Tieflochbohren

Tieflochbohren

Tieflochbohren ist eine Spezialbearbeitung in der metallzerspanenden Branche.

Inhaltsverzeichnis

Definition

Tiefbohren, im allgem. Sprachgebrauch hin und wieder Tieflochbohren („lochbohren (pleonasmus) = bohren“ vergl. auch VDI 3210) genannt, bezeichnet im Wortsinne jede Bohrbearbeitung, die ein bestimmtes Verhältnis von Bohrtiefe zu Bohr-ø überschreitet. Dieses Verhältnis liegt in der Metallbearbeitung bei ca. 10 x ø. Im spezialisierten Bereich mit den typischen Tiefbohrverfahren spricht man auch dann vom Tiefbohren, wenn diese Bohrverhältnisse nicht erreicht werden, und das Verfahren nur aufgrund von Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen oder zum Erreichen hoher Maßgüten Verwendung findet.

Es werden zwei grundlegend unterschiedliche Bearbeitungen betrachtet:

  • das konventionelle Bohren mit überlangen Wendelbohrern: Diese Bearbeitung wird zwar auch Tiefbohren genannt, ist aber im Grunde nur eine behelfsmäßige Erweiterung der „normalen“ Rahmenbedingungen des Bohrens mit herkömmlichen Werkzeugen.
  • das Bohren mit speziellen Tiefbohrverfahren: Man unterscheidet zwischen mehreren speziellen Tiefbohrverfahren. Dazu gehören das BTA-System (Boring and Trepanning Association) für größere Bohrabmessungen sowie das ELB (Einlippenbohr)-System für kleinere Durchmesser. Sie zeichnen sich jedoch alle gemeinsam dadurch aus, dass Spezialwerkzeuge in Spezialverfahren eingesetzt werden.

Besondere Merkmale

Tieflochbohren zeichnet sich vorrangig durch zwei Merkmale aus:

Hochdruck-Kühlschmiermittelsysteme
Während herkömmliche Metallbearbeitungsmaschinen mit Regeldrücken von 5 bis 10 bar bei der Innenkühlung arbeiten, werden beim Tieflochbohren Kühlschmiermitteldrücke von bis zu 250 bar verwendet. Dieser hohe Druck ist erforderlich, um ausreichend Kühlschmiermittel durch die Kühlkanäle der Bohrwerkzeuge zu bringen. Weil das Kühlschmiermittel neben den Funktionen des Kühlens und des Schmierens an sich beim Tieflochbohren auch den Transport der Späne bewerkstelligen muss, ist die zur Verfügung stehende Kühlschmiermittelmenge von zentraler Bedeutung.
Beim Tieflochbohren mit sog. Einlippenbohrern (ELB) wird das Kühlschmiermittel innen durch das Werkzeug an die Schneide geführt, umspült diese und transportiert beim Weg aus der Bohrung heraus die Späne ab.
Die Führung des Bohrkopfes an der eigenen Bohrung
Anders als herkömmliche Spiralbohrer zentrieren sich spezielle Tieflochbohrer nicht selbst. Sie benötigen diese Zentrierfunktion nicht, weil sie ihre Ausrichtung an der eigenen Bohrung finden. Das Tiefbohrwerkzeug zentriert also nicht durch eine möglichst zentrische Spitze an der Stirnseite (sprich: am Bohrungsgrund), sondern richtet sich an der zylindrischen Mantelfläche der Bohrung aus. Das Tiefbohrwerkzeug hat hierzu eine definierte Kopfform, die sich mit Hilfe von Gleitleisten unter dem Schnittdruck an der Bohrungswandung anlehnt und dadurch eine sehr exakte Ausrichtung bekommt.

Ein Tiefbohrwerkzeug benötigt deshalb zum Anbohren eine Führung, die im Durchmesser möglichst genau der zukünftigen Bohrung entsprechen soll. Das wird im Regelfall durch Bohrbuchsen erreicht, man kann jedoch auch im Werkstück eine sog. Start- oder Pilotbohrung einbringen. Während beim herkömmlichen Spiralbohrer kleinste Abweichungen in der Symmetrie der Schneiden sofort zu deutlichen Verlaufskurven führt, kann das Tiefbohrwerkzeug durch die Führung an der zylindrischen Mantelfläche sehr große Bohrtiefen erreichen, ohne dabei eine nennenswerte Verlaufskurve zu beschreiben.

Maß- u. Oberflächentoleranzen

Durchmesser
Je nach zu zerspanendem Material können beim Tieflochbohren Maßtoleranzen in den IT-Bereichen 8 oder 7 erreicht werden.
Rundheit
von einem homogenen, spannungsarmen Material ausgehend sind Rundheitstoleranzen von 0,005 mm möglich.
Oberflächen
Speziell beim ELB-Verfahren müssen die Späne durch eine Sicke an der Seite des Werkzeuges nach hinten abgeführt werden. Dabei kann es leicht zu Beschädigungen der Bohrungsoberflächen kommen. So ist die Spanbildung und damit auch das zu zerspanende Material maßgeblich an den erreichbaren Oberflächengüten beteiligt.

Gelingt dies, sind auch in schwer zu bearbeitenden Materialien Oberflächenwerte von Rz 2 bis Rz 4 realisierbar. In bekanntermaßen gut zerspanbaren Werkstoffen können noch bessere Werte erzielt werden. Durch die sich an der Bohrungsmantelfläche anlegenden Gleitleisten des Werkzeugkopfes wird ein zusätzlicher Glätteffekt erzielt, der aber nicht überbewertet werden sollte. Reibungslose Späneabführ und eine optimierte Zerspanung sind vorrangig für gute Oberflächen verantwortlich.

Bohrungsverlauf
Die Abweichung der Bohrung von einer idealen, gedachten Linie nennt man Bohrungsverlauf. Die Ursachen für einen außergewöhnlichen Bohrungsverlauf sind vielfältig. Maschinenfehler, Standzeitgrenzen, Bohrsysteme, Werkstückinhomogenitäten oder Spannungen, aber auch empfindliche Werkstückformen, fehlerhafte Werkzeuge oder verschlissene Hilfsmittel können hier ausschlaggebend sein.

Unter idealisierten Bedingungen (perfekte Werkzeuggeometrie, fehlerfreie Maschine, neue Bohrbuchsen, stabiles Werkzeug (dieser Punkt wird ab 40 x ø zum Hauptthema), homogener, spannungsarmer Werkstoff von nicht allzuhoher Festigkeit, symmetrische Werkstückmaße ohne beeinträchtigende Problempunkte wie Dünnwandigkeit, Instabilität oder in die Tiefbohrung ragende Querbohrungen) können Verlaufswerte von unter 0,02 mm pro 100 mm Bohrtiefe erzielt werden. Die Praxis zeigt, dass dies jedoch „Wunschdenken“ ist. Unter Berücksichtigung diverser, nicht beeinflussbarer Fehlerquellen geht man von folgenden Verlaufswerten für Bohrungen von 40 x ø aus:

0,05-0,1 mm Rundlauf pro 100 mm Bohrtiefe bei mittig gebohrten, rotationssymmetrischen Bauteilen im gegenläufigen Bohrverfahren. Ca. 0,1 mm Verlauf bei „stehender“ Bohrbearbeitung (Blöcke, außermittiges Bohren, kubische Teile ohne Werkstückrotation)

Bohrtiefen

Als in der Anwendung weitestgehend unproblematisches Bohrverhältnis wird ein Wert um ca. 40 x ø betrachtet. Ohne zusätzliche Werkzeugunterstützung kann man max. ca. 50 x ø erreichen. Darüberhinausgehende Bohrverhältnisse verlangen entweder den Einsatz von Stützvorrichtungen (Lünetten) oder Vollhartmetallwerkzeuge (im kleinen ø-Bereich) Mit Hilfe dieser Stützvorrichtungen sind bei nicht allzufesten Werkstoffen (bis ca. 1100 N/mm²) Bohrtiefen von bis zu 80 oder 100 x ø keine Seltenheit.

Anwendung

Tieflochbohren erlaubt Bohrbearbeitungen, die bzgl. der Bohrungstoleranzen weit genauer sind als die vergleichbaren Bearbeitungen mit herkömmlichen Bohrverfahren. Wie der Name „Tieflochbohren“ schon sagt, sind diese Toleranzen auch in extremen Durchmesser-/Bohrtiefen-Verhältnissen erreichbar.

Die spezielle Tiefbohrbearbeitung hat gegenüber den konventionellen Bohrverfahren also folgende Vorzüge:

  • Bohren von extremen ø/Längenverhältnissen (wenn konventionelles Bohren nicht mehr möglich ist)
  • Bohren im Grenzbereich zu den konventionellen Bohrverfahren mit deutlich verbesserter Wirtschaftlichkeit (weil Tieflochbohren einfach schneller ist und auf den Drehmaschinen freie Kapazitäten bringt)
  • Bohren im Bereich der konventionellen Bohrbearbeitungen mit deutlich besseren Toleranzwerten. (viele genaue Bohrungen müssen zum Erreichen der geforderten Toleranzen mehrmals behandelt werden, was die Tiefbohrtechnik sehr oft in einer einzügigen Bearbeitung schafft.)

Spezialisierung

Aufgrund der sehr spezifischen Anforderungen der Tiefbohrtechnik werden für optimale Ergebnisse Sondermaschinen benötigt. Diese sehr leistungsfähigen aber auch sehr teuren Maschinen sind für den Großteil der zerspanenden Betriebe nicht wirtschaftlich, weil sie zum einen nur einen Teil der Anforderungen abdecken, andererseits aber kapazitiv nicht ausgelastet werden können. Deshalb hat sich in Bereich des Tiefbohrens eine Lohnbearbeitungsbranche etabliert. Hier wird zur Fertigstellung oder als Produktionszwischenschritt die Tiefbohrbearbeitung nach Kundenwunsch durchgeführt. So verknüpft der Kunde die Entlastung seiner Kapazitäten mit der Nutzung einer optimalen Infrastruktur.

Werkzeuge

Als Werkzeuge zum Tieflochbohren kommen bis in den Größenbereich von etwa 40 mm hauptsächlich sogenannte Einlippenbohrer, oder wie sie früher bezeichnet wurden „Kanonenbohrer“ zum Einsatz.

Wie auf den Bildern zu erkennen ist, besteht ein Einlippenbohrer aus einer Werkzeugaufnahme, einem Schaft und einem Stück (meist Hartmetall) welches den Bohrkopf bildet. Vom Aufbau her kann verallgemeinernd gesagt werden, dass der Schaft um wenige 1/10 mm bis 1 mm kleiner gehalten ist als der Bohrkopf. Auch ist zu erkennen, dass die Schaftfläche zu 1/4 freigearbeitet ist, in welcher durch den Kühlmittelstrom die Späne aus der Bohrung ausgespült werden. Der Schneidenkopf selber trägt angeschliffene Führungsflächen, in welchen sich der Bohrer führt und somit entgegen eines Spiralbohrers der Führungsachse der Maschine folgt.

Die eigentliche Schneide ist die obere Spitze bis zur Mitte des Bohrers. Das bedeutet, der Bohrer schabt sich einseitig durch das zu bohrende Material. Die entstehenden Späne an der Schneide werden von mindestens einem, ab etwa 10 mm Bohrerdurchmesser teilweise schon zwei oder mehr Kanälen von der Mitte her und von der Außenseite mit Kühlmittel umspült, und gleichzeitig über den Freiraum im Schaft von der Bearbeitungsstelle weggespült.

Quellen


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