.

Diese Schwierigkeiten haben verschiedene Gründe:

  • Eine Sichtweise aufzugeben ist nicht leicht. Man hat das Gefühl, etwas verstanden zu haben und muss nun sein Konzept revidieren.
  • Die Änderung der Sichtweise hängt nicht nur von der logischen Einsicht, sondern auch von emotionalen Faktoren ab. Der Lernende muss zuerst zugeben, dass die eigene Sichtweise falsch ist, um dann das Richtige lernen zu können. Dies führt auch dazu, dass Schüler uns vielleicht verstehen, aber nicht glauben wollen.

Versucht der Lehrende nur Wissen an die Schüler zu vermitteln, ohne auf deren Vorstellungen einzugehen, so kann es sein, dass die Schüler eine gute Schulnote bekommen (durch Auswendiglernen), jedoch kein tiefergehendes Verständnis des Inhalts und eine Verbindung zum bereits vorhandenen Wissen erlangen. Nach der Konstruktivismus-Theorie von Fuest und Kruse ist Lernen die Reorganisation und Erweiterung menschlicher Konstrukte. Entscheidend für Lernprozesse sind nicht nur die Informationen, die in den Lerninhalten enthalten sind, sondern auch die Verarbeitung des Lernenden.

Konzeptwechsel

Der Weg von den Alltagsvorstellungen (allgemeiner von den vorunterrichtlichen Vorstellungen) zu den wissenschaftlichen Vorstellungen wird heute in der Regel als Konzeptwechsel bzw. Konzeptwandel gesehen. Die große Anzahl von Untersuchungen zu Schülervorstellungen und ihre Änderung durch Unterricht hat klar erwiesen, dass sich Vorstellungen in aller Regel nicht einfach auslöschen lassen. Ein solches Auslöschen ist meistens auch gar nicht sinnvoll. Denn viele der Vorstellungen, die Schüler in den Unterricht mitbringen, sind nicht schlicht „falsch“, sondern sie haben sich bislang in Alltagssituationen bestens bewährt.

Es haben sich die vier folgenden Bedingungen als entscheidend dafür herausgestellt, ob ein Konzeptwechsel bzw. -wandel eingeleitet werden kann:

  • Die Schüler müssen mit den bisherigen Vorstellungen unzufrieden sein;
  • die neue Vorstellung muss ihnen verständlich sein;
  • sie muss von vornherein plausibel sein;
  • sie muss schließlich fruchtbar sein.

Diese vier Bedingungen sind nur ein wissenschaftlicher Orientierungsrahmen, der schwer in der Praxis umzusetzen ist. Schwierig ist das deshalb, weil die Unzufriedenheit, die eine Voraussetzung ist, erst entsteht, wenn der wissenschaftliche Hintergrund vorhanden ist. Das ‚Einleuchten’, die Verständlichkeit und die Plausibilität werden erst dann erreicht, wenn die wissenschaftliche Vorstellung völlig durchschaut worden ist.

Im Unterricht kann man einen Konzeptwechsel durch folgende Ansätze erreichen:

  • Anknüpfen: Ausgangspunkt sind die Alltagserfahrungen der Schüler. Es wird versucht, auf dieses Basiswissen aufzubauen, indem an Erfahrungen angeknüpft wird. Der Lernende wird langsam an die wissenschaftlichen Erkenntnisse herangeführt.
  • Umdeuten: Die Alltagsvorstellungen der Schüler werden nicht als falsch bezeichnet. Es wird lediglich gesagt, dass der Schüler den richtigen Gedankengang hätte, aber sich falsch ausgedrückt hat. Auf diesem Weg wird der Schüler zum richtigen Gedankengang geführt.
  • Konfrontieren: Hier werden die verschiedenen Vorstellungen gegenübergestellt und der Schüler somit in einen kognitiven Konflikt gebracht. Der Schüler soll sich mit den Vorstellungen auseinandersetzen, um mit Hilfe des Lehrers das Richtige zu erkennen.

Der Konzeptwechsel ist mit dem Aufwand von sehr viel Zeit und Geduld verbunden. Fraglich ist, ob man mit den vorhandenen Klassengrößen, vorgegebenen Lehrplänen (die zeitlich bearbeitet sein müssen) und anderen Hindernissen die individuellen Vorstellungen der Schüler kennen und in die Aktivitäten des Unterrichts einbeziehen kann. Schließlich gibt es nach Fuest und Kruse so viele eigene und unvorhersehbare Lernwege, wie es Lernende gibt.

Die Aufgabe des Lehrers ist es, die Schülervorstellungen zu erfassen und den Unterricht auf sie abzustimmen, damit dem Lerner der Weg zu einem wissenschaftlichen Blick geebnet wird.

Visualisierung von Präkonzepten

Um auf die individuellen Präkonzepte innerhalb einer Lerngruppe eingehen zu können, sind Methoden notwendig, welche die Präkonzepte sowohl für den Lehrer, als auch für den Lerner bewusst werden lassen.

Hierfür eignet sich prinzipiell eine Hypothesenbildungsphase wie sie im Rahmen des Forschend-entwickelnden Unterrichts angewendet wird. Leider wird hierbei nur ein Teil der Präkonzepte einer Lerngruppe transparent.

Eine Umfassende Evaluation der Präkonzepte kann durch die Anwendung von Concept-Maps erreicht werden, die von jedem Lerner individuell angefertigt und dann im Plenum verglichen werden, um somit die Summe aller möglichen Hypothesen der Lerngruppen abzubilden.

Beispiele für Präkonzepte

Ein typisches Beispiel für Präkonzepte von Kindern im Bereich der Optik sind "Sehstrahlen". Gibt man Kindern eine schematische Abbildung mit einem Kopf incl. Auge und einer davor befindlichen Blume in die Hand und fordert sie auf den Sehvorgang einzuzeichnen, dann wird ein gewisser Anteil der Kinder einen Strahl malen, der vom Auge weg zur Blume führt und von dieser wiederum ins Auge reflektiert wird. Der vom Auge wegführende Strahl ("Sehstrahl" oder "Blick") entspricht dem Konzept des Kindes, dass beim Sehvorgang vermeintlich "etwas vom Auge ausgehen muss".

Im Bereich des Chemieunterrichts kann zum Beispiel das Präkonzept, eine chemische Umsetzung könne Materie vernichten und verschwinden lassen, das Verständnis behindern:

  • Kerzen, Spiritus oder Benzin ver-brennen vollständig,
  • Feuer ver-nichtet Gegenstände,
  • Kohle ver-glüht fast vollständig,
  • Wasser / Aceton ver-dunstet und existiert dann nicht mehr,
  • Metalle werden durch Säuren zersetzt und verschwinden für immer oder
  • Fettflecken werden ent-fernt und das Fett verschwindet.
  • Energie als Materie mit Stoffeigenschaften (Energie entsteht und verflüchtigt sich)

Oft liegen diese Fehlvorstellungen daran, dass die Produkte in den o. g. Fällen für den Schüler / für das Kind nicht unmittelbar erkennbar sind und das Edukt einfach "verschwunden" ist.

Literatur

  • Sumfleth, Elke (1988): Lehr- und Lernprozesse im Chemieunterricht. Das Vorwissen des Schülers in einer kognitionspsychologisch fundierten Unterrichtskonzeption.. Frankfurt am Main: Verlag Peter Lang
  • Burger, Joachim (2001): Schülervorstellungen zu Energie im biologischen Kontext : Ermittlungen, Analysen und Schlussfolgerungen. Ein Beitrag zur Verminderung von Lernschwierigkeiten im Biologieunterricht der Sekundarstufen durch vermehrte Berücksichtigung der Schülervorstellungen zu "Energie im biologischen Kontext" in konstruktivistischer Lernumgebung, Dissertation, Bielefeld

http://bieson.ub.uni-bielefeld.de/volltexte/2003/188/pdf/0044.pdf

Weblinks


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