Wirtschaftlicher Patriotismus

Wirtschaftlicher Patriotismus

Industriepolitik ist ein Teilbereich der Wirtschaftspolitik. Sie umfasst alle wirtschaftspolitischen Maßnahmen eines Staates oder dessen Verwaltungseinheiten, die auf die Struktur und die Entwicklung der Industrie einwirken. Analog zum anglo-amerikanischen Sprachgebrauch bezieht sich hierbei der Begriff Industrie nicht nur auf die Industrie als solche, sondern auf das gesamte Spektrum aller Wirtschaftszweige.

Industriepolitik kann sowohl aktiv zur Beeinflussung eines Industrialisierungsprozesses (z. B. Förderung des Strukturwandels oder die Bereitstellung von Exporthilfen) als auch reaktiv auf ungewünschte Differenzierungswirkungen eines Industrialisierungsprozesses erfolgen. Zur reaktiven Industriepolitik gehören z. B. die Durchführung von Erhaltungsmaßnahmen oder die Bereitstellung von Anpassungshilfen (z. B. durch Förderung von Forschung und Entwicklung).

Inhaltsverzeichnis

Industriepolitik in Europa

1992 hielt die Industriepolitik Einzug in den Maastricht-Vertrag. Dort heißt es in Artikel 157: "Die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass die notwendigen Voraussetzungen für die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie gewährleistet sind." Auf diese Weise hoffte die EU-Kommission angemessen auf die vermeintlich drohende Deindustrialisierung Europas zu reagieren. Seitdem wird über den Inhalt und die Ziele der Industriepolitik in Europa immer wieder diskutiert. 2003 hatte der Europäische Rat der Staats- und Regierungschefs den EU-Ministerrat und die EU-Kommission aufgefordert, stärker und gezielter auf die Bedürfnisse einzelner Industriezweige, vor allem der verarbeitenden Industrie, einzugehen, mit dem Ziel dessen Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. 2004 wurde von den drei Mitgliedstaaten Deutschland, Frankreich und Großbritannien die Notwendigkeit einer proaktiven europäischen Industriepolitik gefordert. Damit sollen auch die Ziele der Lissabon-Strategie erfüllt werden.

Dabei spielte auch der Begriff der sog. Europäischen Champions zunehmend eine Rolle. Damit sind mulitinationale Unternehmen mit einer Weltmarktführerposition gemeint. Als Beispiel wird häufig der Luft- und Raumfahrtkonzern EADS angeführt. Europäische Industriepolitik soll derartige Champions unterstützen, fördern und ggf. auch zu schaffen helfen. Von Politikern wird in diesem Zusammenhang daher häufig eine zu strenge Auslegung der europäischen Fusionskontrolle durch die europäische Wettbewerbskommission kritisiert, weil hierdurch schlagkräftige Zusammenschlüsse von Firmen verhindert würden (Beispiel: das Verbot der Fusion von Scania und Volvo). Kritiker wiederum merken an, dass gerade die Unterstützung Europäischer Champions häufig für die Ziele nationaler Standort- und Beschäftigungspolitik missbraucht würde (Beispiel: das Übernahmegerangel zwischen der deutschen Aventis und der französischen Sanofi-Synthélabo). Somit wird durch staatliche Intervention massiv regulierend in die ansonsten freien Märkte eingegriffen.

Als Reaktion auf die jüngste Finanzkrise wird "grüne" Industriepolitik verstärkt als Instrument zur Verbindung von Wirtschaftswachstum und Nachhaltigkeit verstanden.

Wirtschaftlicher Patriotismus

Dieser Begriff wird in letzter Zeit v.a. mit Frankreich (dort bekannt unter dem Begriff patriotisme économique) in Verbindung gebracht. Er drückt sich durch einen manifesten nationalen Protektionismus einzelner Länder vor allem in Übernahmefragen von als wichtig erachteten nationalen Unternehmen durch ausländische Investoren aus. So hat die französische Regierung die Übernahme des Energiekonzerns Suez durch die italienische ENEL mittels einer innerfranzösische Blockadefusion von Suez mit Gaz de France erfolgreich verhindert. Auch die spanische Regierung versucht die Übernahme des Energieunternehmens Endesa durch die deutsche E.ON abzuwehren. Gescheitert ist indes eine derartige Abwehr im Falle der Übernahme der luxemburgischen Arcelor durch die niederländische Mittal Steel (siehe auch: Arcelor Mittal).

Kritiker weisen vor allem darauf hin, dass ein hartnäckig verfolgter wirtschaftlicher Patriotismus unweigerlich zu höheren Risikoprämien an den Aktienmärkten führen wird.

Literatur

  • Ulrich Brösse: Industriepolitik, Oldenbourg R. Verlag, 1996, ISBN 978-3486236934

Weblinks


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