- Unbestimmter Ausdruck (Mathematik)
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Ein unbestimmter Ausdruck ist in der Mathematik ein Term, dessen Auftreten bei der Untersuchung von Grenzwerten eine besondere Rolle spielt. Der Begriff ist zu unterscheiden vom undefinierten Ausdruck.
Inhaltsverzeichnis
Problemdarstellung
Da die Division durch Null nicht definiert ist, stellt der Term 1 : 0 keine Zahl dar. Vergleicht man mit 1 : x, wobei x eine sehr kleine (aber positive) Zahl sein soll, so ergibt sich ein sehr großer Wert. Bei negativen x ergibt sich dagegen ein entsprechender negativer Wert von großem Betrag. Es liegt daher nahe, das Symbol ∞ einzuführen, so dass man immerhin die Betragsaussage
treffen kann. Das Rechnen mit den um unendliche Elemente erweiterten reellen Zahlen ist mit geringen Einschränkungen möglich (siehe ausführlich erweiterte reelle Zahl). Einigen Termen wie 0 : 0 dagegen kann auch in solch einer Erweiterung weder eine Zahl noch das Symbol ∞ zugeordnet werden.
Vergleicht man den Term 0 : 0 mit x : y, wobei sowohl x als auch y betragskleine Zahlen sind, so kann deren Quotient wie oben einen sehr großen Betrag haben, aber ebenso gut jeden beliebigen anderen Wert. Selbst unter Zuhilfenahme von ∞ liegt also für 0 : 0 kein geeigneter Wert nahe, es ist deshalb ein unbestimmter Ausdruck.
Definition
Üblicherweise wird der Begriff „unbestimmter Ausdruck“ verwendet für:
- 0 : 0, 0 · ∞, ∞ − ∞, ∞ : ∞, 00, ∞0 und 1∞.[1]
Es handelt sich um genau diejenigen Ausdrücke, bei denen Grenzwertaussagen über den Ausdruck sich nicht allein aus den Grenzwerten der Operanden ergeben und selbst im Fall der Konvergenz verschiedene endliche Grenzwerte möglich sind.
Abgrenzung
Unbestimmter Ausdruck bedeutet nicht dasselbe wie
- undefinierter Ausdruck:
- Zahlreiche weitere Ausdrücke sind – auch im Bereich der affin erweiterten reellen Zahlen – nicht definiert, etwa 1 : 0 oder
. Umgekehrt ist es durchaus üblich, 00 = 1 zu definieren
- Zahlreiche weitere Ausdrücke sind – auch im Bereich der affin erweiterten reellen Zahlen – nicht definiert, etwa 1 : 0 oder
- Unstetigkeitsstelle bzw. nicht hebbare Definitionslücke der Rechenoperation:
- Sonst müsste auch 1 : 0 zu den unbestimmten Ausdrücken gezählt werden.
Keine unbestimmten Ausdrücke sind (unabhängig von Existenz oder Endlichkeit) Grenzwerte von konkreten Funktionen, wie
oder
.
Zwar ergibt sich durch naives Einsetzen hier der unbestimmter Ausdruck 0 : 0 bzw. 0 · ∞. Durch genauere Untersuchung mit geeigneten Methoden wie dem Satz von l'Hospital kann der Grenzwert bestimmt werden. Es gilt
sowie
und nicht etwa
bzw.
.
Auftreten bei Folgengrenzwerten
Sind
und
zwei Folgen reeller Zahlen, so kann man die Folgen
,
,
und – sofern
–
definieren; soweit beispielsweise an > 0 gilt, auch
. Falls die Ausgangsfolgen in den affin erweiterten reellen Zahlen konvergieren, etwa
und
, so gilt für die verknüpften Folgen auch meist
, wobei
eine der Grundrechenarten oder das Potenzieren bezeichnet. Wenn jedoch
einer der oben aufgeführten unbestimmten Ausdrücke ist, ist das Grenzverhalten von
unbestimmt. Tatsächlich kann eine (weitenteils) beliebige Folge
vorgegeben werden und dann an,bn mit
,
,
konstruiert werden, wie die folgende Auflistung zeigt.
- 0 : 0
- Setze
und
. Dann
und
,
wegen
bzw.
.
- Setze
- 0 · ∞
- Setze
und
. Dann
und
,
wegen
bzw.
.
- Setze
- ∞ − ∞
- Setze bn = max(n, − 2cn) und an = bn + cn. Dann an − bn = cn und es gilt
wegen
,
wegen
, falls
, und
tfrac n2" border="0">, falls
.
- Setze bn = max(n, − 2cn) und an = bn + cn. Dann an − bn = cn und es gilt
- ∞ : ∞
- Es sei cn > 0 vorausgesetzt. Setze
und
. Dann
,
, also
,
und natürlich
.
- Es sei cn > 0 vorausgesetzt. Setze
- 00, ∞0, 1∞
- Es sei cn > 0 vorausgesetzt. Setze γn = ln cn und bestimme wie oben Folgen (αn), (βn) mit
,
und αnβn = γn.
- Mit
und bn = − αn erledigt man den Fall 00,
- mit
und bn = αn den Fall ∞0,
- mit
und bn = αn den Fall 1∞
- Mit
- Es sei cn > 0 vorausgesetzt. Setze γn = ln cn und bestimme wie oben Folgen (αn), (βn) mit
Auftreten bei Funktionsgrenzwerten
Die oben für Folgen benutzten Methoden lassen sich leicht auf Funktionen verallgemeinern. Auf diese Weise findet man zu jeder reellen Zahl x0 (oder auch
oder
), jedem unbestimmten Ausdruck
, jeder reellen Funktion h(x) (ggf. mit der Einschränkung h(x) > 0) zwei reelle Funktionen f(x) und g(x) mit
für alle
sowie
und
. Hierbei kann also
jeden endlichen oder unendlichen Wert annehmen (ggf. nur nicht-negativ) oder auch gar nicht existieren. Mit anderen Worten: Aus der Kenntnis von
und
kann keinerlei Rückschluss auf
gewonnen werden, wenn
ein unbestimmter Ausdruck ist. Dagegen gilt für die Grundrechenarten und das Potenzieren durchaus
, wenn es sich um einen definierten und nicht unbestimmten Ausdruck handelt (und
in einer punktierten Umgebung von x0 überhaupt definiert ist); ggf. sind hierbei die Rechenregeln für
zu beachten, wie sie für die erweiterten reellen Zahlen gelten.
Erfüllen die Funktionen f(x) und g(x) die stärkeren Voraussetzungen der Regel von L'Hospital, insb. hinsichtlich Differenzierbarkeit, so lässt sich mit deren Hilfe ggf. eine Aussage über edn gesuchten Grenzwert
machen.
Übersicht
Seien f und g reelle Funktionen und sei x0 eine reelle Zahl oder einer der beiden symbolischen Werte
oder
. Es sei vorausgesetzt, dass die Grenzwerte
und
entweder existieren oder dass bestimmte Divergenz vorliegt, was symbolisch als Grenzwert
bzw.
ausgedrückt sei. In den meisten Fällen gilt, dass dann auch folgende Grenzwerte mit den angegebenen Werten existieren (bzw. bestimmte Divergenz vorliegt, wenn sich rechts
ergibt):
,
,
,
.
Hierbei seien die Rechenregeln
für
,
für b > 0,
für
,
für
,
für b > 0,
für b < 0,
für a > 1,
für
sowie entsprechende Vorzeichenvarinaten vereinbart.
Die Existenz des Grenzwertes links, geschweige denn sein Wert, ergibt sich jedoch nicht auf diese einfache Weise aus den Grenzwerten der Operanden, wenn rechts einer der oben angegebenen unbestimmten Ausdrücke sich ergäbe. Im folgenden werden Beispielfunktionen f(x),g(x) mit entsprechenden Grenzwerten a,b aufgeführt, für die sich verschienste Grenzwerte
bzw. Divergenz ergibt:
- 0 : 0
mit
, g(x) = x.
mit
, g(x) = x3.
- ∞ : ∞
mit
, g(x) = x.
mit
, g(x) = x.
- 0 · ∞
mit
,
.
mit
,
.
- ∞ - ∞
mit f(x) = x + c, g(x) = x.
mit
, g(x) = 2x.
- 1 ∞
mit
, g(x) = x, sofern c > 0.
mit
, g(x) = x.
- 0 0
mit f(x) = cx,
, sofern 0 < c < 1.
- ∞ 0
mit f(x) = cx,
, sofern c > 1.
mit f(x) = xx,
, sofern c > 1.
Durch mathematische Umformungen lassen sich die verschiedenen Typen unbestimmter Ausdrücke auf den Typ 1 zurückführen. Bei einem unbestimmten Ausdrucks vom Typ 2 entsteht zum Beispiel durch die Umformung
ein Ausdruck des Typs 1.
Ausdrücke des Typs 5 bis 7 können durch Logarithmierung auf den Typ 1 zurückgeführt werden.
Der Ausdruck ∞ : 0 lässt grundsätzlich ebenfalls keine vollständige Aussage über das Grenzverhalten zu, jedoch kann sich hierbei zumindest anders als bei den oben aufgezählten Fällen gewiss kein endlicher Grenzwert ergeben, sondern allenfalls bestimmte Divergenz nach
oder
. Als Beispiel betrachte man
mit
für
sowie wahlweise
- g(x) = x: bestimmte Divergenz nach
,
- g(x) = − x: bestimmte Divergenz nach
,
- g(x) = | x | : links- und rechtsseitig verschiedene bestimmte Divergenz, insgesamt also unbestimmte Divergenz,
: selbst einseitig liegt unbestimmte Divergenz vor.
Der Ausdruck 00
Eine Sonderrolle kommt dem Ausdruck 00 zu, der an sich durchaus definiert ist, nämlich als 00 = 1. Hierzu beachte man, dass das Potenzieren, also die Berechnung des Ausdrucks ab, zunächst überhaupt nur definiert wird als wiederholtes Multiplizieren, wobei folglich b eine nichtnegative ganze Zahl sein muss. Dann ist a0 das leere Produkt, welches – unabhängig von a – als 1 definiert wird: Es soll a1 = a * a0 gelten, was zumindest für
zwingend a0 = 1 ergibt. Das leere Produkt hat keine Faktoren, und insofern ist es gleichgültig, welchen Wert der gar nicht auftretende Faktor a hat, so dass sich auch 00 = 1 ergibt. Die Definition 00 = 1 ist auch aus anderen Gründen sinnvoll. Beispielsweise gibt es, wenn a,b beide nichtnegative ganze Zahlen sind, stets genau ab Abbildungen von einer b-elementigen Menge in eine a-elementige Menge. Nur mit der Definition 00 = 1 gilt dies auch im Fall a = b = 0.
Die so als Abbildung von
nach
definierte Operation des Potenzierens lässt sich im Reellen per
auch auf den Fall
,
fortsetzen sowie für nichtnegatives a durch Wurzelziehen zunächst auf nichtnegative rationale Exponenten und dann per Grenzwertbetrachtung auch auf
. Letzteres ist per Definition stetig in b, jedoch ist das Potenzieren als Abbildung von
nach
insgesamt nicht stetig an der Stelle (0,0): Beispielsweise gilt
, aber
. Aus dieser Unstetigkeit ergibt sich die oben genannte Unbestimmtheit im Zusammenhang mit Grenzwerten.
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Einzelnachweise
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