Tractatus theologico-politicus

Tractatus theologico-politicus
Titelblatt der Erstausgabe

Der Tractatus theologico-politicus ist eine Schrift des niederländischen Philosophen Baruch Spinoza. Das 1670 in Amsterdam gedruckte Werk wurde anonym und mit irreführenden Angaben über seinen Ursprung, z. B. Druckort und Name des Druckers, veröffentlicht, da Spinoza seine in der Schrift entwickelten philosophischen und theologischen Ideen über die Denkfreiheit und die Religion zu brisant erschienen. Das Werk wurde im Jahre 1674 verboten.

Nicht selten wird vom Tractatus gesagt, es handele sich bei ihm um eine politische Tendenzschrift zur Verteidigung der Politik der Brüder de Witt in der Niederländischen Republik. Im 17. Jahrhundert war die Niederländische Republik wahrscheinlich einer der liberalsten Staaten in Europa. Religions- und Denkfreiheit waren durch die innen- und außenpolitischen Entwicklungen allerdings akut gefährdet. So wurde die Republik im Inneren erschüttert durch die Versuche der Calvinisten, sich gegen die anderen Religionsgemeinschaften durchzusetzen und politischen Einfluss zu gewinnen. Der schwelende Konflikt zwischen dem Haus Oranien-Nassau und den Generalständen um die politische Macht war ein weiterer Faktor bei der Schwächung der Republik. Im Äußeren gerieten die Niederlande, deren Wohlstand darauf beruhte, Handel zu treiben, immer wieder in bewaffnete Konflikte. Deren zuletzt immer öfter wenig erfolgreicher Verlauf wurde der Politik des Ratspensionärs Johan de Witt zugeschrieben, Rufe nach der Einsetzung eines Statthalters in Person von Wilhelm III. von Oranien-Nassau wurden laut. Damit Verbunden war eine Einschränkung der republikanischen Freiheiten.

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

Die Schrift stellt eine Kritik an der religiösen Intoleranz und ein Plädoyer für eine säkularisierte Gesellschaftsordnung dar. Zugleich verteidigt Spinoza mit dem Tractatus seine (postum veröffentlichte) Schrift über die Ethik, die ihm harte Kritik eingebracht hatte.

Inhaltlich behandelt Spinoza zwei große Themenkomplexe. Die Kapitel 1 bis 15 beschäftigen sich mit Religions- und Bibelkritik. In den Kapiteln 16 bis 20 stellt Spinoza seine politische Philosophie dar.

Kapitel 1 bis 15

Spinoza, selbst jüdischer Herkunft, unterzieht nicht nur das Christentum, sondern mit dem Judentum und dem Islam auch die anderen Offenbarungsreligionen einer systematischen Kritik und erklärt, dass nicht blinder Glaube, sondern kritische Vernunft der Maßstab menschlichen Handelns und Denkens sein müsse. Folgerichtig verweist er Prophezeiungen, Wunder und übernatürliche Phänomene in das Reich der Legende, da sie nicht real seien. Gott selbst handle nicht nach einem teleologischen Prinzip – dieses sei lediglich eine menschliche Annahme, die aus Furcht entstanden sei –, sondern nach Regeln, die seinem eigenen Wesen gemäß seien und damit Naturgesetzen gleichkämen.

Für Spinoza sind Religionen letztlich nichts anderes als institutionalisierte Interpretationen theologisch bedeutsamer Schriften und Ereignisse durch partikuläre Vertreter ebendieser Religionen. So sind für ihn die fünf Bücher Mose nicht das Werk der alttestamentlichen Figur Moses selbst, wie man bis dahin annahm. Mittels der textkritischen Analyse kommt Spinoza vielmehr zu dem Schluss, dass diese Bücher über einen langen Zeitraum hinweg von der jüdischen Priesterschaft zusammengestellt wurden.

Er kritisiert auch den Glauben, dass die Juden das auserwählte Volk Gottes seien. Er ist dagegen der Ansicht, dass vor Gott alle Völker gleichberechtigt seien und Gott kein Volk vor einem anderen ausgezeichnet habe. Die Vorstellung der Auserwähltheit sei lediglich ein Konstrukt des Judentums, das diesem geholfen habe, angesichts massiver Verfolgung durch zahlenmäßig weit überlegene Völker die eigene Identität und den eigenen Fortbestand durch Abkapselung zu bewahren. In diesem Zusammenhang erwähnt Spinoza auch die Beschneidung als eines der entscheidenden Merkmale dieser jüdischen Identität. Die Tora hingegen sei ein Dokument, das die staatlichen und religiösen Verhältnisse des frühen Israel widerspiegele; damit könne es aber für die Neuzeit nicht mehr zeitgemäß sein.

Kapitel 16 bis 20

Im politischen Teil des Tractatus tritt Spinoza letztendlich für die Unabhängigkeit des Staates von der Religion und die Denkfreiheit der Bürger gegenüber dem Staat ein.

Dazu entwickelte Spinoza seine politische Philosophie vom Naturzustand, über die Bildung von Staaten und die Trennung von Staat und Religion hin zu der Begründung, warum der Einzelne gewisse natürliche Freiheiten auch im Staatszustand nicht aufgeben kann und warum es für den Staat sogar gut ist, wenn der Einzelne seine vom Staat eventuell abweichende Meinung auch öffentlich vertritt.

Im Gegensatz zu vielen seiner Zeitgenossen, wie z. B. Thomas Hobbes, liefert der Naturzustand Spinozas keinen Gerechtigkeitsmaßstab und auch keine normativen Kriterien. Das natürliche Recht eines Jeden erstreckt sich auf alles das, was durchzuführen in seiner Macht steht. Damit werden natürliches Recht und Macht gleichgesetzt. Durch diese Gleichsetzung gibt es im Naturzustand kein „gerecht“ oder „ungerecht“, es gibt lediglich die Dinge, zu denen man die Macht hat.

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