- Stonewall Riots
-
Stonewall, kurz für Stonewall-Aufstand oder Stonewall-Unruhen, war eine Serie von gewalttätigen Konflikten zwischen Homosexuellen und Polizeibeamten in New York. Die ersten gewalttätigen Auseinandersetzungen fanden in der Nacht vom Freitag, den 27. Juni zum Samstag, den 28. Juni 1969 ab etwa 1:20 Uhr statt, als Polizeibeamte eine Razzia im Stonewall Inn durchführten, einer Bar mit homosexuellem Zielpublikum in der Christopher Street an der Ecke der 7th Avenue in Greenwich Village.
Da sich dort erstmals eine signifikant große Gruppe von Homosexuellen der Verhaftung widersetzte, wird das Ereignis von der Lesben- und Schwulenbewegung als Wendepunkt in ihrem Kampf für Gleichbehandlung und Anerkennung angesehen. An dieses Ereignis wird jedes Jahr weltweit mit dem Christopher Street Day erinnert (im englischen Sprachraum meist: Gay Pride oder auch Stonewall Day).
Inhaltsverzeichnis
Zusammenfassung
In den Sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts kam es in New York und anderen Städten immer wieder zu gewalttätigen Razzien in Schwulenlokalen. Dabei wurde die Identität der Besucher des Lokals festgestellt (und bisweilen öffentlich gemacht), und es kam zu Verhaftungen und Anklagen wegen anstößigen Verhaltens.
Am 28. Juni 1969 fand eine solche Razzia in der Szene-Bar Stonewall Inn statt, die an diesem Abend auch von zahlreichen Transvestiten und Drag Queens besucht wurde. An diesem Tag sollen sich besonders viele Schwule in New York aufgehalten haben, weil zuvor die Beerdigung eines Schwulenidols stattgefunden hatte: der Schauspielerin Judy Garland. Die Besucher des Stonewall Inn ließen sich das Vorgehen der Polizei nicht gefallen, und die Polizisten wurden gewaltsam vertrieben.
Die Ereignisse führten zu einer breiten Solidarisierung im New Yorker Schwulenviertel, und auch in den Folgetagen wurde den inzwischen verstärkten Polizeitruppen erfolgreich Widerstand geleistet. Erst nach fünf Tagen beruhigte sich die Situation.
Geschichte
Razzien der Polizei in „Schwulenbars“ und Nachtclubs waren ein regelmäßiges Ereignis in der Homosexuellenszene überall in den Vereinigten Staaten bis in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts, als plötzlich derartige Razzien in einschlägigen Etablissements in den größeren Städten deutlich seltener wurden. Es herrscht die Meinung, dass dies eine Folge einer Reihe von Beschwerden vor Gericht und wachsenden Widerstandes der Lesben- und Schwulenbewegung war.
Vor 1965 war es üblich, dass die Polizei die Identitäten aller Anwesenden bei derartigen Razzien erfasste und manchmal in der Presse veröffentlichte, natürlich mit verheerenden sozialen Folgen für die so zwangsweise Geouteten. Gelegentlich wurden auch so viele Kunden, wie in die Polizeifahrzeuge passten, vorläufig festgenommen. Damals rechtfertigte die Polizei die Verhaftungen mit Anklagen wegen Indecency (etwa „Anstößigkeit“ oder „Erregung öffentlichen Ärgernisses“). Dazu zählte man Küssen, Händchenhalten, das Tragen von Kleidung des anderen Geschlechts oder auch nur die bloße Anwesenheit in der Kneipe während der Razzia.
Es ist wichtig, auch den geschichtlichen Kontext vor 1969 und die Veränderung in der Haltung der Menschen in New York gegenüber der homosexuellen Szene und den Rechten von Homosexuellen zu betrachten. 1965 traten zwei wichtige Personen in das Licht der Öffentlichkeit. John Lindsay, ein liberaler Republikaner wurde als Reformer zum Bürgermeister von New York City gewählt. Dick Leitsch wurde ungefähr zur selben Zeit in New York Vorsitzender der Mattachine Society, einer frühen Organisation für die Anerkennung der Rechte von Homosexuellen in den Vereinigten Staaten. Leitsch wurde verglichen mit seinen Vorgängern als vergleichsweise militant eingeschätzt, und er glaubte an Methoden der direkten Aktion, die damals in den 60er Jahren bei anderen Bürgerrechtsgruppen sehr verbreitet waren.
Anfang 1966 änderte sich die Politik der Verwaltung aufgrund von Beschwerden von Mattachine, die Polizei benutze „Lockvogelmethoden“, um Personen auf der Straße wegen des Vorwurfes der „Anstößigkeit“ festzunehmen. Der Polizeichef Howard Leary ordnete an, dass Homosexuelle nicht von verdeckt operierenden Polizisten zu einer Straftat verleitet werden dürften und dass bei Verhaftungen durch Undercoverleute ein Zivilist als Zeuge notwendig sei. Das beendete die Verhaftungen von Homosexuellen wegen dieser Vergehen weitgehend.[2]
Im selben Jahr forderte Dick Leitsch die State Liquor Authority (SLA) bezüglich ihrer Richtlinien heraus, die es erlaubten, einer Bar die Schankerlaubnis für Alkohol zu entziehen, wenn diese wissentlich Alkohol an eine Gruppe von drei oder mehr Homosexuellen ausschenkte. Dick Leitsch veranstaltete ein „Sip in“, d.h. er informierte die Presse über sein Vorhaben, sich mit zwei anderen Schwulen in einer Bar zu treffen. Als der Barmann der bewussten Bar sie abwies, wandten sie sich an die Menschenrechtskommission der Stadt. Daraufhin stellte der Vorsitzende der SLA klar, dass seine Behörde den Ausschank von Alkohol an Homosexuelle nicht länger verbieten würde. Zusätzlich ergaben zwei unterschiedliche Gerichtsentscheidungen, dass für die Rücknahme der Schankerlaubnis „substanzielle Beweise“ nötig waren und dass Küssen unter Männern nicht länger als anstößig galt. Die Zahl von Kneipen mit homosexuellem Zielpublikum wuchs nach 1966 beständig.[3]
Im Jahr 1969 waren „Schwulenbars“ legal, trotzdem wurde im Stonewall Inn in dieser Nacht eine Razzia durchgeführt. Nach dem bekannten Historiker John D'Emilio steckte New York City mitten in einem Wahlkampf um das Amt des Bürgermeisters und John Lindsay, der gerade die Vorwahlen seiner Partei verloren hatte, glaubte, es sei notwendig, in den Kneipen seiner Stadt „aufzuräumen“. Beim Lokal Stonewall Inn gab es gleich eine ganze Reihe von Gründen, warum diese im Visier der Polizei war: Die Betreiber hatten keine Schankerlaubnis, es gab Verbindungen zum Organisierten Verbrechen und man ließ zur Unterhaltung der Gäste spärlich bekleidete Go-Go-Boys auftreten. Damit bot das Lokal Anlass für die Einschätzung, es brächte ein „unordentliches Element“ an den Sheridan Square.[4]
Angeblich spielte auch Rassismus eine Rolle, denn im Stonewall Inn verkehrten viele Schwarze und Latinos. Möglicherweise war die Entscheidung der Polizei, die Razzia auf diese Weise durchzuführen, wie sie letztlich durchgeführt wurde, von der Tatsache beeinflusst, dass die Kundschaft des Stonewall Inn nicht nur homosexuell, sondern dazu noch farbig und daher besonders „verachtenswert“ erschien. Ein großer Teil der Personen, die Widerstand leisteten, waren Afro-Amerikaner und Latinos.
Deputy Inspector Seymour Pine, der die Razzia in dieser Nacht anführte, behauptete, dass ihm befohlen worden wäre, das Stonewall Inn zu schließen, weil es der zentrale Ort gewesen sei, an dem man Informationen über Homosexuelle sammeln konnte, die in der Wall Street arbeiteten. Zuvor gab es einen Anstieg an groß angelegten Diebstählen bei Börsenhändlern der Wall Street, was die Polizei zu dem Verdacht veranlasst hatte, es könnten Homosexuelle in die Diebstähle verwickelt sein, die mit ihrer Homosexualität erpresst wurden.[5]
Die Razzia und die Folgen
Bei dieser Razzia kamen einige Faktoren zusammen, die sie von den Razzien unterschieden, an die sich die Kunden gewöhnt hatten. Eine Woche zuvor war Judy Garland gestorben, eine wichtige kulturelle Ikone, mit der sich viele Homosexuelle identifizierten. Die Trauer über den Verlust gipfelte in der Beerdigung am Freitag, dem 27. Juni, welche von 22.000 Menschen besucht wurde, darunter 12.000 Homosexuelle. Viele der Kunden des Stonewall waren noch immer emotional aufgewühlt, als die Razzia durchgeführt wurde. Historiker streiten darüber, ob es einen Zusammenhang gab oder nicht.
Ein weiterer Umstand, der die Razzia besonders macht, war das Timing. Üblicherweise bekamen die Betreiber der Bar vom Sechsten Bezirk einen Hinweis auf die bevorstehende Razzia. Die Razzien erfolgten in der Regel früh genug am Abend, so dass die Kneipe kurz danach zur Hauptgeschäftszeit ihren Betrieb wieder fortsetzen konnte. Diese Razzia erfolgte viel später als gewöhnlich, um 1:20 Uhr in der Nacht zum Samstag.
Acht Beamte des Ersten Bezirks, von denen nur einer Uniform trug, kamen in das Lokal. Die meisten Kunden konnten ihrer Verhaftung entgehen, da üblicherweise nur solche Personen festgenommen wurden, die keine Ausweispapiere bei sich hatten, Personen, die Kleidung des anderen Geschlechts trugen und einige oder alle Angestellten der Bar.[6]
Die Details, wie genau der Aufstand entflammte, sind uneinheitlich. Eine Quelle behauptet, eine Transgender-Frau namens Sylvia Rivera habe eine Flasche nach einem Polizisten geworfen, nachdem sie von dessen Schlagstock getroffen worden sei.[7] Eine andere Quelle behauptet, dass eine homosexuelle Frau sich dagegen gewehrt habe, in ein Polizeiauto gesteckt zu werden, und damit die umstehende Menge angespornt habe, sich ihr anzuschließen.[8]
Unstrittig ist, dass eine Schlägerei begann, in der die Polizisten schnell überwältigt wurden. Wie betäubt zogen sich die Beamten in die Bar zurück. Der heterosexuelle Folk-Sänger Dave Van Ronk, der zufällig vorbei kam, wurde von den Polizisten ergriffen, in die Bar gezerrt und verprügelt. Doch die Menge ließ nicht locker. Einige versuchten, die Bar anzuzünden. Andere benutzten eine Parkuhr als Rammbock, um die Polizisten zu vertreiben. Die Nachricht von der Schlägerei verbreitete sich wie ein Lauffeuer, und immer mehr Anwohner und Kunden nahe gelegener Bars strömten zum Ort des Geschehens.
Während dieser Nacht griff sich die Polizei zahlreiche weiblich aussehende Männer heraus und verprügelte diese. Allein in dieser Nacht gab es 13 Festnahmen, und vier Polizisten wurden verletzt. Die Zahl der verletzten Protestierer ist nicht bekannt. Es ist jedoch bekannt, dass mindestens zwei Personen, die Widerstand leisteten, von der Polizei schwer verletzt wurden.[9] Die Protestierenden warfen Steine und Flaschen und skandierten „Gay Power!“. Die Zahl der Protestierenden wurde auf 2.000 Personen geschätzt, gegen die 400 Polizisten eingesetzt wurden.
Die Polizei entsandte Verstärkung in Form der Tactical Patrol Force, einer Einheit, die ursprünglich darauf trainiert war, Demonstrationen von Vietnamkriegsgegnern zu bekämpfen. Die Tactical Patrol Force traf ein und versuchte die Menge zu zerstreuen, die einen Regen von Steinen und anderen Wurfgeschossen auf die Polizisten prasseln ließ.
Letztendlich beruhigte sich die Lage, aber die Protestierenden kehrten in der nächsten Nacht zurück. Die Proteste waren weniger gewalttätig als in der ersten Nacht. Kleinere Scharmützel zwischen Protestierenden und der Polizei folgten bis etwa 4:00 Uhr am Morgen. Zum dritten Tag mit Protesten kam es fünf Tage nach der Razzia im Stonewall Inn. An diesem Mittwoch kamen 1.000 Menschen bei der Bar zusammen und verursachten erneut erheblichen Sachschaden. Aufgestauter Zorn und Empörung gegen die Art, wie Homosexuelle seit Jahrzehnten von der Polizei behandelt worden waren, entluden sich.
Das Vermächtnis
Die Kräfte, die lange Zeit vor dem Aufstand unter der Oberfläche gebrodelt hatten, blieben nun nicht länger verborgen. Die Gemeinschaft, die durch homosexuellenfreundliche Organisationen in den Jahrzehnten zuvor geschaffen worden war, bot den idealen Nährboden für die offene homosexuelle Befreiungsbewegung. Ende Juli formierte sich die Gay Liberation Front (GLF) in New York, und Ende des Jahres war sie in vielen Städten und Universitäten des Landes vertreten. Bald darauf wurden weltweit ähnliche Organisationen gegründet, unter anderem in Kanada, Frankreich, Großbritannien, Deutschland, Belgien, den Niederlanden, Australien und Neuseeland.
Im folgenden Jahr organisierte die Gay Liberation Front im Gedenken an den Stonewall-Aufstand einen Marsch von Greenwich Village zum Central Park. Zwischen 5.000 und 10.000 Menschen nahmen an diesem Marsch teil. Damit war die Tradition des Christopher Street Days (CSD) begründet, mit der viele Gay-Pride-Bewegungen seither im Sommer das Andenken an diesen Wendepunkt in der Geschichte der Diskriminierung von Homosexuellen feiern.
Der Stonewall-Aufstand leitete auch eine Neuorientierung in der Schwulenbewegung ein: Während es bis dahin um die Entkriminalisierung von Schwulen und Lesben ging und darum, für Toleranz bei der heterosexuellen Bevölkerungsmehrheit zu werben, steht seit dem Aufstand ein neues Selbstbewusstsein im Vordergrund: Schwule, Lesben, und Transgender sind stolz auf sich selbst, ihre sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität und ihren Lebensstil und machen diesen Stolz (Gay Pride) auch selbstbewusst öffentlich.
Kritik
Gelegentlich wird von Gegnern der Schwulenbewegung der Aufstand vom Stonewall Inn als „Randale von Krawallmachern“ bezeichnet und damit der Kern der Bedeutung der Ereignisse von „Widerstand“ auf „unprovozierte Gewalt“ verschoben. Im englischen Sprachraum hat sich der Begriff „Stonewall riots“ festgesetzt. Der Begriff „riot“ kann übersetzt werden als „Aufruhr“, „Ausschreitung“, „Krawall“, „Lärm“, „Randale“, „Tumult“, „Unruhen“. Wesentlich für Stonewall war der Widerstand gegen die diskriminierende Staatsgewalt, der von der Schwulenbewegung als legitim angesehen wird.
Siehe auch
Literatur
- David Carter: Stonewall: The Riots That Sparked The Gay Revolution. St. Martin's Press, New York 2004, ISBN 0312200250
- John D'Emilio: Sexual Politics, Sexual Communities. The University of Chicago Press, Chicago 1983, ISBN 0415905109
- Martin Duberman: Stonewall. New York 1993. ISBN 0452272068
- Eric Marcus: Making History: The Struggle for Gay and Lesbian Equal Rights, 1945–1990; An Oral History. New York 1993, ISBN 0060167084
- Donn Teal: The Gay Militants: How Gay Liberation Began in America, 1969-1971. New York 1971, ISBN 0312112793
- Scott Bravmann: Queere Fiktionen von Stonewall, in Queer Denken Frankfurt am Main 2003, ISBN 3518122487
Weblinks
- Stonewall was a riot!
- Der Film Stonewall' in der deutschen und englischen Version der Internet Movie Database
- Stonewall, der Film
- Stonewall Veterans Association
Einzelnachweise
- ↑ „We homosexuals plead with our people to please help maintain peaceful and quiet conduct on the streets of the Village — Mattachine“ – David Carter: Stonewall: The Riots that Sparked the Gay Revolution, St. Martin's Press, 2004, ISBN 0-312-34269-1, S. 143
- ↑ D'Emilio, S. 207
- ↑ D'Emilio, S. 208
- ↑ D'Emilio, S. 231
- ↑ Carter, S. 262
- ↑ Duberman, S. 192
- ↑ Duberman
- ↑ D'Emilio
- ↑ Duberman, S. 201–202
Wikimedia Foundation.