Umkippen

Umkippen

Das Umkippen eines Sees bedeutet, dass das Phosphat, als der begrenzende Nährstoff, wegen eines dauerhaften Sauerstoffmangels nicht mehr als Eisen(III)-phosphat am Seegrund abgelegt werden kann, sondern vollständig und düngewirksam im Wasser gelöst bleibt. Deshalb findet in der oberen Wasserschicht ein starkes Algenwachstum statt. Die dabei gebildete Biomasse sinkt dann auf den Seegrund und wird abgebaut; dieser Abbauprozess zehrt den im Wasser gelösten Sauerstoff fast gänzlich auf. Dadurch wird eine Festlegung des aus der Biomasse wieder freigesetzten Phosphats durch Eisen unmöglich. [1] Die Etablierung dieser Rückkopplung wird in der Limnologie als Umkippen bezeichnet.

Vom Umkippen kann man nur bei stehenden Gewässern sprechen, also bei Seen oder kleineren Binnenmeeren sowie Teilen davon, beispielsweise der Ostsee. Diese Gewässer besitzen die notwendige Trennung der Wasserschichten. In den flachen Teichen oder in Flachseen kommt es dagegen nicht zur räumlichen Trennung von Auf- und Abbau, damit nicht zu einem dauerhaften Sauerstoffmangel über dem Grund und damit nicht zu der Rückkopplung im Sinn der limnologischen Definition des Umkippens. Der Effekt ist aber letztlich derselbe.

Inhaltsverzeichnis

Hintergrund

Temperaturbedingte Schichtung

In Seen bildet sich im Sommer und meist auch im Winter eine temperaturbedingte Dichteschichtung mit dazwischen liegenden Vollzirkulationen im Herbst und im Frühjahr aus. Dadurch kommt es zu einer klaren Trennung von Primärproduktion und dem Abbau von Biomasse. Der Aufbau von Biomasse unter Bindung der anorganischen Nährstoffe und unter Erzeugung von Sauerstoff findet in den lichtreichen Schichten nahe der Oberfläche, also im Epilimnion und oft auch im oberen Metalimnion statt. Dagegen ist die Remineralisation der abgesunkenen Überreste von Biomasse über dem Boden des Sees, je nach Seetiefe im Hypolimnion oder unteren Metalimnion konzentriert. Dort wird Sauerstoff verbraucht und die anorganischen Nährstoffe wieder freigesetzt.

Sauerstoffbilanz

Das Wasser des Epilimnions wird durch Wind und Konvektion täglich durchmischt. Dabei wird der Sauerstoffgehalt dem Gleichgewicht mit der Luft angeglichen. Auch findet hier wegen des Lichtangebotes der größte Teil der Sauerstoff produzierenden Photosynthese statt.

Das Wasser im Metalimnion und Hypolimnion erhält von außen keinen Sauerstoff. Vielmehr sinken absterbende Algen und Planktontiere sowie deren Kot und Leichen von oben herab. Beim biologischen Abbau ihrer Substanz wird so viel Sauerstoff verbraucht, wie bei der Entstehung ihrer Biomasse durch Photosynthese im Epilimnion entstanden war.

Eutrophierung

Normalerweise erhält ein See eine ständige Zufuhr von düngewirksamen Nährstoffen, die für den Aufbau von Biomasse benötigt werden, bevorzugt also Kohlenstoff-, Stickstoff- und Phosphorverbindungen. Dabei ist wegen ihrer begrenzenden Wirkung besonders die Zufuhr an Phosphat von ausschlaggebender Bedeutung.

Ein Teil der Nährstoffe verlässt den See wieder über den Abfluss. Ein anderer Teil, insbesondere Phosphat, wird durch absinkende tote Biomasse in die Tiefe des Sees verlagert und dort wieder freigesetzt. Dabei geht das Phosphat mit vorhandenen Eisen-III-Ionen eine unlösliche Verbindung ein und wird am Seeboden abgelagert.

Wenn mehr Nährstoffe in einen See eingetragen werden als ihn über den Abfluss oder durch diese Sedimentation wieder verlassen, spricht man von Eutrophierung. Dadurch wird immer mehr Biomasse im See gebildet. [2]

Umkippen: das Versagen der Phosphatfalle

Durch die Sprungschicht wird verhindert, dass Sauerstoff in die unteren Gewässerschichten eingetragen wird. Wegen der Eutrophierung wird aber immer mehr totes organisches Material am Seeboden abgelagert. Beim Abbau dieses Materials wird Sauerstoff verbraucht. Dadurch wird mit der Zeit die Tiefenzone eines Sees sauerstofffrei (anaerob) und das dreiwertige Eisen wird zu zweiwertigem reduziert:

\mathrm{Fe}^{3+}\longrightarrow \mathrm{Fe}^{2+}

Beim Abbau von Biomasse wird aus dieser Phosphat freigesetzt. Zusammen mit dreiwertigen Eisen bildet sich das sehr schwer lösliche Eisen(III)-phosphat, das sich im Bodensediment des Sees anreichert. Zweiwertiges Eisen bildet dagegen mit dem Phosphat keinen Niederschlag. Bei Sauerstoffmangel bleibt deshalb das Phosphat im Wasser gelöst und wird mit der nächsten Zirkulation wieder düngewirksam über den ganzen See verteilt.

Unter dem Einfluss des nun vermehrt verfügbaren Phosphats findet im Epilimnion eine vermehrte Primärproduktion von Biomasse, beispielsweise von Algen, statt. [3] Deshalb kommt es auch zu einem vermehrten Absinken abbaubarer Biomasse zum Seeboden und damit zu einem beschleunigten Verbrauch des dortigen Sauerstoffs. Die Wirkung wird zur eigenen Ursache. Der See kann diesen Teufelskreis (positive Rückkopplung) nicht mehr ohne äußeren Eingriff verlassen.

Einzelnachweise

  1. Hans-Jürgen Klink: Vegetationsgeographie. 2. neu bearbeitete Auflage. Westermann Schulbuchverlag, Braunschweig 1996, ISBN 3-14-160282-4, S. 153, Online
  2. Matthias Kramer: Intergratives Umweltmanagement. Systemorientierte Zusammenhänge zwischen Politik, Recht, Management und Technik. Gabler, Wiesbaden 2010, ISBN 978-3-8349-1947-2, S. 28, Online
  3. Tibor Müller: Wörterbuch und Lexikon der Hydrogeologie. (Deutsch Englisch). Springer, Berlin u. a. 1999, ISBN 3-540-65642-1, S. 326 Online

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