Vomit Visions

Vomit Visions

Die Vomit Visions waren eine Punkband aus Hessen und die erste Band, die eine Platte auf dem Label Rock-O-Rama-Records veröffentlichte.

Inhaltsverzeichnis

Mitglieder

  • Eric Hysteric (Erich Knodt) Gitarren,
  • Hans Wurst (Volker Hanreich) Bass
  • Rola Rock (Roland ?) († 1989) Gesang
  • Dieter Krist Schlagzeug, Gitarre (2. Single)

Gastmusiker

  • Leigh Kendall Gitarre & Gesang (1. Single)
  • Gilles Punkette Gitarre (2. Single)

Geschichte

Ab 1973 machten Erich Knodt und Dieter Krist, die sich bei einem Konzert von Tina York kennengelernt hatten, mit einem 2-Spur-Tonbandgerät experimentelle Musikaufnahmen im Lo-Fi-Sound. Nachdem die beiden den Sommer 1976 in London verbracht hatten, wurde aus Knodt die Kunstfigur Eric Hysteric und Krist startete sein erstes Fanzine. Versuche eine Punkband zu gründen, scheiterten mehrmals, weil es in der hessischen Provinz keine geeigneten Mitstreiter gab.

1978 arbeiteten Hysteric und Krist als Roadies für XTC und verkauften Schallplatten auf dem Frankfurter Flohmarkt. Sie lernten Herbert Egoldt vom Rock-O-Rama-Versand (Köln) und Volker Hanreich (Gießen) kennen. Hanreich hatte enzyklopädische Kenntnisse der Popgeschichte und stand als Sammler obskurer amerikanischer Punksingles in Verbindung mit Gleichgesinnten wie Greg Shaw (Who Put The Bomp, Bomp Records) und Jello Biafra (Dead Kennedys, Alternative Tentacles). Sein Sendungsbewusstsein machte Hanreich zum idealen Autoren für die diversen Fanzine-Projekte von Krist. Unter dem Namen Hans Wurst verfasste er Essays, in denen er die journalistischen (New Musical Express, in Deutschland Sounds) und wissenschaftlichen (Cultural Studies) Erklärungsmuster von Punk (als Kunst und/oder „authentischer“ Ausdruck der Arbeiterklasse) zurück wies. Verkauft wurden Fanzines wie „Same Old Song“ und „Ultra Hard Core Punk Sounds“ bei Konzerten, auf dem Frankfurter Flohmarkt und in der Karl-Marx-Buchhandlung von Joschka Fischer und Daniel Cohn-Bendit.

Weder Hans Wurst noch der Soziologiestudent Rola Rock verfügten über musikalische Fähigkeiten, das heißt sie waren als Bassist und Sänger die perfekte Ergänzung zu Hysteric (Gitarre) und Krist (Drums). Unter dem Namen „S.C.U.M.“ (nach Valerie Solanas) fanden 1978/79 zwei oder drei chaotische Proben statt, die Hausverbote in den Jugendzentren von Gießen und Frankfurt-Höchst zur Folge hatten. Dann emigrierte Hysteric nach London und startete - mit Unterstützung der australischen Punk-Pioniere „The Last Words“ - eine Solo-Karriere.

Ohne Hysteric war S.C.U.M. schnell am Ende. In den folgenden Monaten konzentrierten sich die verbliebenen Bandmitglieder auf theoretische Erörterungen und die Produktion von Fanzines. Dies änderte ein Auftritt von Teenage Jesus & The Jerks beim New-York-Festival (mit den Undergroundfilmen von Scott & B. Beth sowie Adele Bertei) am 20. Juni 1979 im 042 (Nimwegen/Holland). Das Konzert endete nach acht Minuten, als Lydia Lunch Krist, der aus nächster Nähe Fotos für sein Fanzine knipste, ein (leeres) Bierglas ans Kinn knallte und von der Bühne stürmte. Beeindruckt von der konsequenten Performance beschlossen die drei Dilettanten als Vomit Visions Platten zu machen. Angesichts der gerade anlaufenden DIY-Welle (Desperate Bicycles, Swell Maps) entschied sich die Band gegen ein eigenes Label. Hanreich überredete Herbert Egoldt zur Gründung von Rock-O-Rama Records und zur Veröffentlichung einer EP der Vomit Visions.

Für Drums&Bass war die Zeit noch nicht reif. Deshalb wurden Eric Hysteric und Leigh Kendall (The Last Words) zur Platten-Produktion eingeflogen. Am 27. und 28. Dezember 1979 nahmen die Vomit Visions mit einer Zwei-Spur-Revox im Keller von Krist vier Songs auf. Ein Gig am 29. Dezember beim Geräusche-für-die-80er-Festival in Hamburg platzte, weil sich Hanreich eine Rippe brach, als im Gedränge vor dem Eingang der Markthalle ein Geländer umknickte und einige Dutzend Besucher auf ein angrenzendes Dach stürzten.

Als schwierig erwiesen sich die Vertragsverhandlungen mit Herbert Egoldt, der mit einem Buy-Out-Vertrag alle Nutzungsrechte an den Aufnahmen erwerben wollte. Krist bestand darauf, lediglich einen limitierten (Anzahl der hergestellten Platten) Lizenzvertrag abzuschließen, bei dem alle Rechte an den Aufnahmen bei der Band blieben. Als die „Punks Are The Old Farts Of Today“ EP im April 1980 erschien, waren Band und Labelboss bereits zerstritten. Für neuen Ärger sorgte der Versuch von Egoldt, die Rechte an den Kompositionen an seinen Musikverlag House Of Sound zu übertragen.

Während Alfred Hilsberg von „peinlich konventionellen Punk“ schrieb und das Zig-Zag-Magazine (No.102) die EP als „indescribably rotten“ bezeichnete, war in Ausgabe 3 von „Kill Your Pet Puppy“, dem zweiten Fanzine von Tony D., der 1976 bis 1979 Ripped & Torn herausgegeben hatte, zu lesen: „Far out man, makes Crass seem like a bunch of choirboys.“ Slash, das Hausblatt der LA-Punkszene kommentierte: „Great title, great name, great sound: they grate on the nerves. I love it. It has the superb production values of „Forming“ (erste Single der Germs)... It sure emptied my tummie quick.“

Akustisch nicht zu verstehen - aber wichtig - waren die Texte. Bevor die Diskurs-Strategen der Sounds die deutsche Variante der Indie-Ideologie überhaupt formulierten, hatten die Vomit Visions erkannt, dass die „unabhängigen“ Labels integraler Bestandteil der Kulturindustrie waren. Kritisiert wurden auch die konformistischen Punkfans, die beim Kauf überteuerter „limited editions“ und anderer Marketing-Gimmicks genauso fremdbestimmt agierten wie die Konsumenten der Massenmedien. Die von Theodor W. Adorno analysierte sadomasochistische Anpassung der Subjekte an das kulturindustriell Vorgegebene brachten die Vomit Visions auf den Punk(t): „You made me passiv. Now entertain me!“

Im Mai 1981 nahmen die Vomit Visions, ohne vorherige Proben, im Studio 61 (Diez) von Tom Dokupil (The Wirtschaftswunder) vier Songs auf, von denen drei veröffentlicht wurden. Die zweite Single erschien, demonstrativ ohne Label, mit (mindestens) drei Covern. Die erste Version zierte ein Bild der Krautrock-Legende Birth Control. Unter dem Titel Shove it up Your Ass veröffentlichten Rola Rock und Hans Wurst einige Hundert Exemplare mit einem Bild aus einem Pornomagazin. Krist konterte mit einem dritten Cover: einem Foto der Sex Pistols vom Auftritt im Gefängnis von Huddersfield am 25. Dezember 1977.

Musikalisch war die von Hans Wurst als Volker H. produzierte Platte eine perfekte Kopie des in Hollywood und Huntington Beach entwickelten Ultra Hardcore Punks. Diedrich Diederichsen kommentierte: „Sehr guter Punk von den Vomit Visions aus Deutschland: ultraschnell, ultrahart, absolute Müll-Musik, wovon es heute wirklich zu wenig gibt.“ (Sounds 1/1982)

Im Mai 1982 veröffentlichten Hysteric und Krist auf Wasted Vinyl Records „I Hate The World“, den nach Meinung von Rock und Wurst „zu kommerziellen“ vierten Song der zweiten Aufnahmesession. Unter dem Motto „Sell Out“ waren auf dem Cover Jello Biafra (wegen der Synergieeffekte mit einem Exemplar von „Same Old Song“ in der Hand) und Hans Wurst zu sehen. Aber bevor es zum Ausverkauf, zur Vereinnahmung durch die Kulturindustrie kam, lösten sich die Vomit Visions auf.

Eric Hysteric setzte zunächst in London seine Solo-Karriere fort, später war er treibende Kraft der Frankfurter Krawall-Kombo Der Durstige Mann und förderte als Besitzer von Orgasm Records u.a. die Part Time Punx. Rola Rock gab den Rock'n'Roll auf und konzentrierte sich auf Sex & Drugs. Er starb 1989 an einer Überdosis Heroin in Frankfurt.

Bekannter und einflussreicher als in Deutschland waren und sind die Vomit Visions in den USA:

  • Tesco Vee brachte ein ausführliches Interview mit der Band in seinem Fanzine „Touch And Go“ (No.19).
  • Die Dead Kennedys spielten 1983 mit ihrem Song „Religious Vomit“ (auf der „In God We Trust Inc.“ EP) in Titel und Sound auf die deutsche Punkband an. Darauf wies Patrick Orth, damals Herausgeber des Fanzines „Primitiefes Leben“ und später Geschäftsführer von JKP und V2 Records Deutschland, als Erster hin.
  • Ein Fan ist Henry Rollins, der in seinem als Buch veröffentlichten Tour-Tagebuch notierte: „2/17/83 Klon, Germany, 10:30 AM. About to leave for tonight’s show in Osnabruk. Yesterday was a trip. I met Volker and Eric Hysteric of Vomit Visions, one of my all time favorite german bands. They were real cool. They gave me the Vomit Visions singles I did not have.“

In der Wagner, Karajan, Kraftwerk, Neu und anderen deutschen Musikgrößen gewidmeten Ausgabe seiner Internetradioshow (22. Januar 2008) spielte Rollins "Entertain Me": "The Vomit Visions. Ancient german punk rock. I bought the "Punks Are The Old Farts Of Today"-EP about 150 years ago for 2 dollars. Today it goes on sale on ebay for way too much money."

  • Radio-DJ Rodney Bingenheimer, der legendäre „Mayor of the Sunset Strip“, hatte das Cover der „Punks Are The Old Farts Of Today“ EP noch Ende der 1980er Jahre im Studio von KROQ hängen.
  • Ende der 1990er Jahre erschienen zwei Songs auf einem der „Killed By Death“-Bootlegs.

Trivia

Lieblingsinterpreten der Vomit Visions (Quelle: Same Old Song 30, 8/80):

1982 wählte Susanne Wiegand (No Time Gallery, Düsseldorf) den Teenage-Jesus-And-The-Jerks-Konzertbericht von Hans Wurst (zuerst veröffentlicht in Same Old Song Nr.?, 1979) für eine Sammlung von Fanzine-Texten aus, die im Rahmen der von ar/gee gleim herausgegebenen Foto-Dokumentation „Guter Abzug“ erschien.

Diskographie

Singles

  • Punks Are The Old Farts Of Today EP (Punks Are The Old Farts Of Today – Entertain Me / Limited Brain – Fantasy World) 0801 (3/80)
  • Too Late – Nasty Stains / Someone VV Records 0208 (Birth Control Cover) (8/81)
  • Shove It Up Your Ass! (Too Late – Bliss / Someone) VV Records 0208 (Porno Cover) (10/81)
  • Too Late – Nasty Stains / Someone Wasted Vinyl Waste 3 (Sex Pistols Cover) (10/81)
  • I Hate The World / Life (Eric Hysteric) Wasted Vinyl Waste 45 (6/82)

Kompilationen:

  • I'm Waiting For My Man (S.C.U.M Live) (A Taste Of Waste) Wasted Vinyl Records Promo-Cassette (1980)
  • I Wanna Be Your Dog (S.C.U.M. Demo) (Bored Of Directors Compilation) Empty Records MT 011 (1986)
  • Punks Are The Old Farts Of Today (Killed By Death 14) (1998)
  • Someone (Killed By Death 14) (1998)

Quellen

  • BILD-Zeitung (31. Dezember 1979) (Lokalausgabe Hamburg)
  • BRUCKMAIER, Karl (1990): Popalphabet: Eric Hysteric (Bayern2, Zündfunk)
  • FANZINES: „Same Old Song“, „Ultra Hard Core Punk Sounds“ und „Primitiefes Leben“ (alle Frankfurt), Kill Your Pet Puppy (London), Maximum Rock’n’Roll (Berkeley), Touch & Go (East Lansing), Flipside (Los Angeles).
  • HILSBERG, Alfred (1980), Neue Deutsche Welle. Eine Diskographie deutscher New Wave-Platten, in: Klaus HUMAN / Carl-Ludwig REICHERT (1980), Rock-Session 4, Reinbek: RoRoRo
  • ROLLINS, Henry (1994), Get In The Van. On The Road With Black Flag, 2.13.61 Publications
  • ROLLINS, Henry (2008), Radioshow tracklist, URL: http://www.rollins-archive.com/2008/2008/01/january-22-2008.html
  • WALTER, Klaus (1993), Dicker Stefan, gutes Kind, in: ANNAS, Max / Ralph CHRISTOPH (1993), Neue Soundtracks für den Volksempfänger, Berlin: Edition ID-Archiv
  • WASTED VINYL RECORDS
  • ZEITSCHRIFTEN: Musikexpress (D), New Musical Express (GB), New York Rocker (USA), Slash (USA), Sounds (D), Zig-Zag (GB)

Weblinks


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