Villikationssystem

Villikationssystem

Die Villikation (oder Hofverband) bezeichnet eine Einheit innerhalb einer speziellen Form der Grundherrschaft im Mittelalter, die klassische oder zweigeteilte Grundherrschaft genannt wird.

Inhaltsverzeichnis

Aufbau und Charakteristika

Im Mittelpunkt einer Villikation steht ein Herrenhof (Fronhof, lat. curtis). Um diesen Fronhof gruppieren sich untergeordnete Bauernstellen (Hufen, lat. mansi). Von dieser Unterteilung in Fronhof und abhängige Hufen leitet sich die Bezeichnung zweigeteilte Grundherrschaft ab. Der Fronhof ist der zentrale Hof des Grundherrn und verfügt über umfangreiche Eigenflächen (Salland, lat. terra salica). Diese Eigenflächen werden vom Herrn selbst oder einem Verwalter (Meier, lat. maior oder villicus) mithilfe des unfreien Hofgesindes und den Frondiensten der Hufenbauern bewirtschaftet. Die vom Fronhof abhängigen Hufen verleiht der Grundherr an Bauern, die diese Leihegüter zwar in Eigenwirtschaft betreiben, jedoch dem Fronhof abgabe- und frondienstpflichtig sind. Der Grad der Abhängigkeit kann hier sehr unterschiedlich sein. Statusunterschiede lassen sich vor allem von der Menge der zu leistenden Frondienste ableiten: Während der Großteil der abhängigen Bauern die übliche „Dreitagesfron“ zu leisten hatte, bei der der Bauer an drei Tagen der Woche auf dem Salland des Herren arbeiten musste, gab es Halbfreie (sog. Liten), deren Frondienste sich auf mehrere Wochen im Jahr beschränkten.

Charakteristisch für die Villikation im Gegensatz zu anderen Formen der Grundherrschaftsverfassung (insbesondere der Rentengrundherrschaft) ist die große Bedeutung des Personenverbandes: nicht das geliehene Gut liegt der Abhängigkeit des Bauern von seinem Herrn zugrunde, sondern seine persönliche Zugehörigkeit zum Herrschaftsverband. Der Bauer ist also nicht einfach Pächter eines landwirtschaftlichen Gutes gegen Grundzins, sondern seinem Herrn hörig, was zusätzlich bedeutet, dass der Herr ihn zu Arbeitsleistungen verpflichten kann und er die Gerichtshoheit (siehe Patrimonialgerichtsbarkeit) über ihn ausübt. Diese persönliche Bindung zwischen Herrn und Hörigem wurzelt in der feudalen Grundstruktur des Mittelalters, die von Otto Brunner als Austauschverhältnis „Schutz und Schirm“ (Grundherr) gegen „Rat und Hilfe“ (Höriger) charakterisiert worden ist.

Entwicklung und Auflösung

Die Villikation entwickelte sich im 7. Jahrhundert und war ursprünglich vor allem in den zentralen Gebieten des fränkischen Reichs zwischen Rhein und Loire verbreitet. Die Ausbreitung und Durchsetzung der Grundherrschaft als Hauptform der frühmittelalterlichen Herrschaftsverfassung brachte die Villikation auch in anderen Teilen West- und Mitteleuropas im 9. und 10. Jahrhundert zur vollen Entfaltung.

Infolge der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandlungsprozesse im Hochmittelalter (Landesausbau, Bevölkerungswachstum, Ausbreitung der Geldwirtschaft) löste sich die Villikationsverfassung allmählich auf. Auch die Grundherren selbst waren immer weniger fähig oder willens, die organisatorisch anspruchsvolle Wirtschaftsform der Villikation aufrecht zu erhalten und gingen schrittweise zu rentenbasierten Grundherrschaftssystemen über. Die Eigenwirtschaft wurde weitgehend aufgegeben, die Fronhöfe aufgelöst oder verliehen. Die damit zum größten Teil überflüssigen Frondienste wurden durch Geld- oder Naturalrenten ersetzt. Dieser Prozess vollzog sich - bei beträchtlichen Unterschieden von Region zu Region - im 12. und 13. Jahrhundert. Überreste der Villikationsverfassung wie etwa (meist auf wenige Tage im Jahr reduzierte) Frondienste, bestimmte auf persönlicher Abhängigkeit beruhende Abgaben (z.B. der Todfall) etc. bestanden jedoch auch noch im Spätmittelalter und hielten sich mancherorts bis ins 19. Jahrhundert.

Siehe auch:

Literatur

  • Jürgen Kuczynski: „Allgemeine Wirtschaftsgeschichte“ (8.Vorlesung: Die Wirtschaft des Feudalismus und das Land), Dietz Verlag Berlin (1949)
  • Werner Rösener: Artikel „Villikation“ in: Lexikon des Mittelalters, 10 Bde., Stuttgart (1977)-1999, Bd. 8, Sp. 1694 f.

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