Spitzentransistor

Spitzentransistor

Der Spitzentransistor galt als erster praktisch realisierter Bipolartransistor und wird als Wegbereiter der modernen Halbleitertechnik angesehen. Spätere Untersuchungen zeigten jedoch, dass es sich tatsächlich um einen Thyristor handelte. Die Grundlagen der modernen Halbleitertechnik waren zur Zeit seiner Entwicklung noch nicht erarbeitet und alle Arbeiten basierten zum größten Teil auf Versuch und Irrtum. Das Schaltsymbol des Bipolartransistors erinnert heute noch an den Aufbau des Spitzentransistors.

Nachbau des ersten Transistors von Shockley, Bardeen und Brattain von 1947/48 im Nixdorf-Museum

Inhaltsverzeichnis

Entwicklung

Im März 1942 erhielt das Forschungsteam von Karl Lark-Horovitz an der Universität Purdue von der Militärforschungsbehörde OSRD den Auftrag zur Entwicklung von verbesserten Kristalldetektoren, für den Einsatz in den gerade in der Entwicklung befindlichen Radargeräten. Auch die Firma Bell Laboratories war in der militärischen Radarforschung involviert. Zur Vorbereitung auf die Konkurrenz im Nachrichtensektor nach Kriegsende, gründete Kelly (Forschungsleiter bei Bell) im Juli 1945 unter anderem eine Forschungsgruppe Festkörperphysik, in der die Gruppe Halbleiter von William Shockley geleitet wurde. Die Wissenschaftler in dieser Gruppe waren: Walter Brattain, Gerald Pearson, Hilbert Moore, Robert Gibney. Später trat noch John Bardeen hinzu. Diese Gruppe versuchte, eine Theorie für die Effekte in Halbleitern zu erarbeiten, mit dem Ziel, einen Feldeffekttransistor nach dem Vorbild des Patents[1][2] von Julius Lilienfeld (1925) zu entwickeln. Dabei bauten sie auf den Erfahrungen des Forschungsteams der Purdue-Gruppe auf, deren Spitzendioden bereits in Großserie produziert wurden.[3][4]

Typische Daten eines BTL (Bell Telephone Laboratory)-Spitzentransistors „M1734“ von 1954[5]
Parameter Wert
Lebensdauer 70.000 Stunden
Vibration 100 g max.
Rauschen 54 dB bei 1 kHz
Stromverstärkung in Basisschaltung 0,2…3
Leistungsverstärkung 18 dB
Kollektor-Emitter-Betriebsspannung UCE 100 V
Kollektorstrom IC 40 mA
Verlustleistung Pv 120 mW
Grenzfrequenz f 50 MHz

Bei langwierigen Experimenten mit Elektroden in der nächsten Umgebung des Punktkontaktes dieser Dioden stellten Brattain und Bardeen fest, dass sich der Strom durch die Diode beeinflussen ließ und gleichzeitig noch eine Verstärkung stattfand. Am 16. Dezember 1947 wurde ein demonstrierbares Funktionsmuster, mit einer Leistungsverstärkung von 100-fach, in Betrieb genommen und am 23. Dezember 1947 in Form eines Mikrofonverstärkers der Firmenleitung vorgestellt. Bis zum 22 Juni 1948 wurde die Entdeckung geheim gehalten und danach die technischen Angestellten und das Militär eingeweiht. Überraschenderweise wurde die Erfindung vom Militär von der Geheimhaltung entbunden, so dass sie am 25. Juni 1948 in der Physical Review veröffentlicht werden konnte.[6] Bereits am 30. Juni 1948 wurde in der Tagespresse über die Erfindung berichtet.[7]

Die Großserienproduktion begann 1951 bei der Bell-Firma Western Electric. 1950 wurde, ebenfalls bei Bell, der Flächentransistor entwickelt, der den Spitzentransistor, dank seiner wesentlich höheren Zuverlässigkeit, aus dem unteren Frequenzbereich bis ca. 5 MHz verdrängte. Bis ca. 1956 verteidigte der Spitzentransistor den Frequenzbereich bis ca. fT = 100 MHz, danach wurde er rasch vom moderneren Drift-Transistor verdrängt.[8][9]

Die Tabelle zeigt die technischen Daten eines typischen Spitzentransistors aus den 1950er-Jahren. Die Kenndaten dieser Transistoren sind angesichts der technischen Entwicklung in den folgenden Jahrzehnten natürlich nicht mit modernen Bauteilen vergleichbar. Wegen der neuen Möglichkeiten, vor allem hinsichtlich der Miniaturisierung, wurde jedoch in den Anfangsjahren die komplette Produktion vom Militär aufgekauft.

Aufbau und Eigenschaften

Schnittzeichnung pnp-Spitzentransistor

Auf einer metallischen Grundplatte, die als Basisanschluss dient, wird der dotierte Kristall sperrschichtfrei aufgelötet. Auf den Kristall werden zwei 15 μm dicke Phosphorbronze-Drähte aufgedrückt. Der Abstand dieser Spitzen beträgt dabei ca. 30 μm. Anschließend wird das System im metallischen Montageröhrchen durch das Montageguckloch vergossen und die Drahtspitze, die den Kollektoranschluss bilden soll, durch einen kurzen Stromstoß mit dem Kristall verschweißt. Durch den entstehenden Schichtaufbau bildet sich eine Vierschichtdiode mit Steueranschluss (Thyristor), wodurch eine Stromverstärkung größer als eins in der Basisschaltung erhalten wird. Dies wurde damals noch nicht verstanden und bereitete bei der Verstärkerentwicklung immer wieder Probleme, da es zum ungewollten Schalten des Transistors führen konnte.

Des Weiteren war der Schottky-Kontakt des Emitteranschlusses extrem empfindlich gegen Überlastungen und führte in Hochfrequenzvorstufen öfters wegen elektrostatischen Entladungen zum Ausfall. Auch Feuchtigkeitsprobleme waren durch die aufbaubedingte Kunststoffvergussmasse ein wesentlicher Ausfallgrund. So musste beispielsweise der Hörgeräte-Hersteller Zenith Radio Corporation im April 1953 alle Hörgeräte zurückrufen und wieder mit Miniaturröhren statt Transistoren ausstatten.

Anmerkungen zur Kollektorzone

Da der Spitzentransistor rasch von verbesserten Transistortypen abgelöst wurde, ist seine Erforschung nie befriedigend abgeschlossen worden.[10] Die bekannt gewordene Technik zum Schichtaufbau am Kollektor stellt sich folgendermaßen dar: Durch starke Stromstöße wird der Einkristall unter der Spitze aufgeschmolzen und rekristallisiert dann wieder.[11] Es bleiben aber Fehlstellen im Kristallgitter übrig, die wie eine p-Dotierung wirken und eine Sperrschicht zum Einkristall ausbilden.[12] Dadurch wird auch die Dicke der Basiszone reduziert. Durch die Erhitzung diffundieren gleichzeitig Verunreinigungen aus der Drahtspitze und dotieren dort eine neue, sehr dünne n-Zone.[13] Dadurch ist die Stromverstärkung > 1 in der Basisschaltung erklärbar, die ein 'normaler' Transistor nicht aufweist. Der Prozess ist schwer beherrschbar, was die starke Streuung erklärt und teilweise sogar zum Ausbleiben des Effektes führt (siehe Daten oben). Der Emitter benötigt keine Behandlung und bildet einen Schottky-Kontakt.

Weblinks

 Commons: Spitzentransistoren – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Fußnoten und Einzelnachweise

  1. Patent CA272437: Electric Current Control Mechanism. Erfinder: Julius Edgar Lilienfeld (Veröffentlicht am 19. Juli 1927 (Eintrag beim kanadischen Patentamt).
  2. Patent US1745175: Method and Apparatus For Controlling Electric Currents. Veröffentlicht am 28. Januar 1930, Erfinder: Julius Edgar Lilienfeld.
  3. Henry C. Torrey, Charles A. Whitmer (Hrsg.): Crystal Rectifiers. In: MIT Radiation Laboratory Series. 15, McGraw-Hill Book Company, Inc., New York 1948, S. 443.
  4. Michael Eckert, Helmut Schubert: Kristalle, Elektronen, Transistoren. Von der Gelehrtenstube zur Industrieforschung. Rowohlt Verlag, Hamburg 1986, S. 174ff., ISBN 3-499-17725-0
  5. Kommentar von Bell zum Originaldatenblatt von 1951: The M1734 units average about 20 megacycles. und These frequency figures are quite variable at present.
  6. J. Bardeen, W. H. Brattain: The Transistor. A Semi-Conductor Triode. In: Physical Review. 74, 1948, S. 230–231.
  7. News of the Radio. In: New York Times. 1. Juli 1948, S. 46.
  8. Rudolf Rost, Hans Martin Ernst: Kristalloden-Technik. 2. Aufl. Verlag Wilhelm Ernst & Sohn, Berlin 1956, S.333 (Abschnitt: GTA2/100MHz).
  9. Heinz Richter: Transistor-Praxis. Frankh'sche Verlagsbuchhandlung, Stuttgart 1959, Ergänzungsblatt zu S. 72, OC170/171 u. OC614/615.
  10. Karl Otto, Horst Müller: Flächentransistoren. VEB Verlag Technik, Berlin 1960, S. 32.
  11. J. A. Becker, J. N. Shive: The Transistor-A New Semiconductor Amplifier. In: The Transistor-Selected Reference Material, Bell Telephone Laboratories Inc., New York N. Y., 15. Nov. 1951 (Supplements from Bell-Symposium 17 Sept. 1951), S. 104.
  12. Die Formierung von Germaniumoberflächen In: Rudolf Rost, Hans Martin Ernst: Kristalloden-Technik. 2. Aufl. Verlag Wilhelm Ernst & Sohn, Berlin 1956, S. 176.
  13. Joachim Dosse: Der Transistor. Verlag R. Oldenburg, München 1957, S. 34.

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