Thomasin von zirklaere

Thomasin von zirklaere
Seite aus "Der wälsche Gast" (Heidelberger Handschrift CPG 389, fol. 116r, Mitte 13. Jahrhundert)

Thomasîn von Zerclaere (auch Zirklære, Zirklaria) (* um 1186 im Friaul; † angeblich 1238 in Aquileja) war der Verfasser des monumentalen mittelhochdeutschen Gedichtes "Der wälsche Gast".

Er war ein gebildeter romanischsprachiger Ministeriale aus dem Geschlecht der Cerclaria und seit etwa 1206 Domherr am Hofe des deutschsprachigen Patriarchen von Aquileja, Wolfger von Erla, dem früheren Bischof von Passau und Förderer des Walther von der Vogelweide. Die genauen biographischen Daten sind jedoch ungesichert, bzw. gibt es mehrere mögliche Annahme in der Forschung.

Laut eigenen Angaben (Vers 11709-22, 12228) verfasste er im Winter 1215-16 in nur 10 Monaten das erste monumentale deutschsprachige Lehrgedicht des Mittelalters, "Den wälschen Gast" (Original: Der welhische Gast). Dieses Werk umfasst 14750 Verse und ist in einem bairisch-österreichisches Mittelhochdeutsch geschrieben, mit Einfärbungen die er möglicherweise von den zimbrischen Sprachinseln in Norditalien gelernt hat.[1] Deutsch war nicht die Muttersprache des Norditalieners Thomasîn und so entschuldigt er sich auch beim Leser für sprachliche Unzulänglichkeiten (Vers 67-74). Tatsächlich können seine Reimpaarverse mit der Eleganz und Sicherheit der gleichzeitigen höfischen Erzähldichtung nicht konkurrieren. Trotzdem war das Werk erfolgreich und fand weite Verbreitung: Es ist in 24 Handschriften und Handschriftfragmenten überliefert[2], die überwiegend mit reichen Illustrationen versehen sind. Diese dürften - ein Novum in der mittelalterlichen deutschen Literatur - bereits vom Autor zusammen mit dem Text konzipiert worden sein.

Zielpublikum des Fremdlings aus der Romania (so die Bedeutung des metaphorischen Titels der Dichtung) waren junge Adelige, die im Buch zu höfischen Tugenden ermahnt werden. Der Welsche Gast belehrt über höfische Erziehung, Bildung, Minne, praktische Ethik und ritterliche Tugenden (staete, mâze, milte, reht). Dabei verarbeitete Thomasin vielfach zeitgenössisches lateinisches Schrifttum über Ethik, Philosophie und die Artes liberales. Hof- und Zeitkritik durchziehen das ganze Werk. In diesem Kontext ist noch erwähnenswert, dass Thomasin seine Morallehre aus kosmischen Gesetzmäßigkeiten ableitet und dadurch eine Ethik kreiert, die nicht auf religiösen Wahrheiten aufbaut, sondern fest in Naturgesetzlichkeiten verankert ist. Im achten Buch nimmt Thomasin Bezug auf Walther von der Vogelweide und kritisiert dessen Angriffe auf die bestehende Ordnung und den Papst.[3]

Seine Art bairisches Mittelhochdeutsch zu schreiben und auch seine teilweisen Unsicherheiten dabei, sind jedoch für die historische Linguistik eine hoch interessante Quelle, da sich gerade in dieser Zeit der Kontakt des bairisch-österreichischen Raums mit den romanischsprachigen Gebieten südlich der Alpen intensivierte und sich das Bairische teilweise sogar in davor romanischsprachige Täler ausbreitete. Der Sprachwechsel dieser romanischen Bevölkerung zum Bairischen prägt die südbairischen Dialekte bis heute, mit aus dem romanischen stammenden Vokabular und auch typisch romanischen lautlichen und grammatikalischen Formen. Dieser Prozess kann bei Thomasin praktisch direkt an einem Zeitzeugen analysiert werden. Die südlichen Sprachnachbarn der Baiern waren damals übrigens durchgehen die Alpenromanische Sprachen und nicht die italoromanischen Sprachen der Ebene, und zwar vom Engadin im Westen, über den Vinschgau und Trient bis ins Friaul im Osten, der Heimat Thomasins.

Die älteste überlieferte Version seines Werkes befindet sich heute in der Universitätsbibliothek Heidelberg unter der Signatur Cpg 389.[4]

Literatur

  • Meinolf Schumacher: Über die Notwendigkeit der 'kunst' für das Menschsein bei Thomasin von Zerklaere und Heinrich dem Teichner, in: Ursula Schaefer (Hrsg.): 'Artes' im Mittelalter, Berlin: Akademie Verlag 1999, S. 376-390 ISBN 3-05-003307-X
  • Meinolf Schumacher: Gefangensein – waz wirret daz? Ein Theodizee-Argument des 'Welschen Gastes' im Horizont europäischer Gefängnis-Literatur von Boethius bis Vladimir Nabokov, in: Horst Wenzel / Christina Lechtermann (Hrsg.): Beweg­lichkeit der Bilder. Text und Imagination in den illustrierten Handschriften des 'Welschen Gastes' von Thomasin von Zerclaere, Köln: Böhlau 2002, S. 238-255 ISBN 3-412-09801-9
  • Eva Willms, Thomasin von Zerklaere: Der welsche Gast: Text(auswahl)- Übersetzung- Stellenkommentar, Walter de Gruyter, 2004, ISBN 3110175436, online bei Google Books

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Eva Willms, Thomasin von Zerklaere: Der welsche Gast: Text(auswahl)- Übersetzung- Stellenkommentar, Walter de Gruyter, 2004, ISBN 3110175436, online bei Google Books
  2. Marburger Repertorium: Der Welsche Gast (alle Handschriften)
  3. Bibliotheca Augustana: Thomasîn von Zerklære
  4. Marburger Repertorium: Heidelberg, Universitätsbibl., Cpg 389

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