Triadisches System

Triadisches System

Das triadische System der deutschen Psychiatrietradition ist ein nach Ursachen klassifizierendes System psychiatrischer Erkrankungen. Die erste Beschreibung geht auf Emil Kraepelin (1856-1926) zurück; Weiterentwicklungen sind mit den Namen Ernst Kretschmer (1888-1964) und Karl Jaspers (1883-1969) verknüpft.

Man teilte die psychischen oder psychiatrischen Erkrankungen nach ihrer Ursache in drei Gruppen ein:

  • Organische, durch fassbare körperliche Veränderungen (wie etwa einen Hirntumor) ausgelöste psychische Erkrankungen (körperlich begründbare Psychosen, auch organische Psychosyndrome). Beispiele dafür sind Demenz oder Delir.
  • Endogene psychische Erkrankungen, die vermutlich durch körperliche Veränderungen begründet sind, welche man jedoch noch nicht genau angeben kann (erbliche und „noch nicht körperlich begründbare“ Psychosen). Beispiele dafür sind Schizophrenie und manisch-depressive Psychosen (bipolare affektive Störung).
  • Die dritte Gruppe enthält die vermutlich psychisch ausgelösten Erkrankungen, zum Beispiel Persönlichkeitsstörungen, Neurosen, Belastungsreaktionen und Anpassungsstörungen. Kraepelin nannte dies abnorme Variationen seelischen Wesens.

Seit den frühen 80er Jahren des 20. Jahrhunderts wurden die Versuche, psychiatrische Krankheiten nosologisch zu klassifizieren, zunehmend aufgegeben. Insbesondere ist die früher umstrittene Frage der „Endogenität“ (d. h. ob das konkrete Symptombild reaktiv auf ein äußeres Ereignis erklärbar zurückgeht oder nicht) in der Praxis in den Hintergrund getreten, weil erfahrungsgemäß zwischen den Vertretern unterschiedlicher Entstehungstheorien nur selten Übereinstimmung darüber zu erzielen ist. Die modernen Klassifikationen versuchen, möglichst beschreibend zu sein und ohne Vorannahmen auszukommen, weil mit einer Orientierung am beobachteten Symptomenkomplex ohne Berücksichtigung von Vermutungen über Ursachen der Erkrankung eine höhere Reliabilität der Diagnosen erreicht wird, was die wissenschaftliche Arbeit erleichtert. Die verschiedenen nosologischen Theorien sind deshalb nicht verschwunden, spielen für die Klassifikation aber nur noch eine sehr untergeordnete Rolle.

Während die 9. Revision des Klassifikationssystems der WHO (international classification of diseases / ICD) noch dem triadischen System folgte, richtet sich die aktuelle 10. Revision nach den Symptomen und dem Verlauf, ebenso wie der DSM-IV der American Psychiatric Association.

Entwicklung der Klassifikationssysteme (modifiziert nach A. Keller, Dissertation Heidelberg 2000 [1]):

  1. 1840 Volkszählung in den USA: Schwachsinn/Wahnsinn
  2. 1880 Volkszählung in den USA: Manie, Melancholie, Monomanie, Parese, Demenz, Dipsomanie, Epilepsie
  3. 1917 American Medico-Psychological Association: 22 Kategorien nach Kraepelin
  4. 1933 Standard Classified Nomenclature of Diseases: 24 Kategorien mit 82 Untergruppen
  5. 1948 ICD-6: 10 Psychosen, 9 Psychoneurosen, 7 Charakterstörungen
  6. 1952 DSM-I (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders der APA): Einteilung nach Adolf Meyer: psychische Störungen sind Reaktionen auf psychische, soziale und biologische Faktoren
  7. 1965 ICD-8: Erweiterung um neue Krankheitsgruppen
  8. 1975 ICD-9: Organische Psychosen, andere Psychosen, Neurosen, Persönlichkeitsstörungen und anderes
  9. 1980 DSM-III: multiaxiale Klassifikation
  10. 1987 DSM-III-R: Einführung des Komorbiditätsprinzips
  11. 1992 ICD-10: Klinisch-diagnostische Leitlinien
  12. 1994 ICD-10: Forschungskriterien
  13. 1994 DSM-IV: 395 Störungen auf der Basis empirischer Resultate

Einzelnachweise

  1. [https://heidi.ub.uni-heidelberg.de/volltextserver/volltexte/2001/1494/pdf/F-DIPS-pdf.pdf] (Link nicht abrufbar)

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Поможем написать реферат

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Funktionelle Syndrome — stellen ein Zusammentreffen von Krankheitszeichen oder Beschwerden dar, die keine organische Ursache erkennen lassen. Diese charakteristische Situation für die Untersuchung im Frühstadium funktioneller Syndrome gab Anlass zu ihrer Bezeichnung.… …   Deutsch Wikipedia

  • Paul Hindemith — (16 November 1895 ndash; 28 December 1963) was a German composer, violist, violinist, teacher, music theorist and conductor. Biography Born in Hanau, Germany, Hindemith was taught the violin as a child. He entered the Hochsche Konservatorium in… …   Wikipedia

  • dance, Western — Introduction       history of Western dance from ancient times to the present and including the development of ballet, the waltz, and various types of modern dance.       The peoples of the West of Europe and of the countries founded through… …   Universalium

  • Slavoj Zizek — Slavoj Žižek Slavoj Žižek [ˈʒiʒɛk] (* 21. März 1949 in Ljubljana) ist ein aus Slowenien stammender Philosoph, Kulturkritiker und nichtpraktizierender Psychoanalytiker. Bekannt geworden ist er insbesondere durch seine einflussreiche Übertrag …   Deutsch Wikipedia

  • Zizek — Slavoj Žižek Slavoj Žižek [ˈʒiʒɛk] (* 21. März 1949 in Ljubljana) ist ein aus Slowenien stammender Philosoph, Kulturkritiker und nichtpraktizierender Psychoanalytiker. Bekannt geworden ist er insbesondere durch seine einflussreiche Übertrag …   Deutsch Wikipedia

  • Žižek — Slavoj Žižek Slavoj Žižek [ˈʒiʒɛk] (* 21. März 1949 in Ljubljana) ist ein aus Slowenien stammender Philosoph, Kulturkritiker und nichtpraktizierender Psychoanalytiker. Bekannt geworden ist er insbesondere durch seine einflussreiche Übertrag …   Deutsch Wikipedia

  • Triade (Familientherapie) — Eine Triade bezeichnet in der Familientherapie das Beziehungssystem zwischen drei Personen. Dieses System hat seine erste Ausprägung im Leben eines jeden Menschen in der Beziehungskonstellation Vater Mutter Kind, also der kleinsten Kernfamilie.… …   Deutsch Wikipedia

  • Zahlensystem — die Zusammenstellung aller natürlichen Zahlen in der Weise, daß man sich jede als eine Summe von Gliedern denkt, welche nach den Potenzen einer gewissen Zahl, der Grundzahl od. Basis des Z s, geordnet sind. Man unterscheidet ein dyadisches,… …   Pierer's Universal-Lexikon

  • Apennīn — oder Apennīnen (ital. Apennino, lat. Apenninus, vom kelt. Wort Pen, »Felsenspitze«), das Hauptgebirge Italiens, das auf eine Länge von etwa 1190 km und mit einer Breite von 30–135 km die Halbinsel (daher »Apenninhalbinsel«) ihrer ganzen… …   Meyers Großes Konversations-Lexikon

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”