Baunscheidttherapie

Baunscheidttherapie
„Lebenswecker“ (rechts) und Nadelwalze
Ergebnis einer Baunscheidttherapie mit anschließendem blutigem Schröpfen

Die Baunscheidttherapie ist ein alternativmedizinisches Behandlungsverfahren, welches um 1840 von dem westfälischen Gewerbelehrer und Erfinder Carl Baunscheidt (1809-1873) stammt. Es zählt zu den ausleitenden Verfahren und ist in dieser Form fast nur in Deutschland verbreitet. Mit dieser Methode werden chronische Entzündungen, Schmerz- und Reizzustände und Verkrampfungen, Rheumatismus, Gicht, Multiple Sklerose, Lungenleiden, Bandscheibenschäden, Migräne u.a. behandelt. Eine Wirksamkeit dieser Therapie ist für keine dieser Krankheiten nachgewiesen.

Baunscheidt vertrieb zuerst kleinere Erfindungen wie ein Gewehrvisier oder eine Muttermilchpumpe. Sein „Lebenswecker“, den er selbst zuerst "Mücke" nannte, machte ihn so reich, dass er schließlich Burg Dottendorf bei Bonn erwerben konnte.[1] Nach eigener Erzählung habe er die Idee gehabt, als eine Mücke ihm in die gichtkranke (nach anderer Quelle: rheumakranke) Hand stach und seine Schmerzen daraufhin verschwanden. Seine Erfindung wurde von vielen Zeitgenossen in Europa und in den USA kopiert.[2]

Das Baunscheidt-Verfahren ist Bestandteil der meisten Heilpraktikerausbildungen. Es wird hauptsächlich von Heilpraktikern, aber auch von naturheilkundlich orientierten Ärzten angewendet.[3][4]

Inhaltsverzeichnis

Prinzip

Der „Lebenswecker“ ist ein Nadelungsgerät. Es besteht aus einer münzgroßen Scheibe an einem Griff. In der Scheibe sind 25–30 Stahlnadeln befestigt, die von Hand oder mit einer Feder 1–2 mm tief in die Haut gestochen werden. Auch Nadelwalzen sind gebräuchlich. Die Behandlung wird meist beiderseits der Wirbelsäule am Rücken, seltener an anderen Körperstellen durchgeführt. Als Ersatz für das Mückengift mischte Baunscheidt ein hautreizendes Öl, das in die angeritzten Hautstellen eingerieben wurde, das sog. Pustulanzium, dessen historische Rezeptur nicht überliefert ist. Nach dem Tode Baunscheidts haben die Anhänger der Methode eine Reihe von Ersatzrezepturen ersonnen, u. a. mit Wacholderöl, Senföl und anderen hautreizenden Stoffen, besonders häufig wurde jedoch Crotonöl verwendet, um dessen Verwendung in der Originalrezeptur in der Literatur immer noch gestritten wird. Auf den behandelten Stellen entstehen Bläschen oder Pusteln, die meistens narbenlos abheilen. Der Patient bekommt mitunter leichtes Fieber. Die Behandlung ist nicht schmerzfrei.

Crotonöl wird aus den Samen des ostasiatischen croton tiglium L. (Euphorbiaceae) gewonnen. Crotonöl förderte im Tierversuch hochwirksam die Entstehung von Krebs als sog. Co-Karzinogen. Neben organischen Triglycerinestern enthält es mehrere Phorbolester, darunter das tumorpromovierende 12-Tetradecanoyl-phorbol-13-acetat. Die Verwendung von Crotonöl ist Heilpraktikern in Deutschland daher verboten, diese greifen auf histaminhaltige Öle zurück, die zum Beispiel Nelkenöl, Wacholderöl und Rainfarnöl enthalten.

Kritik und Risiken

Eine therapeutische Wirkung konnte wissenschaftlich nicht nachgewiesen werden. Dagegen kann Schmutzeintrag in die verletzte Haut schwere Dermatitiden und auch generalisierte Infektionskrankheiten hervorrufen. Als Folge des Baunscheidtierens ist es durch Infektionen zu mehreren schweren Zwischenfällen gekommen (Stiftung Warentest, 1996). Auch allergische Reaktionen auf hautreizende Öle sind möglich.

Einzelnachweise

  1. Dirk H.R. Spennemann (2007): A Baunscheidt Homeopathic Medicine Kit in the Jindera Pioneer Museum. Studies in German Colonial Heritage (ISSN 1834-7797) nº 4, pp. 1-88
  2. Spennemann 2007, op. cit.
  3. Rainer Matejka: "Ausleitende Therapieverfahren", Urban & Fischer, 2000, 342 Seiten, ISBN 3-437-55660-6
  4. H. und T. Zissner: "Das Baunscheidt-Verfahren", Pflaum Verlag, 2006, 88 Seiten, ISBN 3-7905-0950-7

Weblinks

 Wikisource: Der Baunscheidtismus – Quellen und Volltexte
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