- Sieben Linden
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Das Ökodorf Sieben Linden ist eine sozial-ökologische Modellsiedlung und Lebensgemeinschaft in der Altmark im Bundesland Sachsen-Anhalt. Es versteht sich als Modell- und Forschungsprojekt für eine zukunftsorientierte Lebensweise, in der Arbeit und Freizeit, Ökonomie und Ökologie, Individuum und Gemeinschaft, weltoffene und dörfliche Kultur in kleinen Lebenskreisen zu einem Gleichgewicht finden. Das Ökodorf ist darüber hinaus auch Teil eines weltweiten Netzwerks von Ökodörfern, dem „Global Ecovillage Network“.
Inhaltsverzeichnis
Geschichte
Ende der 1980er Jahre wurde in der Broschüre Selbstversorgung als Selbstbestimmung die Vision einer autofreien Siedlung beschrieben, in der die Menschen wieder Zeit und Interesse füreinander haben und in Harmonie miteinander und mit der Natur leben. Die Idee eines "selbstversorgten, ökologischen Dorfes" wurde 1989 in Heidelberg von Menschen aus dem Kreis der Zeitschrift ÖKODORF-Informationen weiterentwickelt. Die ersten Interessenten fanden sich und suchten über Zeitungsanzeigen weitere Interessenten.
Noch im selben Jahr fanden die ersten Treffen zur Gründung eines ökologischen Dorfes statt. Daraus hat sich der Freundeskreis Ökodorf e.V. gebildet, der mittlerweile 250 Mitglieder in ganz Deutschland hat. Ab 1992 versuchte man, das Konzept eines "Ökodorfes" zu realisieren. Als möglicher Standort wurde das frühere Dorf Stresow, ausgesucht. Dieses war zu Zeiten der DDR niedergerissen worden, da es sich zu nahe an der Grenze befand. Die damalige Bürgermeisterin der Gemeinde, auf deren Gemarkung sich das ehemalige Dorf befand, war an einer Wiederbesiedlung des verschwundenen Dorfes sehr interessiert. Auch das entsprechende Regierungspräsidium war bereit, die erforderliche Genehmigung zu erteilen, sodass die Bauvorhaben scheinbar realisiert werden konnten. Unter anderem die Weigerung der Besitzer, das Land zu verkaufen, führte jedoch dazu, dass Stresow als Standort scheiterte.
1993 wurde auf der Gemarkung der Gemeinde Groß Chüden bei Salzwedel in Sachsen-Anhalt ein provisorisches Projektzentrum zur Vorbereitung der Dorfplanung errichtet. Seitdem lebte dort eine ständig wachsende Zahl von Ökodorflern gemeinschaftlich zusammen. Zuvor waren die Initiatoren und Unterstützer dieses Projektes über das ganze Bundesgebiet verstreut gewesen. Allerdings konnte vorerst nur eine sehr kleine Gruppe in das geplante Ökodorf einziehen, da der größte Teil der Interessenten am heimischen Alltag gebunden war. 1997 wurden schließlich doch ein Standort für das vorgesehene Ökodorf gefunden: das Gelände An den Bronsbergstücken beim Dorf Poppau, einem Ortsteil der ehemaligen Gemeinde Bandau. Seit Frühjahr 1997 entsteht in der Nähe von Poppau auf einem mittlerweile 77 Hektar großen Stück Land das Ökodorf “Sieben Linden”.
Der Filmemacher Michael Würfel hat vier Monate in Sieben Linden verbracht und während dieser Zeit eine ausführliche Filmdokumentation über das Leben in dieser Gemeinschaft produziert. Seit September 2007 lebt er auch in Sieben Linden. Ein weiterer Film wurde von Andi Stiglmayr produziert. Dabei handelt es sich um einen Kinofilm mit dem Namen Menschen Träume Taten.
Infrastruktur
1999 wurde ein wichtiger Teil der Infrastruktur (Energie, Wege, Pflanzenkläranlage, Feuerlösch-Bade-Biotop-Teich) geschaffen und die alte Hofstelle nach ökologischen Kriterien wieder aufgebaut. Sie dient jetzt als Regionalzentrum, Seminar- und Gästehaus und Treffpunkt für die Gemeinschaft und beherbergt auch die Büros, eine Food-Coop, eine Schmuckschmiede, ein Atelier für Malerei und Gestaltung, eine Kneipe und das ArtDepot. Ein Amphitheater bietet Platz für kulturelle Feste im Freien. Im Jahre 2000 wurden die ersten Wohnhäuser gebaut. Diese Häuser im Niedrigenergiestandard bieten Wohnraum für ca. 20 Personen in Familien und Wohngemeinschaften.
Seitdem wurden die Häuser im Wesentlichen in Strohballenbauweise gebaut. Ein zweigeschossiges Strohballen-Wohnhaus wurde 2004 fertig gestellt und ist gleichzeitig das erste Haus, das mit Strohballen als genehmigtem Baustoff errichtet wurde. Dieses Haus wurde in reiner Handarbeit nur unter Verwendung von regionalen Baustoffen wie Rundholz, Stroh, Lehm und anderen sowie Recyclingmaterialien gebaut. 2005 wurde der der Bau eines dreigeschossigen Wohnhauses in verputzter Strohballen-Ständerbauweise als erstes in dieser Größe in Europa für ungefähr 20 Menschen (drei Wohngemeinschaften und zwei Apartments / ca. 500 m² Wohnfläche) fertiggestellt. Gefördert wurde dies durch das Regionen-Aktiv-Programm. Siedler, die noch keinen Platz in einem Wohnhaus haben, leben in Bauwagen. 2003 entstand die Holzwerkstatt die auch eine Selbsthilfewerkstatt enthält. Derzeit entsteht ein Wohnhaus mit gemischter Dämmung (Hanf und Strohballen) in spiralförmigem Grundriss und mit einem sog. "Warmen Kern".
Die Bewohner bauen ihre Häuser eigenständig, müssen dabei aber die Standards einhalten, die die Grundeigentümerin, die Siedlungsgenossenschaft Ökodorf eG, festgelegt hat. So dürfen beispielsweise nur gesundheits- und umweltverträgliche Baustoffe verwendet werden. Energie, die zur Raumheizung und zur Erzeugung von Warmwasser verwendet wird, darf nur aus erneuerbaren Energiequellen gewonnen werden.
Inzwischen wurden in Sieben Linden auch mehrere Betriebe eingerichtet: Die Holzwerkstatt, das eurotopia-Verzeichnis, Schmuck & Stein, Uga's Obstbaumschule, Gemeinschaftsberatung und Kooperative Pferde.
Bevölkerungsstruktur
Mitte 2006 leben in Sieben Linden ca. 80 Erwachsene und 30 Kinder, die fast ausschließlich aus Westdeutschland kommen. Unter den Erwachsenen sind die meisten mittleren Alters. Im nahegelegenen Dorf Poppau wurde ein größerer Hof gekauft, in dem nochmals etwa 15 Personen leben, die zu der Gemeinschaft gehören. In den nächsten 10-20 Jahren soll das Dorf auf ca. 300 Bewohner anwachsen.
Fast alle Bewohner leben und arbeiten im Dorf als Handwerker, als Gärtner, in der Selbstversorgung, als Angestellte des Vereins „Freundeskreis Ökodorf e.V.“ im Bereich Bildung (gefördert vom paritätischen Bildungsverband), Kultur, Öffentlichkeitsarbeit, als Kindergärtner, als Freiberufler; im Heilungsbereich, als Seminarleiter, als Künstler, etc.
Organisation
1991 wurde der gemeinnützige Freundeskreis Ökodorf e.V. gebildet. In einem Rundbrief, der alle zwei Monate erscheint und die bundesweit insgesamt ca. 300 Mitglieder über den aktuellen Stand des Projekts informiert. Weitere Anliegen des Vereins sind die Öffentlichkeitsarbeit, die Vernetzung ähnlicher Projekte und das Engagement für eine nachhaltige Regionalentwicklung in der Altmark. Zusammen mit dem Paritätischen Bildungswerk bietet er außerdem ein Seminarprogramm an.
Die gemeinsamen Zielvorstellungen der Siedler werden organisatorisch durch die 1993 gegründete Siedlungsgenossenschaft Ökodorf e.G., zusammengefasst, die als Grundeigentümerin und als oberste Selbstverwaltungseinheit im Dorf fungiert. Alle erwachsenen Bewohner von Sieben Linden sind Mitglieder dieser Genossenschaft und zahlen nach Selbsteinschätzung 70-90 Euro pro Monat für Wasser, Strom, Brennholz und die Nutzung der Gemeinschaftsräume. Im Jahre 1996 und 2000 erhielt die Siedlungsgenossenschaft Ökodorf e.G. die ersten größeren öffentlichen Anerkennungen durch die Verleihung der Tatorte-Preise “für die Entwicklung und Realisierung einer sozialökologischen Modell-Siedlung im ländlichen Raum.” (Die Preise wurden verliehen von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt und dem Deutschen Institut für Urbanistik). 2004 hatte die Genossenschaft ca. 60 Mitglieder. Diese setzen sich mit eigenem Geld und mit eigener Arbeit für die Entwicklung des Projektes ein. Außerdem fungiert Ökodorf e.G. als Eigentümerin des Geländes von Sieben Linden und auch des ehemaligen Projektzentrum in Groß Chüden. Außerdem existiert darüber hinaus noch die Wohnungsgenossenschaft SiebenLinden eG, die für die Organisation des Wohnungsbaus zuständig ist. Ihre Mitglieder sind automatisch auch Mitglieder in der Siedlungsgenossenschaft. Sieben Linden eG ist Eigentümer von zwei großen Wohnhäusern und einem Mehrfamilien-Strohballenhaus im Ökodorf.
Aus der Ökodorfinitiative heraus wurde die Freie Schule Altmark als staatlich anerkannte Ersatzschule mit angeschlossener Kindertagesstätte gegründet. Sie befindet sich in Depekolk, 25 km von Sieben Linden entfernt. Seit Juni 2002 betreibt der „Freie Schule Altmark e.V.“ einen Waldkindergarten in Sieben Linden, in den die Kinder des Dorfes und der Umgebung gehen.
Alltag
Entscheidungsfindung
Das gemeinschaftliche Leben findet darüber hinaus seinen Ausdruck in regelmäßigen Treffen, wo gemeinsam im Konsens entschieden, wo Konflikte besprochen, wo Ermutigung und Kritik ausgetauscht werden. Insgesamt ist die politische Struktur des Dorfes sehr basisdemokratisch aufgebaut.
So lautete der Leitsatz des ersten Ökodorf-Konzeptes folgendermaßen: "Wir suchen Menschen, die in der Gemeinschaft ihre Individualität entfalten wollen, d.h. sich einen eigenen Verantwortungsbereich suchen, innerhalb dessen sie selbst entscheiden, gestalten, sich weiterentwickeln und verwirklichen können."
Beim Entscheidungsmodell gibt es insgesamt folgende fünf Organe: Die Kleingruppen (Arbeitsgruppen und Nachbarschaften), den Visionsrat, die Vollversammlung, die Geschäftsführungssitzung (GFS) und den Vereinsvorstand. Die Aufgabenverteilung sieht folgendermaßen aus: Entscheidungen in Sachfragen werden in mehreren kleinen Gruppen nach dem Konsensprinzip getroffen. Dinge die alle betreffen, werden von allen Dorfbewohnern in der Vollversammlung in Form eines Plenums diskutiert und abgestimmt wobei jeder mit 'Ja', 'Nein', 'Enthaltung' oder Veto stimmen kann. Ein Antrag gilt nur dann als angenommen, wenn kein Veto und mindestens zwei Drittel Ja-Stimmen vorliegen. Damit hat jeder die Möglichkeit, Entscheidungen in Form eines Vetos zu blockieren sofern er damit nicht leben kann, dann muss der Antrag erneut beraten werden. Bei der zweiten Vollversammlung, auf der ein Antrag besprochen wird, kann dann das Veto ignoriert werden. Damit kann ein Veto nicht langfristig blockieren.
Soziales
Ihr Geld verdienen die Bewohner durch selbständige Arbeit oder auch durch Jobs im Dorf, vereinzelt leben sie aber auch von Arbeitslosengeld oder von der Rente. Außerdem sind die Dorfbewohner angehalten, Teile der anfallenden reproduktiven Arbeiten innerhalb des Dorfes ehrenamtlich zu erledigen. Zu diesen gehören unter anderem Putzdienste, Haus-, Wald- und Gartenbau. Außerdem werden im Ökodorf einige FÖJ-Stellen angeboten.
Gemüse wird in den jeweiligen Gärten der Bewohner angebaut. Das Obst kommt von den Bäumen, die sich auf dem Gelände des Ökodorfs oder in den benachbarten Alleen befinden. Zurzeit muss beides auch noch auswärtig hinzugekauft werden, da die Eigenproduktion noch nicht das gesamte Dorf versorgen kann. Im Dorf existiert auch ein Naturkostladen. Der biologische Anbau wird zurzeit aber noch von der konventionellen Landwirtschaft beeinträchtigt, die in der unmittelbaren Nähe des Dorfes noch betrieben wird. Innerhalb von Sieben Linden ist das Essen in öffentlichen Küchen/Plätzen ausschließlich vegetarisch, das Mittagessen zum Großteil vegan. Sofern einzelne Bewohner nicht auf Fleisch verzichten wollen, beschaffen sie sich dieses außerhalb des Dorfes oder bereiten sich dieses in privaten Küchen. Es existiert eine zentrale Küche, die den größten Teil der Einwohner versorgt.
Trinkwasser wird aus zwei Brunnen gewonnen, die sich im Dorf befinden. Obwohl Tierhaltung zwar generell nicht angestrebt wird, befinden sich auf dem Gelände drei Pferde, die der Arbeit im nahegelegenen Wald dienen, und einige Meerschweinchen. Das Thema "Nutztierhaltung" ist innerhalb des Dorfes zurzeit ein heftiger Konfliktpunkt, der immer wieder zu kontroversen Diskussionen führt. Eine Übereinkunft konnte darin geschaffen werden, dass weder innerhalb des Dorfes noch außerhalb, also im Auftrag von Sieben Linden, Tiere geschlachtet werden dürfen.
In einem sog. Forum[1], das als Kommunikationsmethode dient, wird versucht Konflikte möglichst konstruktiv ausgetragen und mit diesen möglichst spielerisch umzugehen.
Mit "Die Bahn bleibt" e.V. und "Keine Putenmast" e.V. wurden zwei Initiativen gebildet.
Versorgung und Entsorgung
Die Heizung erfolgt durch Holz. Die Bauwagen, in den einige Bewohner leben, haben eigene Öfen, die Wohngebäude werden zentral von einem modernen Holzvergaserofen versorgt. Das Brennholz wird im eigenen nahe gelegenen Wald geschlagen oder hinzu gekauft.
Durch Sonnenenergie in Form einer Solaranlage zur Warmwasserbereitung und Photovoltaikanlage mit Netzeinspeisung produziert das Ökodorf im Jahresmittel weit mehr Strom als es verbraucht. Gegenwärtig wurde deswegen der Anschluss an das öffentliche Stromnetz erweitert. Der Netzstromverbrauch wird mit Greenpeace energy als Ökostromhändler abgerechnet, wodurch regenerative Anlagen gefördert werden.
Gekocht wird zur Zeit noch mit fossilem Gas aus der Propangasflasche, angestrebt wird eine Versorgung mit Biogas, das eine eigene Biogasanlage aus der Rotte von organischen Reststoffen von Küche, Garten, Wiesen, Acker etc. liefern soll.
Trinkwasser wird aus eigenen Brunnen gewonnen. Um den Auflagen der Behörden gerecht zu werden, mussten die Bewohner eine zentrale Filteranlage installieren.
Grauwasser vom Duschen, Waschen und aus der Küche wird in der Pflanzenkläranlage biologisch gereinigt. In den Toiletten sorgen Separations-Toiletten (Trocken-Toiletten) für eine Wasser sparende Entsorgung der "menschlichen Bedürfnisse". Statt den wertvollen "Rohstoff" mit viel Wasser ins Abflussrohr zu befördern, wird er in sieben Linden als hochwertiger Dünger kompostiert und nach drei Jahren für die Baumpflanzungen verwendet.
Auf Müllvermeidung legt man sehr viel Wert. Dennoch anfallender Müll wird sauber nach Sorten in verschiedenen Tonnen getrennt um dann auf konventionellem Weg entsorgt zu werden.
Kultur
Es gibt zahlreiche kulturelle Veranstaltungen wie Theater, Chor, Musikdarbietungen, Vorträge, Meditationen, Feste usw. So gibt es beispielsweise jeden Samstagabend in der sog. TranszendierBar Musik, Tanz und alkoholische Getränke mit moderner Unterhaltungsmusik. Ebenso wird ein Austausch mit Menschen aus der Region und Kontakte zu anderen Gemeinschaften und nichtstaatlichen Organisationen gepflegt.
Es bestehen freundschaftliche Kontakte zu anderen ökologisch geprägten Gemeinschaften wie z.B. ÖkoLeA, Lebensgut Lübnitz und dem ZEGG.
Kritik
Gäste des Ökodorfs Sieben Linden berichten, dass sie unter Rechtfertigungsdruck gerieten, weil sie sich nicht vegan ernähren wollten. Es gibt jedoch auch Bewohner des Ökodorfs, die sich "nur" vegetarisch ernähren oder sogar Fleisch essen. Die Gäste werden vor einem Besuch auf die zu erwartende Ernährung hingewiesen. Außerdem ist es nicht ungewöhnlich, dass Lebensstile in verbindlichen Lebensgemeinschaften hinterfragt werden.
Fußnoten und Einzelnachweise
Weblinks
52.68952777777811.143952777778Koordinaten: 52° 41′ 22″ N, 11° 8′ 38″ O
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