Villa rustica (Leutstetten)

Villa rustica (Leutstetten)

Die Reste der Villa rustica bei Leutstetten (Stadt Starnberg) liegen auf einer Anhöhe über dem Leutstettener Moos im Landkreis Starnberg in Oberbayern. Der römische Gutshof aus dem 2. Jahrhundert n. Chr. wurde ab 2001/02 archäologisch untersucht und teilweise freigelegt.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Der Gutsherr

Der Schutzbau über dem Hypocaustum
Blick nach Norden auf den Karlsberg
Das Hypocaustum
Die Nachbildung des Grabsteines von Leutstetten mit einigen Bodenfunden und Tierknochen

In der Filialkirche St. Alto in Leutstetten ist unter einem Seitenaltar ein römischer Grabstein eingemauert, der wohl an den Besitzer des kleinen Gutshofes erinnert. Der Veteran stammte ursprünglich aus Braga in Nordportugal und durchlief eine militärische Karriere im römischen Heer, die ihn vielleicht bis nach Britannien führte. Die wohl von einem zugehörigen Grabdenkmal stammende Steintafel in der Kirche trägt die überwiegend noch gut lesbare Inschrift:[1]

[D.M.]
P(ublio?) Iul(io) C(aii) f(ilio) Quir(ina tribu) Pintam(o)
domo ex Hisp(ania) citerio(re)
Augusta Brac(ara), vet(erano) ex dec(urione) a(lae),
decurioni munic(ipii) Aelia No(…?)/Aug(…?)
Clementia Popeia uxo(r eius)
marito potimo et sibi (…?)
viva fecit.

Etwa: Dem Publius Iulius Pintamus, Sohn des Gaius aus der Tribus Quirina, dem aus Augusta Bracara in der Provinz Hispania Citerior stammenden Veteranen, der als Decurio einer Ala diente, dem Stadtrat des Municipiums Aelia No(..?) /Aug(..?), dem besten Ehemann und sich selbst, setzte zu Lebzeiten (dieses Mal) seine Gemahlin Clementia Popeia.

Publius Iulius Pintamus dürfte Mitte vierzig gewesen sein, als er nach 25 Dienstjahren aus der Armee ausschied. Der Keltiberer war von Geburt an freier römischer Bürger und diente wohl in einer Kohorte jener Auxiliartruppen (Hilfstruppen), die sich aus den Stämmen der Bracarer zusammensetzten und als Cohors Bracaaugustonorum bezeichnet wurden. Eine dieser Kohorten war in Raetien stationiert, eine andere in Britannien.

Pintamus schied als Decurio einer Ala (Reitertruppe) aus dem Heer. Er führte also eine Turma (Schwadron) aus etwa dreißig bis sechzig Reitern.

Ob es sich bei der Villa rustica tatsächlich um den Altersitz des Veteranen handelt ist allerdings nicht vollständig gesichert. Die räumliche Nähe des Gutshofes zu zwei Brandgräbern und dem Rest des Grabmales macht diese Deutung jedoch sehr plausibel. Die erhaltene Grabplatte in Leutstetten war Teil eines größeren Grabmales, das die Ehefrau des Veteranen noch zu Lebzeiten der mutmaßlichen Gutsherren in Auftrag gegeben hatte. Das Paar dürfte kinderlos geblieben sein.

Die Villa rustica

Die Villa rustica entstand wohl um 133 n. Chr. als Ruhesitz des Veteranen und Decurios Pintamus und seiner Ehefrau Clementia Popeia.

Insgesamt wurde der Hof nur etwa 50 Jahre bewirtschaftet. Die Anlage liegt zwar landschaftlich sehr reizvoll und aussichtsreich nördlich des Starnberger Sees. Die Böden waren jedoch nur von mittlerer Güte, so dass die Villa zu den eher bescheidenen Vertretern ihres Bautyps gehört. Dennoch dokumentiert der Hof den relativ hohen Lebensstandard und die guten wirtschaftlichen Verhältnisse eines ehemaligen römischen Offiziers, der der Grabinschrift zufolge sogar dem Stadtrat einer größeren römischen Siedlung - einem Municipium - angehörte. Die Inschrift auf der Grabplatte nennt diese Stadt nicht eindeutig bzw. ist sie nicht mehr eindeutig zu entziffern (AELIA NO bzw AELIA AUG). Möglicherweise hatte der spätere Gutsherr nach seiner Entlassung aus der Armee einige Jahre in der etwa drei Tagesreisen entfernten Provinzhauptstadt Augusta Vindelicorum (Augsburg) gelebt. Die Berufung in das Amt des Stadtrates setzte ein beträchtliches Vermögen voraus und erfolgte auf Lebenszeit.

Die Villa befand sich etwa sechs Kilometer südlich des kleineren Siedlungsschwerpunktes Bratananium (Gauting), der von derartigen Gutshöfen im Umland aus versorgt wurde. Die Siedlung lag an der Straßenverbindung zwischen Augsburg und Salzburg. Als aufwändigster Bauteil entstand ein Hauptgebäude mit Fußbodenheizung (Hypocaustum) und einer Wanne. Neben dem gemauerten Haupthaus mit seinen Tuff- und Feldsteinfundamenten standen mindestens zwei Holzgebäude auf dem Areal. Die während der Ausgrabungen geborgenen Funde deuten darauf hin, dass hier neben dem Ackerbau auch Vieh gezüchtet wurde.

Auffällig ist die Ähnlichkeit der Leutstettener Villa rustica mit einigen Anlagen in der ehemaligen Provinz Britannien (u. a. Villa von Lockleys, Villa von Park Street bei St. Albans). Vielleicht orientierte sich der Bauherr tatsächlich an diesen Gutshöfen im heutigen England, die er während seines Militärdienstes kennengelernt haben könnte.

Die ersten Bodenfunde auf dem Areal der Villa rustica wurden dem Landesamt für Denkmalpflege 1978 gemeldet. Nach einer Begehung durch Dr. Erwin Keller - damals Konservator für den Bereich Oberbayern - führte man den Platz in den Ortsakten des Denkmalamtes als römische Siedlungsstelle. Das Gelände wurde allerdings weiterhin intensiv landwirtschaftlich genutzt und regelmäßig umgepflügt. Nach der Jahrtausendwende entschloss sich die Gesellschaft für Archäologie und Geschichte Oberes Würmtal e.V. (Gauting) zu einer Rettungsgrabung.

Viele der ab Herbst 2001 im Rahmen dieser Notgrabung geborgenen Funde stammen aus dem hölzernen Schöpfschacht des Brunnens. Die Eichenbohlen des Schachtes wurden um 133 n. Chr. gefällt. Neben Geschirrresten und einer Terra Sigillata-Schüssel eines Töpfers Cinnamus fanden sich auch zwei Hausschlüssel und eine Schreibtafel im Schutt des Brunnens.

2004 konnte der Schutzbau über dem Hypocaustum eingeweiht werden. Die knapp drei Meter hohe und 7,20 x 9,40 m große Stahl-Holz-Konstruktion (Hilmar Schneider, BDA) steht mit 18 Stützen auf Stahlbeton-Streifenfundamenten. Die außenliegende, rahmenlose Verglasung ermöglicht jederzeit einen Einblick in den Grabungsbereich des Hypocaustums. Nebenan wurde ein kleiner Aussichtshügel aufgeschüttet, der einen guten Überblick über das frei zugängliche Gelände ermöglicht.

Beschreibung

Der im Zuge der Ausgrabungen von 2001/02 aufgedeckte Grundriss des Hauptgebäudes (ca. 25 x 8 m) wurde durch Steinkörbe (Gabionen) rekonstruiert und ist frei begehbar. Der Bereich der Fußbodenheizung wird durch den Schutzbau in der Art einer „begehbaren Vitrine“ geschützt. Hier sind auch einige Funde und eine Nachbildung des Grabsteines aus St. Alto ausgestellt.

Der Eingang zum Haupthaus lag im Nordosten. Die Fußbodenheizung im Badebereich wurde von Süden befeuert, die Wanne schließt sich nach Westen an den beheizbaren Raum an. Dieser Gebäudeteil war möglicherweise zweigeschossig (Fachwerkobergeschoss). Der längere, wohl nur eingeschossige Nebentrakt läuft nach Westen und wird von einem nach Süden vorspringenden Anbau (Vorratsraum) abgeschlossen. Die Gebäude waren mit Lehmziegeln eingedeckt.

Der Komplex wurde mindestens einmal umgebaut und erweitert. Die verputzten Innenwände waren im Bereich des Bades "Pompejanischrot" gestrichen. Ein älterer Anstrich bestand aus weißen, ockerfarbenen und roten Farbfeldern, die wahrscheinlich durch dünne Farblinien getrennt wurden. Dieser Befund ist durch einige Putzreste gesichert.

Im Norden des Geländes konnte ein Mühlstein aufgefunden werden. Hier wurde offenbar das Getreide vermahlen und weiterverarbeitet.

Das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege verzeichnet das Bodendenkmal als Villa rustica der römischen Kaiserzeit unter der Denkmalnummer D-1-7934-0052.[2].

Zwischen der kleinen Kirche in Leutstetten, in der der Grabstein des Pintamus eingemauert ist, und der Villa rustica liegen zwei 1912 entdeckte römische Brandgräber des späten 2. Jahrhunderts.

Literatur

  • Silke Burmeister: Die römerzeitliche Besiedlung im Landkreis Starnberg. In: Provinzialrömische Forschungen. Festschrift für Günter Ulbert zum 65. Geburtstag. Espelkamp, 1995, S.217-236
  • W. Haas: Ein römischer Grabstein in der Kirche zu Leutstetten. In: Bericht des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege, Bd. 22. München, 1963, S. 89 ff
  • Stefan Mühlemeier, Michael Peters: Ein Fenster in die Römerzeit - Die Villa rustica von Leutstetten. (Starnberger Stadtgeschichte, Bd.2). Starnberg, 2008. ISBN 978-3-940115-01-0
  • Aladar Radnoti: Eine Grabinschrift aus Leutstetten (Lkr. Starnberg, Obb.). In: Chiron, Bd.2. München 1972, S.437-447

Einzelnachweise

  1. AE 1972, 359.
  2. Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege: Eintragung

Weblinks

48.01859611.3705127Koordinaten: 48° 1′ 6,9″ N, 11° 22′ 13,8″ O


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