- Traktat (Architektur)
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Ein Traktat ist im Bereich der Architektur eine literarische und / oder grafische Darstellung architektonischer Zusammenhänge. Insbesondere in der Renaissance war das Architekturtraktat das wichtigste Medium zur Verbreitung architektonischen Wissens. Wichtige Themen in den Architekturtraktaten der Renaissance und des Barock waren die fünf Säulenordnungen und die Architektur der römischen Antike. Durch den Buchdruck fanden die Traktate schnell weite Verbreitung in Europa und Lateinamerika und wurden als praktische Anleitung zum Bauen und Gestalten zum Handwerkszeug jedes Architekten der Zeit.
Inhaltsverzeichnis
Vitruv und die Traktate der Renaissance
Der Auslöser für die Serie der Architekturtraktate der Renaissance war die Wiederentdeckung von Vitruvs „Zehn Bücher zur Architektur“ in mittelalterlichen Abschriften in den Klöstern von St. Gallen und Monte Cassino durch Gianfrancesco Poggio Bracciolini im Jahr 1414. Der nicht illustrierte Text Vitruvs galt als schwer verständlich. Deshalb wurde versucht, die Beschreibungen Vitruvs durch begleitende Illustrationen zu verdeutlichen, so zum Beispiel in der Ausgabe durch Fra Giovanni Giocondo mit Holzschnitten von Francesco di Giorgio von 1511 oder der von Daniele Barbaro übersetzten und von Andrea Palladio illustrierten Ausgabe von 1556.
Leon Battista Alberti versuchte, die klassische Architektur Roms und den Text Vitruvs durch sein eigenes Werk „de architectura“ (1485) für seine Gegenwart verständlich zu machen. Genau wie Vitruvs Text, war auch der von Alberti ein literarischer Text ohne Illustrationen. Alberti sah in der ordnungsgerechten Architektur eine materielle Manifestation des gesellschaftlichen Gefüges. Im Haus, so Alberti, solle sich der Stand seines Besitzers ausdrücken. Die Gestaltung des Gebäudes habe zwei Aspekte, Schönheit (pulcritudo) und das Ornament (ornamentum). Während die Schönheit zum Kernbestand des Gebäudes gehöre, sei das Ornament eine von außen aufgebrachte, zusätzliche Schönheit.
Sebastiano Serlio schuf mit seinem Werk „sette Libri d'architettura“ einen neuen Typ des Architekturtraktates, indem er die Zeichnung in das Zentrum seines Werkes stellte, und die Texte nur als zusätzliche Erklärungen auffasste. Damit schuf er den Archetyp des Architekturtraktates, auf den seine Nachfolger Palladio, Vignola und Scamozzi bei der Verfassung ihrer eigenen Traktate zurückgriffen. Wie bei Vitruv und Alberti gilt auch bei Serlio die römisch - antike Architektur mit dem klassischen Säulenordnungssystem als das zu erreichende Vorbild.
Die „sette libri“ erschienen in unregelmäßiger und unvollständiger Weise ab 1537 in Venedig. Durch die neuartige grafische Darstellungsform fanden sie schnell eine begeisterte Leserschaft und wurden in alle europäischen Sprachen übersetzt. Serlio wurde so, ohne selbst ein besonders produktiver Architekt gewesen zu sein, das wichtigste architektonische Vorbild des 16. und 17. Jahrhunderts.
Vincenzo Scamozzi und Giacomo Barozzi da Vignola beschränken sich in ihren Traktaten auf die Darstellung der „fünf Ordnungen“, sind dabei zeichnerisch aber brillanter und aufwendiger als die Holzschnitte Serlios.
Andrea Palladio verändert den Schwerpunkt der Architekturtraktate, indem er, anstatt ausschließlich auf antike Vorbilder zurückzugreifen, seine eigenen Entwürfe und ausgeführten Bauten in den Mittelpunkt der Beschreibungen stellt. Seine Bauten werden durch die Verbreitung des Traktates zu den einflussreichsten Entwürfen der humanistischen Architektur.
Architekturtraktate des Barock in Deutschland
Einflussreiche Architekturtraktate in Deutschland waren „Architectvra“ von Wendel Dietterlin (Nurnberg 1598), und die Schriften von Leonhard Christoph Sturm.
Architekturtraktate im 19. Jhd
Architekturtraktate der Moderne
In der Moderne wurde der Architekturtraktat wiederum zu einem wichtigen Mittel der Verbreitung architektonischen Wissen. Die Bedeutung war jedoch nicht mehr so herausragend, wie in der Renaissance, da Fotografie und Film einen direkteren und schnelleren Überblick über das weltweite architektonische Schaffen erlaubten.
Der Rückgriff auf die publizistischen Mittel der Renaissance ist dadurch zu erklären, dass die Moderne die gültigen Ordnungssysteme als obsolet empfand. Durch den Rückgriff auf das Mittel des Traktates bot sich Architekturschriftstellern der Moderne die Möglichkeit, die Ordnungssysteme der Renaissance durch ihre eigenen Mittel zu ersetzen.
In seinem Traktat „Ornament und Verbrechen“ (Wien, 1911) stellte der Wiener Architekt Adolf Loos die These auf, dass die Ornamentierung eines Gebäudes ein Verbrechen sei, wenn sie Kapital verbrauche, das zur Linderung der städtischen Armut genutzt werden könne. Aus dieser These leitet er eine architektonische Formenlehre ab, die ohne Ornament auskommen soll. In seiner eigenen Architektur hat Loos allerdings den Grundsatz der Ornamentlosigkeit niemals vollständig umgesetzt.
Der schweizer Architekt Le Corbusier stellte in seinem Traktat „Vers une architecture“ (Paris, 1923) eine Formenlehre auf, die die Gliederungselemente der fünf Ordnungen vollständig verwarf. Stattdessen stellte mit den „fünf Punkten zur Architektur“ Grundregeln für das Entwerfen auf, die scheinbar als Antwort auf die soziologischen Problemen der modernen Stadt gedacht waren. Seine Schriften lassen einen totalitaritären Geist spüren, schlägt er doch vor, ganze Städte abzureißen, um sie durch Gebäude zu ersetzen, die seinem architektonischen Konzept entsprechen.
Die wichtigsten Architekturtraktate im Überblick
- Marcus Vitruvius Pollio: De architectura libri decem (ca 30 v. Chr.)
- Leon Battista Alberti: De re aedificatoria (Erstausgabe: Rom, 1485)
- Sebastiano Serlio: Sette libri d’architettura (Erstausgabe des Gesamtwerkes: Venedig, 1551)
- Giacomo Barozzi da Vignola: Regole delle cinque ordini d'architettura (Regeln der fünf Ordnungen der Architektur, (Erstausgabe Rom 1562)
- Andrea Palladio: Quattro Libri dell'architettura (Erstausgabe: Venedig, 1570)
- Vincenzo Scamozzi: L'idea dell'architettura universale (Erstausgabe: Venedig, 1615)
Weblinks
- Vitruv, Text mit englischer Übersetzung
- Sieben Bücher in der Ausgabe Venedig 1584, in der digitalen Bibliothek der Uni Heidelberg
- Architekturtraktate in digitalen faksimiles, projekt der Universitätsbibliothek Heidelberg
- Texte zur Wissenschaftsgeschichte, Projekt des Max Planck Institute for the history of science
Kategorien:- Architekturliteratur
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