Wehrmacht-Untersuchungsstelle

Wehrmacht-Untersuchungsstelle

Die Wehrmacht-Untersuchungsstelle – vollständig Wehrmacht-Untersuchungsstelle für Verletzungen des Völkerrechts, abgekürzt: WUSt – wurde durch einen Erlass Wilhelm Keitels, Chef des Oberkommandos der Wehrmacht (OKW), vom 4. September 1939 als Unterabteilung der Wehrmacht-Rechtsabteilung im OKW gebildet.[1] Gemäß ihrem Gründungserlass sollte sie dieselben Aufgaben besitzen wie die Militäruntersuchungsstelle im Preußischen Kriegsministerium während des Ersten Weltkriegs.[2] Ihr Auftrag bestand darin, „die von den gegnerischen Militär- und Zivilpersonen gegen deutsche Wehrmachtangehörige begangenen Verstöße gegen das Völkerrecht festzustellen und zugleich die vom Auslande gegen die deutsche Wehrmacht in dieser Hinsicht erhobenen Vorwürfe aufzuklären“.[3][4] Zweck war die Durchführung von Prozessen gegen in deutsche Hände gefallene Verdächtige, die Substantiierung diplomatischer Proteste und die Unterstützung der Propaganda, wobei die WUSt jedoch selbst keine Verfahren einleitete.[4][5]

Ständige Mitglieder der WUSt waren der Rechtsanwalt und Notar Johannes Goldsche, der bereits während des Ersten Weltkrieges als stellvertretender Leiter der Militäruntersuchungsstelle der preußischen Armee tätig war. Daneben waren Feldkriegsgerichtsrat Dr. Martin Heinemann, der vor dem Krieg den Posten eines Kammergerichtsrates in Berlin innehatte, sowie Oberkriegsgerichtsrat der Reserve Dr. Hermann Huvendick (als Richter im Zivilberuf) und Kriegsgerichtsrat der Reserve Dr. Lothar Schöne (ebenso Richter vor Kriegsausbruch) ständige Mitglieder der WUSt. Daneben gab es noch eine Reihe von sogenannten nicht ständigen Mitgliedern.[6]

Die WUSt führte selbst keine Ermittlungen durch, sondern war auf die Unterstützung der Amtsgerichte bei der Beweiserhebung bzw. Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen angewiesen. Die Ermittlungen von Kriegsverbrechen nahmen die Ic/AO-Stellen (Feindnachrichten-/Abwehroffizier) bei den Divisionsstäben bzw. Ortskommandanturen vor.[7] Dabei wurden sie von Militärrichtern unterstützt. Die Ermittlungsergebnisse wurden in Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt zu Weißbüchern zusammengestellt, die als Propaganda für das neutrale Ausland gedacht waren.[8]

Von den etwa 8.000 Ermittlungsfällen sind rund die Hälfte der Akten in 226 Aktenbänden erhalten geblieben, der Rest ist in Folge mehrerer Brände und eines großen Luftangriffs auf Potsdam im April 1945 zerstört worden. Von den erhaltenen 226 Bänden hat lediglich einer deutsche Kriegsverbrechen zum Inhalt, deren Untersuchungen durch die WUSt jedoch ergebnislos verliefen und keine Verfahren nach sich zogen. So kam die WUSt beispielsweise im Falle des Malmedy-Massakers zu dem Ergebnis, „daß Erschießungen amerikanischer Kriegsgefangener nicht vorgekommen sind. Der Bericht, der dem amerikanischen State Department von 15 angeblichen Überlebenden gemacht sein soll, ist daher unzutreffend“.[9]

Das Aktenmaterial wurde bei Kriegsende von US-Streitkräften beschlagnahmt. 1950 wurden die Bestände nach Alexandria im US-Bundesstaat Virginia verbracht, 1965 durften sie erstmalig eingesehen werden. Schließlich gelangten die Bestände 1968 in die Bundesrepublik Deutschland zurück und lagern zurzeit im Bundesarchiv-Militärarchiv in Freiburg im Breisgau. Ab Mitte der 1970er Jahre wurden die Akten von einer Forschergruppe um den amerikanischen Historiker Alfred de Zayas erstmals einer wissenschaftlichen Auswertung unterzogen. Spätere Historiker kritisieren an seinen Veröffentlichungen, dass sie sich weitgehend auf NS-Quellen stützen. Die Behauptung de Zayas, „daß die Richter der Wehrmacht auch unter den Bedingungen einer totalen Diktatur eine […] unabhängige Rechtsprechung wahren“ konnten,[10] wurde von mehreren Historikern widerlegt.[3][11]

Literatur

  • Alfred M. de Zayas: Die Wehrmachtuntersuchungsstelle, 6. überarbeitete Auflage, Universitas-Verlag, München 1998, ISBN 3-8004-1051-6
  • M. Messerschmidt, F. Wüllner: Die Wehrmachtsjustiz im Dienste des Nationalsozialismus. Zerstörung einer Legende. Baden-Baden 1987, ISBN 3-7890-1466-4
  • F. Wüllner: Die NS-Militärjustiz und das Elend der Geschichtsschreibung. Ein grundlegender Forschungsbericht. Baden-Baden 1995, ISBN 3-7890-4578-0
  • E. Rabofsky, G. Oberkofler: Verborgene Wurzeln der NS-Justiz. Strafrechtliche Rüstung für zwei Weltkriege. Wien 1985, ISBN 3-203-50906-7
  • Andreas Toppe: Militär und Kriegsvölkerrecht. Rechtsnorm, Fachdiskurs und Kriegspraxis in Deutschland 1899-1940, Oldenbourg Wissenschaftsverlag, München 2008, ISBN 978-3-486-58206-2

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Heeresverordnungsblatt 1939, Teil C, Blatt 26, S. 310 vom 15. Sep. 1939; gleichlautend im Luftwaffenverordnungsblatt 1939, Teil A vom 18. Sep. 1939, S. 230 sowie im Marineverordnungsblatt 1939, S. 633.
  2. Alfred de Zayas, S. 63.
  3. a b Bundesarchiv (Hrsg.): Europa unterm Hakenkreuz. Die Okkupationspolitik des deutschen Faschismus (1938-1945). Achtbändige Dokumentenedition. Bd. 8, Analysen, Quellen, Register, Heidelberg 1996, ISBN 3-7785-2338-4, S. 349.
  4. a b Enzyklopädie des Nationalsozialismus, Klett-Cotta, Stuttgart 2007, ISBN 978-3-423-34408-1, S. 870.
  5. Alfred de Zayas, S. 65.
  6. Alfred de Zayas, S. 66f.
  7. Andreas Toppe: 2008, S. 190.
  8. Andreas Toppe: 2008, S. 240.
  9. Alfred de Zayas, S. 215.
  10. Alfred de Zayas, S. 76.
  11. Andreas Toppe: Militär und Kriegsvölkerrecht. Rechtsnorm, Fachdiskurs und Kriegspraxis in Deutschland 1899-1940, Oldenbourg Wissenschaftsverlag, München 2008, ISBN 978-3-486-58206-2, S. S. 197f.

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