Völkerrecht

Völkerrecht
Der Westfälische Friede gilt als einer der Ursprünge des neuzeitlichen Völkerrechts.

Das Völkerrecht (Lehnübersetzung zu lat. ius gentium, „Recht der Völker“) ist eine überstaatliche Rechtsordnung, durch die die Beziehungen zwischen den Völkerrechtssubjekten (meist Staaten) auf der Grundlage der Gleichrangigkeit geregelt werden. Der Begriff Internationales Recht wird seit dem 19. Jahrhundert oft synonym verwendet, welches u. a. auf den starken Einfluss des englischen Fachbegriffs international law zurückzuführen ist.

Wichtigste positivrechtliche Rechtsquelle des Völkerrechts ist die Charta der Vereinten Nationen und das in ihr niedergelegte Allgemeine Gewaltverbot, das als Völkergewohnheitsrecht auch über die Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen hinaus verbindlich ist und jedem Staat einen Angriffskrieg verbietet.

Das supranationale Recht gilt als Besonderheit des Völkerrechts, weil es ebenfalls überstaatlich organisiert ist, weist allerdings durch die Übertragung von Hoheitsgewalt auf zwischenstaatliche Einrichtungen einige Besonderheiten auf, die nicht vollständig mit dem Völkerrecht erklärbar sind.

Inhaltsverzeichnis

Allgemeines

Der wesentliche Unterschied zwischen dem Völkerrecht und dem innerstaatlichen Recht besteht im Fehlen eines zentralen Gesetzgebungsorgans. Das klassische Völkerrecht wird den Staaten nicht oktroyiert, sondern stellt eine Koordinationsordnung zwischen ihnen dar. Vor ihm wurden nur die „christlichen“, später die „zivilisierten“ – also die europäischen Staaten – als Völkerrechtssubjekte anerkannt, was den Kolonialismus als legal erscheinen ließ. In der heutigen Völkerrechtsordnung, die sich insbesondere in der Charta der Vereinten Nationen widerspiegelt, sind dagegen sämtliche Staaten gleichberechtigte Subjekte. Deshalb gilt grundsätzlich das Prinzip „Ein Staat, eine Stimme.“[1]

In den letzten Jahrzehnten gibt es Entwicklungen hin zu einer zentralen Rechtsetzung im Völkerrecht. Vorhanden war diese Tendenz bereits zuvor, sie wird vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen aufgegriffen, der insbesondere nach den Terroranschlägen am 11. September 2001 dazu übergegangen ist, noch nicht von allen UN-Mitgliedstaaten akzeptierte Verpflichtungen zur Terrorismusbekämpfung zu allgemein geltendem Recht mit Wirkung für und gegen alle Mitgliedstaaten zu erklären und sich dem zwingenden Recht, dem sogenannten ius cogens, zu nähern (vgl. Resolution 1373 und das Counter Terrorism Committee und Resolution 1540). Diese Entwicklung wird teilweise kritisch, teilweise gar skeptisch gesehen, weil es nicht der Konzeption des Sicherheitsrates als Exekutivorgan entspricht, der sich mit der Lösung einzelner Konflikte beschäftigen und nicht als „Weltgesetzgeber“ auftreten soll.

Zu unterscheiden ist zwischen dem Friedens- und Kriegsvölkerrecht, wobei das Friedensvölkerrecht auch die Normen umfasst, die den rechtmäßigen Einsatz von militärischer Gewalt regeln (ius ad bellum), während als Kriegsvölkerrecht das im Krieg geltende Recht bezeichnet wird (ius in bello). Grundsätzlich kein Teil des Völkerrechts ist das internationale Privatrecht. Dieser Begriff bezeichnet vielmehr – ungeachtet eines oftmals völkerrechtlichen Hintergrunds – diejenigen staatlichen Normen, die das anzuwendende Recht bestimmen, wenn ein Sachverhalt mehrere staatliche Rechtsordnungen berührt.

Völkerrechtssubjekte

Völkerrechtssubjekte sind in erster Linie Staaten (konstituierend für einen Staat sind nach der Drei-Elemente-Lehre Georg Jellineks die drei Merkmale Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsgewalt). Jedoch existieren heute auch andere Völkerrechtssubjekte wie zum Beispiel Internationale Organisationen, die von Staaten oder anderen internationalen Organisationen gegründet werden können. Nichtstaatliche Organisationen (Non governmental organizations [NGOs] von Privatrechtssubjekten gegründet) haben grundsätzlich keine Völkerrechtssubjektivität. Zunehmend werden jedoch multinationalen Unternehmen, Nichtregierungsorganisationen und Individuen bestimmte völkerrechtliche Rechte und Pflichten zugeordnet. Aus historischen Gründen sind das Internationale Komitee vom Roten Kreuz, der Heilige Stuhl und der Souveräne Malteser Ritterorden weiterhin eigenständige Völkerrechtssubjekte.

Quellen des Völkerrechts

Quellen des Völkerrechts sind bi- oder multilaterale völkerrechtliche Verträge, Völkergewohnheitsrecht und allgemeine Rechtsgrundsätze (vgl. Art. 38 I lit a, b, c IGH Statut):

  • Völkervertragsrecht entsteht durch Vertragsschluss und anschließende Ratifikation zwischen den beteiligten Völkerrechtssubjekten.
  • Das Völkergewohnheitsrecht setzt sich aus den Elementen der langandauernden Übung (etliche Jahre, in einigen sich schnell verändernden Rechtsgebieten eventuell weniger – consuetudo) und der Überzeugung, dass diese Übung rechtens sei (opinio iuris), zusammen (Völkervertragsrecht hat trotz seiner Schriftlichkeit keinen Vorrang vor Völkergewohnheitsrecht!). Will ein Staat seine Bindung an im Entstehen begriffenes Völkergewohnheitsrecht verhindern, so muss er ihm ausdrücklich und, solange die anderen Staaten an ihrer Überzeugung festhalten, auch wiederholt widersprechen („persistent objector“).
  • Die allgemeinen Rechtsgrundsätze bestehen aus allen innerstaatlichen Rechtsordnungen gemeinsamen Prinzipien, Grundsätzen, die jedweder Rechtsordnung immanent sind, zum Beispiel pacta sunt servanda (Verträge müssen eingehalten werden), lex specialis derogat legi generali (das speziellere Gesetz geht den allgemeineren Gesetzen vor) oder lex posterior derogat legi priori (ein späteres Gesetz geht einem vorherigen vor), venire contra factum proprium (Zuwiderhandlung gegen das eigene frühere Verhalten), Prinzipien, die auf dem speziellen Charakter des Völkerrechts beruhen, und Grundsätzen der Rechtslogik.[1]

Neben diesen klassischen Völkerrechtsquellen haben sich jedoch auch einseitige Rechtsakte als Völkerrechtsquelle entwickelt, auch wenn sie nicht in der Aufzählung von Art. 38 I IGH Statut erscheinen. Solche einseitigen Rechtsakte können sowohl von Staaten stammen, als auch von internationalen Organisationen. Ihre rechtliche Verbindlichkeit ist jedoch variabel. Umstritten ist der Rechtscharakter von sogenanntem Soft Law.

Gemäß Art. 38 I lit d IGH Statut hat der Internationale Gerichtshof Entscheidungen internationaler Gerichte und die Völkerrechtslehre als Hilfsquellen zur Interpretation der oben genannten Quellen heranzuziehen.

Verhältnis des Völkerrechts zum nationalen Recht

Das Verhältnis zwischen Völkerrecht und nationalem Recht lässt sich nur in Zusammenschau mit der jeweiligen staatlichen Rechtsordnung beantworten. Monismus (Völkerrecht und nationales Recht bilden eine einheitliche Ordnung) und Dualismus (Völkerrecht und nationales Recht sind völlig getrennte Rechtsordnungen) stellen zwei theoretische Extreme dar, die in der Praxis nirgends in Reinform anzutreffen sind. Das untenstehende Schaubild gibt einen Überblick über die verschiedenen Ansätze.

Die Frage, ob eine völkerrechtliche Norm vom innerstaatlichen Rechtsanwender zu beachten ist, entscheidet sich allein danach, ob das jeweilige innerstaatliche Recht einen Umsetzungsakt verlangt oder nicht. Allgemein lässt sich jedoch sagen, dass die innerstaatliche Anwendung von Völkerrecht eigentlich in allen Rechtsordnungen eine bestimmt genug formulierte Norm voraussetzt, die nicht nur an Staaten adressiert ist. Solche Normen werden als self-executing bezeichnet (nach richtiger Auffassung ist dieser Begriff jedoch dem jeweiligen nationalen Recht, nicht dem Völkerrecht zuzuordnen). In Deutschland sind gemäß Art. 25 S. 1 Grundgesetz Völkergewohnheitsrecht und allgemeine Rechtsprinzipien unmittelbar anwendbar und stehen über den Bundesgesetzen. Völkervertragsrecht bedarf der Transformation, die in der Regel mit der innerstaatlichen Ratifikation (Vertragsgesetz nach Art. 59 Abs. 2 GG) zusammenfällt und steht auf dem Rang eines Bundesgesetzes.

Durch die Ratifizierung des Römischen Statuts vom 17. Juli 1998 über einen internationalen Strafgerichtshof (ICC) durch 139 Staaten, die am 1. Juli 2002 in Kraft getreten ist, wurde eine neue Gewichtung des internationalen Rechts geschaffen, die es zulässt, ohne die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen eines Staates, sich auf internationale Rechtsnormen und Vertragsrecht zu berufen. Die ICC-Norm führt die Säulen des römischen Rechts von ius privatum und ius publicum in das internationale Recht ein und unterstreicht damit die Normenhierarchie des ius cogens. Eine Klage vor dem ICC wird in Deutschland nach § 21 GVG zugelassen; die ICC-Norm wurde in § 100a StPO (Abschnitt 10: Völkerstrafgesetzbuch) eingefügt.

Theorien zum Verhältnis von Völkerrecht zu nationalem Recht, zum innerstaatlichen Vollzug, Anwendbarkeit und innerstaatlicher Rang

Geschichte des Völkerrechts

Bereits in der Antike waren Parlamentärsverhandlungen üblich, um Schlacht- und Kriegsfolgen zu mindern. Als erste 'völkerrechtliche' Vereinbarung lässt sich das Kriegsverbot zu Zeiten der olympischen Spiele verstehen, die als panhellenischer Wettkampf verstanden wurden.

Die Eroberungen Alexander des Großen schufen eine hellenistische Welt, die durch kunstvolle Diplomatie mittelmeerische Rechtsgrundlagen schufen, die durch das Römische Reich adaptiert und entwickelt wurden und im Codex Iustinianus ihren Höhepunkt fanden.

1625 fasste Hugo Grotius in seinem Werk De jure belli ac pacis („Über das Recht des Krieges und des Friedens“) die bis dahin entwickelten Regeln zusammen. Sie wurden weiterentwickelt von Samuel von Pufendorf, Christian Wolff und anderen. Den Stand des Völkerrechts gegen Ende des 18. Jahrhunderts hat de Vattel zusammengefasst.[2]

1899 und 1907 wurden in den Haager Friedenskonferenzen kriegsvölkerrechtliche Regelungen festgelegt und der Haager Schiedsgerichtshof eingerichtet. Die Haager Landkriegsordnung wurde zur völkerrechtlichen Doktrin der zwei Weltkriege des 20. Jahrhunderts.

Einer der entscheidenden Aspekte des modernen Völkerrechts, das Gewaltverbot, trat durch den Ersten Weltkrieg lange Zeit so zurück[3], dass es erst nach dem Ende des Ersten Weltkriegs zum ersten Mal im Briand-Kellogg-Pakt (Kriegsächtungspakt) zwischen den beteiligten Staaten vereinbart wurde. Zuvor beschränkte sich das Völkerrecht, was den Krieg angeht, darauf, zu versuchen, Grausamkeiten einzudämmen und die Zivilbevölkerung zu schützen. Mit dem Völkerbund (gegründet 1919) und seiner Nachfolgeorganisation, den Vereinten Nationen (seit 1945), wurde erstmals eine gemeinsame internationale Ebene geschaffen, die auf die Sicherung eines für alle Staaten verbindlichen Völkerrechts abzielt.

Die Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York

Als Meilensteine des (positiven) Völkerrechts, sind zu nennen:

Theorie des Völkerrechts

Die Theorie des Völkerrechts betrifft zum einen die Frage der Normativität von Völkerrecht (mithin die Ebene der Rechtstheorie), zum anderen die Frage einer Gesamtbeschreibung des Völkerrechts, die einmal auf der höchsten dogmatischen Abstraktionsstufe (deskriptiv), ein andermal auf der Ebene der Rechtsphilosophie (normativ) erfolgen kann.

Normativität des Völkerrechts

Die Normativität des Völkerrechts wurde von der Naturrechtslehre aus dem göttlichen Willen abgeleitet. Voluntaristische Theorien führen sie auf den Willen der Völkerrechtssubjekte zurück, die den jeweiligen Rechtsnormen zugestimmt haben. Teilweise wird dabei auf die Selbstbindung der Staaten (Hegel, Erich Kaufmann), teilweise auf den Konsens unter den Staaten abgestellt (Triepel, Rechtspositivismus). Hans Kelsen führte sie auf eine hypothetische Grundnorm zurück, die von anderen Autoren als reine Fiktion kritisiert wurde (Kelsen entgegnet in seiner letzten Veröffentlichung: sie ist reine Fiktion, denn die Geltung jeder Rechtsordnung beruhe auf einer praktischen Fiktion, die eben vom Willen der Teilnehmer abhänge[5], eine Selbstbegründung sei denk-unlogisch). Soziologische Ansätze stellen auf die soziale Natur des Menschen und die natürliche Solidarität unter den Völkern ab (Georges Scelle).

Der Rechtscharakter des Völkerrechts wurde und wird von zahlreichen Autoren bestritten. Kelsen, bekennender Anhänger der Völkerrechtsidee[6], erkannte dem seinerzeitigen Völkerrecht vor allem wegen weitgehend fehlender Durchsetzungsmechanismen nur den Charakter von in Entstehung befindlichem Recht zu. H.L.A. Hart bestritt zwar nicht den Rechtscharakter des Völkerrechts, hielt es allerdings nur für eine Ansammlung primärer Regeln, denen es zumindest zu seiner Zeit noch an einer allgemein akzeptierten, sekundären rule of recognition fehle. Heute bestreiten vor allem einige US-amerikanische Autoren die Normativität des Völkerrechts und sprechen ihm die Eigenschaft ab, auf das Verhalten von Staaten einwirken zu können. Während die New Haven School noch eine begrenzte Normativität des Völkerrechts anerkennt, sehen dies manche Vertreter einer ökonomischen Analyse des Rechts wie Jack Goldsmith und Eric A. Posner anders. Nach ihnen ist das Völkerrecht rein epiphänomenal: Staaten interessierten sich vor allem für ihre Sicherheit und die Mehrung ihrer Macht. Aufgrund dieser Interessen verhielten sich Staaten in gewissen Situationen gleichförmig. Werde dieses gleichförmige Staatenverhalten nun mit dem Prädikat „Gewohnheitsrecht“ versehen, so habe dies dennoch keinen Einfluss auf das Staateninteresse. Denn sobald sich etwa die Umstände derart änderten, dass ein Staat bei abweichendem Verhalten seine Interessen besser befriedigen könne, ändere dieser Staat sein Verhalten entsprechend. An eine mögliche Beschädigung seines Rufs verschwende der Staat dabei keinen Gedanken. Andere Vertreter der ökonomischen Analyse (Joel Trachtman, Andrew Guzman) gelangen mit ihren Modellen zu dem Ergebnis, dass das Völkerrecht in gewissen Situationen durchaus Einfluss auf das Staatenverhalten haben könne, da ein potenzieller Rechtsbrecher Reputationsverluste in seine Kalkulation miteinbeziehe. Das Völkerrecht besitzt nach ihnen also eine – wenn auch begrenzte – Normativität. Teile der Critical Legal Studies halten Recht für ein Instrument zur Verbrämung hegemonialer Machtpolitik und bringen seiner Normativität deswegen Skepsis entgegen.

In Kontinentaleuropa wird dagegen oftmals auf der Basis eines, auf den Staatenkonsens gestützten, Rechtspositivismus gearbeitet, ohne die Frage der Normativität des Völkerrechts weiter zu problematisieren.

Theoretische Gesamtbeschreibung des Völkerrechts

Die aktuelle Diskussion um eine theoretische Gesamtbeschreibung der Völkerrechtsordnung wird in Europa von zwei Begriffen beherrscht, dem der „internationalen Gemeinschaft“ und dem der „Konstitutionalisierung“. Die Diskussion findet auf verschiedenen Ebenen statt und betrifft einerseits deskriptive (retrospektive/dogmatische), andererseits normative (prospektive/philosophische) Aussagen über das Völkerrecht, was gelegentlich zu Missverständnissen führt.

  • Die Diskussion um die „internationale Gemeinschaft“ gewann durch die Verwendung dieses Begriffs in den Artikeln zur Staatenverantwortlichkeit der UN-Völkerrechtskommission von 2001 an Aktualität (Art. 33 (1) u. a.). Die Existenz einer „internationalen Gemeinschaft“ wird meist an gewissen aus der Rechtsordnung ableitbaren Gemeinschaftswerten festgemacht (Menschenrechte, Umweltschutz). Dogmatisch hat die Existenz von solchen Gemeinschaftswerten Konsequenzen u. a. für die Begründung von Normenhierarchien (z. B. ius cogens) oder für das Entstehen von Pflichten für Staaten gegen deren Willen. Dies wäre nach dem klassischen, auf zwischenstaatliche Koordination oder Kooperation ausgerichteten Völkerrecht undenkbar.
  • Parallel dazu wird von einer Konstitutionalisierung des Völkerrechts gesprochen. Diese Diskussion stützt sich – bei allen Unterschieden im Detail – auf zwei Beobachtungen: Einerseits stellten staatliche Verfassungsdokumente aufgrund des stetig sich verdichtenden Netzes internationaler Rechtsbeziehungen, in das Staaten eingebunden sind, heute nur noch eine unvollständige Rechtsgrundlage für das Regieren in einem Staat dar. Die Verfassung eines Staats könne daher nur unter Einbeziehung der Völkerrechtsordnung begriffen werden. Andererseits erlaubten es verschiedene Entwicklungen im Völkerrecht, dort Elemente einer Verfassung auszumachen (z. B. Normenhierarchie, Frage des Verfassungscharakters der UN-Charta). Dogmatische Auswirkungen hat die Konstitutionalisierungsdebatte etwa auf die Frage, wieweit die domaine reservé eines Staats reicht, oder ob Normenkollisionen nach Wertungspräferenzen gelöst werden dürfen. Hierin zeigt sich eine gewisse Überschneidung der Diskussionen um „internationale Gemeinschaft“ und „Konstitutionalisierung“.

Neben diesen beiden v. a. in Kontinentaleuropa geführten Diskussionen darf nicht über eine verbreitete und massive Skepsis unter Staatenvertretern und Völkerrechtlern hinweggesehen werden. Viele von ihnen sehen in den Staaten nach wie vor die zentralen Völkerrechtssubjekte. Sie verweisen dabei nicht nur auf die institutionelle Schwäche der „internationalen Gemeinschaft“, sondern auch auf die Gefahr der Willkür, die die Einführung von wertenden Elementen ins Völkerrecht birgt.

Eine weitere Debatte beschäftigt sich mit der Frage, ob das Völkerrecht nicht auf eine zunehmende Fragmentierung zusteuert. Diese Debatte geht von zwei Beobachtungen aus: Erstens kommt es zwischen verschiedenen völkerrechtlichen Regimen immer häufiger zu Normenkollisionen (z. B. zwischen Welthandelsrecht und Umweltvölkerrecht oder zwischen Investitionsschutzrecht und den Menschenrechten). Zweitens kommt es zwischen den immer zahlreicher werdenden internationalen Gerichtshöfen und Schiedshöfen zu Überschneidungen in der Zuständigkeit, was zu Kompetenzkonflikten (z. B. zwischen dem Internationalen Seegerichtshof und dem Europäischen Gerichtshof im MOX Plant Case) oder unterschiedlichen Entscheidungen in derselben Frage (z. B. zwischen Internationalem Gerichtshof und Jugoslawientribunal in der Frage der Zurechnung des Handelns von nichtstaatlichen Akteuren – Nicaragua-Fall vs. Tadič-Entscheidung) führt. Die Fragmentierungs-Diskussion kann in gewisser Weise als Kritik an der im Rahmen der Konstitutionalisierungsdebatte von manchen Autoren vertretenen These von der Einheit der Völkerrechtsordnung verstanden werden. Im Jahr 2006 verabschiedete die Völkerrechtskommission einen Bericht über den Umgang mit Normenkollisionen.

Aktuelle Entwicklungen

Heute heftig umstrittene und für die zukünftige Entwicklung des Völkerrechts entscheidende Gebiete sind: das ius cogens, die humanitäre Intervention als Ausnahme vom Gewaltverbot und (aus aktuellem Anlass) die präventive Selbstverteidigung. Welche Normen zum ius cogens gehören, ist im Einzelnen umstritten, jedoch zählen in jedem Fall der Kern des Gewaltverbots und elementare Menschenrechte zum zwingenden Bestand des Völkerrechts. Weitere von der Völkerrechtskommission (ILC) als denkbar genannte Beispiele umfassen Handlungen wie Sklavenhandel, Piraterie und Völkermord, die Verletzung der Gleichheit der Staaten sowie des Selbstbestimmungsrechts der Völker.

Humanitäre Interventionen

Bei der humanitären Intervention sind nicht nur die meisten Stellungnahmen sehr politisch gefärbt, vor allem herrscht oft Begriffsverwirrung. Zunächst wird zwischen Interventionen zur Rettung eigener Staatsangehöriger und der zur Rettung anderer Menschen unterschieden. Die Intervention zur Rettung eigener Staatsangehöriger auf fremdem Gebiet wird zum Teil als völlig unzulässig angesehen und von anderen Autoren mit der Völkerrechtsverletzung (Schutzpflichten) des Staates, in dem die Ausländer festgehalten werden, oder aber mit dem Hinweis gerechtfertigt, dass die Intervention gar nicht auf eine fremde Staatsgewalt, sondern auf eine kriminelle Gruppierung abziele. Bei den humanitären Interventionen zur Rettung anderer Menschen muss wiederum zwischen den vom Sicherheitsrat autorisierten und den nicht von ihm autorisierten unterschieden werden.

Die Charta der UN gibt dem Sicherheitsrat die Möglichkeit, gegen ein als „Bedrohung des Weltfriedens“ qualifiziertes Verhalten eines Staates zuletzt auch militärische Sanktionen zu verhängen. Hierzu sind gewohnheitsrechtlich keine direkt dem Sicherheitsrat unterstellten Truppen erforderlich, vielmehr werden Staaten zur Gewaltanwendung ermächtigt. Es ist umstritten, ab wann innerstaatliche Vorgänge den Weltfrieden gefährden, jedoch sieht der Sicherheitsrat diesen regelmäßig als bedroht an, wenn Völkermord oder so genannte „ethnische Säuberungen“ Fluchtbewegungen auslösen, die auf die Nachbarstaaten übergreifen. Selbst wenn sich der innerstaatlich vorangetriebene Völkermord nicht auf die Nachbarstaaten auswirkt (z. B. keine Flüchtlingsströme), kann eine Bedrohung des Weltfriedens gegeben sein. Denn nach mittlerweile herrschender Auffassung wirkt das Verbot des Völkermordes „erga omnes“, begründet also eine Verpflichtung gegenüber allen Staaten der internationalen Gemeinschaft. Zudem zählt das Verbot des Völkermordes zum „ius cogens“ und ist somit eine zwingende völkerrechtliche Norm. Völkermord betrifft damit immer die gesamte Staatengemeinschaft. Gleiches gilt wohl auch für gravierende und systematische Verstöße gegen elementare Menschenrechte.

Insbesondere durch das Vetorecht der ständigen Mitglieder oder politisch prekäre Konstellationen ist der Sicherheitsrat jedoch oftmals beschlussunfähig. Hier tut sich die eigentliche Fragestellung auf: Dürfen die Staaten bei Handlungsunfähigkeit des Sicherheitsrats als „ultima ratio“ auch unilateral bzw. multilateral Gewalt anwenden? Eine Ansicht verneint dies kategorisch mit Hinweis auf das Gewaltverbot und die Missbrauchsgefahr. Die Gegenmeinung rechtfertigt auch eine humanitäre Intervention eines oder mehrerer Staaten ohne die Autorisierung durch den Sicherheitsrat im Falle eines sich gerade ereignenden Genozids, zum einen mit der naturrechtlichen Begründung, dass keine Rechtsordnung dazu verurteilen dürfe, einem Völkermord zuzusehen; zum anderen mit einer teleologischen Einschränkung des Gewaltverbots der UN-Charta; oder auch einfach mit neuem, die Charta überlagerndem Gewohnheitsrecht und dem Selbstbestimmungsrecht der Völker, das diesen partiell den Charakter von Völkerrechtssubjekten verleiht, womit diese damit andere um Hilfe bitten können.

Präventive Selbstverteidigung

Das Recht zur präventiven Selbstverteidigung existiert nach einer zuweilen vertretenen Meinung definitiv nicht und nach der überwiegenden Meinung nur dann, wenn ein Angriff nachweislich unmittelbar bevorsteht und ein weiteres Abwarten die Effektivität der Verteidigung untergraben würde.

Nach herrschender Meinung besteht nach derzeit geltendem Recht kein Recht auf eine der nur vermuteten Bedrohung um Jahre vorgreifende Verteidigung, jedoch könnte sich diesbezüglich neues Gewohnheitsrecht formieren. Umstritten ist jedoch, ob Gewohnheitsrecht bereits durch einen einzigen Fall von der bisherigen Regel abweichenden Verhaltens, das zugleich als neue rechtliche Regel postuliert wird, entstehen kann. Damit die normative Kraft des Faktischen sich in einem solchen Fall durchsetzen kann, müsste die dergestalt neu postulierte Regel zumindest vom überwiegenden Teil der Staatengemeinschaft akzeptiert werden.

Das Selbstverteidigungsrecht im Völkerrecht

Es wird teilweise in der völkerrechtlichen Literatur vertreten, dass eine im Einklang mit der UN-Charta stehende individuelle oder kollektive Selbstverteidigung nur gegen einen Staat gerichtet sein könne, dem eine Angriffshandlung bzw. ein bewaffneter Angriff zugerechnet werden kann. Die Zurechnung von Handlungen privater Rechtssubjekte, zu denen Terroristen nach der hier vertretenen Auffassung gehören (sofern man sie nicht als eigenständige Völkerrechtssubjekte betrachtet), könne nur erfolgen, wenn der betreffende Staat diese Personen auf seine Initiative hin entsendet oder in einem solchen Maße aktiv unterstützt (z. B. durch Ausbildung, Waffenlieferung) hat, dass von einer effektiven Kontrolle gesprochen werden kann. Ferner sollten auch „organisatorische Verknüpfungen“ zwischen Staatsregierung und den von ihrem Gebiet aus operierenden Terroristen ausreichen, wenn diese einen solchen Grad erreicht hätten, dass letztere „faktisch als Teil der staatlichen Strukturen“ anzusehen wären.[7]

Strittig ist, ob die Gewährung sogenannter safe havens, also Rückzugsmöglichkeiten für Terroristen innerhalb eines Staatsgebietes, ausreichend sein könnte, um das Selbstverteidigungsrecht gegen den gesamten betreffenden Staat anzuwenden. Allerdings ist auch im Rahmen des Selbstverteidigungsrechts das Prinzip der Verhältnismäßigkeit zu beachten, das insbesondere die Eignung, Erforderlichkeit und das Übermaßverbot im Hinblick auf den Einsatz militärischer Zwangsmaßnahmen zu berücksichtigen hat.

Problematik der Durchsetzung des Völkerrechts

Da das Völkerrecht alle zwischenstaatlichen Abkommen umfasst, wird heute oft von zwingendem Völkerrecht gesprochen, welches die Menschenrechtsnormen umfasst. Zwingendes Völkerrecht ist jedoch nicht genau definiert. Meist werden die EMRK-Richtlinien, die UNO-Pakte und ähnliche als Menschenrechte bekannte Verträge als zwingendes Völkerrecht verstanden. Die meisten Mitglieder der UNO haben solche Menschenrechtskonventionen unterzeichnet. Die Problematik besteht jedoch in der Durchsetzung des Völkerrechts. Eine Durchsetzung ist kaum möglich. Als historisches Beispiel war Belgien während des Zweiten Weltkriegs als neutraler Staat völkerrechtlich perfekt vor dem Deutschen Angriff im Mai 1940 geschützt, diese Neutralität konnte jedoch von niemandem gewährleistet werden. Ebenso können die Folterungen in Guantánamo betrachtet werden. Völkerrechtliche Normen können somit nur in bestimmtem Umfang durchgesetzt werden.

Problematik der demokratischen Legitimation im Völkerrecht

Völkerrecht wird durch Delegationen eines Landes in Kommissionen in gemeinsamer Arbeit erstellt. Die Delegationen der verschiedenen Länder bestehen jedoch aus der Exekutive eines Landes, also Mitgliedern der Landesregierung. Diese erlassen Gesetze, welche sie später durchsetzen sollen. In demokratischen Ländern gilt jedoch das Prinzip der Gewaltenteilung, dabei werden Exekutive, Legislative und Judikative voneinander getrennt. Somit wäre eigentlich das Erlassen von Gesetzen Sache der Legislative. Selbstverständlich sind alle Regierungen von Mitgliedstaaten der UNO bei der Beratung über völkerrechtliche Verträge involviert, somit auch alle undemokratischen Elemente dieser Welt. Die aus solchen Verträgen resultierenden Bestimmungen gelten aber wiederum für alle. Oft auch ohne, dass sie von einem Staatsvolk abgesegnet wurden. Problematisch wurde diese Entwicklung erst in den letzten Jahren, als es zu einem radikalen Verständniswechsel vom Völkerrecht hin zum internationalen Recht gekommen ist. Die daraus resultierenden Gesetze greifen vermehrt ins Privatleben der Menschen ein, ohne dass diese die Legitimation dazu erteilt haben.

Menschheit als Völkerrechtssubjekt

Das Völkerrecht begründet Rechte und Pflichten grundsätzlich nur für Völkerrechtssubjekte; lediglich im humanitären Völkerrecht (z. B. Verbot der Diskriminierung, der Folter usw.) kommt eine Direktwirkung völkerrechtlicher Regeln zugunsten von Organisationen oder Privatpersonen in Betracht. Völkerrechtssubjekt sind nur Staaten oder von Staaten geschaffene völkerrechtliche Körperschaften, z. B. die EG, WTO usw. Die Menschheit als solche, also die Gesamtheit aller auf der Erde lebenden Menschen, hat in klassischer völkerrechtlicher Sicht keine Völkerrechtssubjektivität und folglich weder Rechte noch Pflichten. Es gibt zwar die Vereinten Nationen (UNO), aber diese sind im Rechtssinne nur ein Verein von Staaten, nicht aber eine Vertretung der Menschheit als solcher. Die Menschheit als solche existiert für das Völkerrecht gar nicht. Das führt, etwa im Bereich des Umweltrechts, zu Schwierigkeiten. Beispiel: Staaten, welche die Klimakonvention nicht unterschreiben, handeln grundsätzlich nicht rechtswidrig, wenn sie klimaschädliche Gase verströmen; Staaten, welche die UN-Seerechtskonvention nicht unterschreiben, können ihren Müll beliebig in internationale Gewässer versenken – denn das Klima und auch die Hohe See gehören niemandem. Neuerdings vertritt Aden[8] aber die Auffassung, dass die Menschheit Völkerrechtssubjekt sei, also als solche völkerrechtliche Rechte und gegebenenfalls auch Pflichten habe: Das Klima, die Hohe See usw. gehören nicht niemandem, sondern der Menschheit als solcher. Es ist also nach dieser Theorie auch ohne ausdrücklichen völkerrechtlichen Vertrag rechtswidrig, Gemeinschaftsgüter der Menschheit zu beschädigen oder exklusiv für sich in Anspruch zu nehmen. Zu diesen Gemeinschaftsgütern der Menschheit gehören auch übernationale Kulturgüter wie beispielsweise die Pyramiden, Anspruch auf historische Wahrheit und Informationsansprüche (beispielsweise, was sagen die Akten des Staates X über einen bestimmten historischen Vorgang usw.).

Hieraus ergibt sich nach Aden:[9] Die Menschheit hat als solche auch einen Anspruch gegen jeden Staat, dass dieser seine Rechtsordnung so einrichtet, dass jeder einzelne Mensch gleich welcher Herkunft Rechtsschutz genießt, und zwar im Rahmen gewisser unveräußerlicher Mindestgrundsätze: unparteiische Richter, Gewährung rechtlichen Gehörs, Zügigkeit des Verfahrens usw. Wenn ein Staat wegen Revolution, Krieg oder diktatorischer Regierung das völkerrechtlich bestimmte Mindestmaß an Rechtsstaatlichkeit nicht gewährleisten kann oder will, so darf[10] ein anderer Staat nach dem Grundsatz der größten Nähe (Internationale Notzuständigkeit; Proximitätsgrundsatz) an seiner Stelle tätig werden.

Internationale Institutionen

Siehe auch

Literatur

Deutsch

Französisch

  • Catherine Denis: Le pouvoir normatif du Conseil de sécurité des Nations Unies. Brüssel, Bruylant [u. a.] 2004, ISBN 2-8027-1943-2.
  • Robert Kolb: Les cours généraux de droit international public de l’Académie de La Haye. Brüssel, Bruylant [u. a.] 2003, ISBN 2-8004-1327-1.
  • Gérard Cohen Jonathan: Droit international, droits de l’homme et juridictions internationales. Brüssel, Nemesis [u. a.] 2004, ISBN 2-8027-1900-9.
  • Nguyen Quoc Dinh, P. Daillier, A. Pellet: Droit International Public. L.G.D.J, CEDIN PARIS X, 6. Auflage, Paris 1999.
  • Terry Olson, Paul Cassia: Le droit international, le droit européen, et la hiérarchie des normes. In: Droit et justice aux éditions, Presse universitaire française. ISBN 2-13-055494-6.

Englisch

  • Ian Brownlie: Principles of Public International Law. 6. Aufl., Oxford 2003.
  • Martti Koskenniemi: The Gentle Civilizer of Nations – The Rise and Fall of International Law 1870–1960, Cambridge 2001.
  • Peter Malanczuk: Akehurst’s Modern Introduction to international Law. 7. Aufl., London 1997.
  • Malcolm Shaw: International Law. 5. Aufl., Cambridge 2003.

Weblinks

Quellenangaben

  1. a b Hanspeter Neuhold, Waldemar Hummer, Christoph Schreuer: Österreichisches Handbuch des Völkerrechts. 4. Aufl., Wien 2005, ISBN 3-214-14913-X.
  2. M. de Vattel: The Law of Nations – Applied to the Conduct of Nations and Sovereigns, Dublin 1792.
  3. Siehe jedoch Ferdinand Tönnies 1917: Weltkrieg und Völkerrecht, TG 10, 2008, S. 285-332.
  4. Gemäß vom UN-Sekretariat erstellten Memorandum A/CN.4/98 vom 21. Februar 1956
  5. Hans Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, 1979, S. 206.
  6. Hans Kelsen, Peace through Law, 1944
  7. Ulrich Fastenrath: Ein Verteidigungskrieg lässt sich nicht vorab begrenzen. Die Verfassung, das Völkerrecht und der Einsatz der Bundeswehr im Kampf gegen den Terrorismus. In: FAZ, 12. November 2001, S. 8.
  8. Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft 2006, S. 55 ff.
  9. Vgl. Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft 07, S. 490
  10. nach Aden, a.a.O.
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