Wozzeck (Berg)

Wozzeck (Berg)

Wozzeck ist eine Oper in 3 Akten mit 15 Szenen von Alban Berg. Das Libretto beruht auf dem deutschsprachigen Dramenfragment Woyzeck von Georg Büchner. Es gibt eine gleichnamige Oper über denselben Stoff von Manfred Gurlitt. Die Spielzeit beträgt rund 90 Minuten.

Inhaltsverzeichnis

Entstehung der Oper

  • 1914 sieht Alban Berg Büchners Drama auf der Bühne der Wiener Kammerspiele mit Albert Steinrück in der Titelrolle
  • 1915 beginnt A. Berg mit der Arbeit am Wozzeck
  • 1917 stellt Berg die dramaturgische Einrichtung fertig
  • 1921 wird die Oper fertig gestellt
  • 1924 die Aufführung von drei Ausschnitten führte zum ersten öffentlichen Erfolg. Die Drucklegung der Oper erfolgte 1925 mit finanzieller Unterstützung von Alma Mahler-Werfel, der Witwe von Gustav Mahler. Alban Berg widmet ihr aus Dankbarkeit die Oper.
  • 1925 fand die Uraufführung am 14. Dezember unter der Leitung von Erich Kleiber in der Staatsoper Unter den Linden in Berlin statt.

Historischer Hintergrund

Sowohl das Dramenfragment G. Büchners, als auch die Opern von A. Berg und M. Gurlitt beruhen auf der historischen Person von Johann Christian Woyzeck, den sie zum Antihelden machten.
J. C. Woyzeck zählte zu den ersten Tätern, welche auf Zurechnungsfähigkeit getestet worden waren. Das Untersuchungsergebnis von Dr. med. Johann Christian August Clarus lautete zurechnungsfähig, Woyzeck wurde zum Tode verurteilt und am 27. August 1824 in Leipzig hingerichtet. Man vermutet, dass er unter Depression, Schizophrenie, Verfolgungswahn und Depersonalisation gelitten hat.

Figurenkonstellation

Diagramm der Figurenkonstellation

Handlung

Der Wozzeck spielt am Anfang des 19. Jahrhunderts in einer kleinen Garnisonsstadt.

1. Akt – Fünf Charakterstücke

Wozzeck in seinen Beziehungen zur Umwelt

1. Szene – Suite (Präludium, Pavane, Kadenz, Gigue, Kadenz, Gavotte-Double I/II, Air, Präludium im Krebsgang):
Wozzeck und der Hauptmann – Zimmer des Hauptmanns, Frühmorgens
Wozzeck ist dem Hauptmann zu Diensten. Der Hauptmann verstrickt Wozzeck in ein Gespräch über Zeit und Ewigkeit, Tugend und Moral und macht ihm Vorwürfe wegen seines unehelichen Kindes. Wozzeck beruft sich auf die Bibel („Lasset die Kleinen zu mir kommen“) und erklärt, dass existentielle Not und Tugend unvereinbar seien: „Wir arme Leut!“

2. Szene – Rhapsodie über drei Akkorde und dreistrophiges Jägerlied:
Wozzeck und Andres. Freies Feld (die Stadt in der Ferne), Spätnachmittag
Wozzeck arbeitet mit seinem Kameraden Andres. Während Andres sich mit einem Jägerlied positiv motiviert, durchschaut Wozzeck, dass die menschliche Gesellschaft Grausamkeiten und Perversionen hervorbringt, denen der Schwache ausgeliefert ist: „Der Platz ist verflucht!“

3. Szene – Militärmarsch und Wiegenlied:
Marie, Margret und das Kind; später Wozzeck – Mariens Stube, Abends
Marie erfreut sich an der vorbeiziehenden Parade, angeführt von dem attraktiven Tambourmajor. Durch Spott und Missgunst ihrer Nachbarin Margret wird sie an ihre Situation erinnert: „Hast ein klein Kind und kein Mann!“ Wozzeck kommt zu Marie. Er wirkt gehetzt, verstört von bedrohlichen Visionen, nimmt Marie und sein Kind kaum wahr.

4. Szene – Passacaglia (bzw. Chaconne) als zwölftöniges Thema mit 21 Variationen:
Wozzeck und der Doktor – Studierstube des Doktors, Sonniger Nachmittag
Wozzeck stellt sich dem Doktor als Studienobjekt für medizinische Experimente zur Verfügung – notgedrungen, für einen kleinen Zuverdienst.

5. Szene – Andante affettuoso quasi Rondo:
Marie und der Tambourmajor – Straße vor Mariens Wohnung, Abenddämmerung
Marie ist stolz, dass der Tambourmajor um sie wirbt. Sie gibt ihrer Sehnsucht und ihrem eigenen Glücksverlangen nach.

2. Akt – Symphonie in fünf Sätzen

Dramatische Entwicklung

1. Szene – Sonatensatz (Exposition (Haupt-, Seiten-, Schlusssatz), 1. Reprise, Durchführung, 2. Reprise):
Marie und Kind; später Wozzeck – Mariens Stube, Vormittag, Sonnenschein
Marie erfreut sich an dem Schmuck, den ihr der Tambourmajor geschenkt hat. Das Kind stört sie in ihren Träumen von einem besseren Leben. Als Wozzeck überraschend auftaucht, versucht Marie, den Besitz des Schmucks zu rechtfertigen und sein Misstrauen zu zerstreuen. Wozzeck gibt Marie seinen Lohn und die Nebeneinkünfte vom Hauptmann und vom Doktor.

2. Szene – Fantasie und Fuge über drei Themen:
Hauptmann und Doktor; später Wozzeck – Straße in der Stadt, Tag
Der Doktor, sportlich durchtrainiert, und der von dessen Tempo überforderte Hauptmann kommen in ein Gespräch, in dessen Verlauf der Doktor den Hauptmann durch eine erfundene Diagnose seines Gesundheitszustandes erschreckt. Der zufällig vorbei eilende Wozzeck wird zum Ziel ihres einvernehmlichen Spotts. Mit Anspielungen auf Maries Verhältnis zum Tambourmajor bringen sie Wozzeck aus der Fassung: „Ich bin ein armer Teufel! Hab sonst nichts auf dieser Welt!“

3. Szene – Largo:
Marie und Wozzeck – Straße vor Mariens Wohnung, Trüber Tag
Marie beantwortet Wozzecks drängende Frage nach dem Tambourmajor provozierend. Wozzeck fühlt, dass er den letzten Halt verliert: „Der Mensch ist ein Abgrund, es schwindelt Einem, wann man hinunterschaut …“

4. Szene – Scherzo (Scherzo I (Ländler), Trio I (Lied des 2. Handwerksburschen), Scherzo II (Walzer), Trio II (Jägerchor der Burschen und Lied des Andres), Scherzo I (Ländler variiert), Trio I (Lied variiert zur Predigt des 2. Handwerksburschen), Scherzo II (Walzer mit Durchführung)):
Volk, zwei Handwerksburschen, Andres, Tambourmajor, Marie; später Wozzeck; zum Schluss der Narr – Wirtshausgarten, Spät abends
Im Wirtshaus wird gezecht, gesungen, getanzt. Zwei Handwerksburschen werben für den Tambourmajor. Wozzeck sieht, wie Marie eng umschlungen mit dem Tambourmajor tanzt. Der Narr in Gestalt des Hauptmanns erscheint Wozzeck und prophezeit: „Ich riech, ich riech Blut!“

5. Szene – Rondo martiale con Introduzione:
Schlafende Männer, Wozzeck, Andres; später der Tambourmajor – Wachstube in der Kaserne, Nachts
Wozzeck findet keine Ruhe. Der Tambourmajor demütigt Wozzeck, indem er mit der Eroberung Maries prahlt und ihn zusammenschlagen lässt.

3. Akt – Fünf Inventionen

Katastrophe und Epilog

1. Szene – Invention über ein Thema (Thema, 7 Variationen und Fuge):
Marie mit dem Kind – Mariens Stube, Nacht, Kerzenlicht
Marie ist sich ihres Verrates an Wozzeck bewusst. Verzweifelt sucht sie in der Bibel Trost. Ihrem Kind erzählt sie ein bitteres Märchen: Der Mensch ist allein in der Welt, ohne Zuflucht.

2. Szene – Invention über einen Ton (H):
Wozzeck und Marie – Waldweg am Teich, Es dunkelt
Wozzeck tötet Marie.

3. Szene – Invention über einen Rhythmus:
Volk, Wozzeck und Margret – Schenke, Nacht, schwaches Licht
Wozzeck sucht im Wirtshaus Vergessen. Er tanzt mit Margret. Margret entdeckt Blut an ihm – er wird als Mörder entlarvt.

4. Szene – Invention über einen Sechsklang:
Wozzeck, später Doktor und Hauptmann – Waldweg am Teich, Mondnacht
Vergebens sucht Wozzeck das Messer, um die Tat zu verdecken. Er setzt seinem Leben ein Ende. Doktor und Hauptmann gehen vorüber.

Orchesterzwischenspiel in d-Moll – Invention über eine Tonart

5. Szene – Invention über eine Achtelbewegung:
Maries Kind, Kinder – Straße vor Mariens Wohnung, Heller Morgen, Sonnenschein
Maries Kind versucht, mit dem Vater zu spielen. Andere Kinder erzählen ihm, dass auch seine Mutter tot sei.

Figuren-Stimmen-Erstbesetzung

Uraufführung am 14. Dezember 1925 in Berlin
(Erich Kleiber)
Wozzeck Bariton Leo Schützendorf
Marie Sopran Sigrid Johanson
Mariens Knabe Knabensopran Ruth Iris Witting
Hauptmann Tenor Waldemar Henke
Doktor Bass Martin Abendroth
Tambourmajor Tenor Fritz Soot
Andres Tenor Gerhard Witting
Margret Alt Jessyka Koettrik
1. Handwerksbursche Bass Ernst Osterkamp
2. Handwerksbursche Bariton Alfred Borchardt
Narr Tenor Marcel Noé
Ein Soldat Bariton Leonhard Kern
Soldaten, Burschen, Mägde, Dirnen, Kinder

Bergs musikalische Umsetzung des „Wozzeck“

Berg nutzt im Wozzeck alle zu seiner Zeit zur Verfügung stehenden musikalischen Mittel wie Atonalität und Vorformen der Zwölftontechnik, um die Handlung der Büchnerschen Vorlage nachzuzeichnen und schafft so ein vielfach expressionistisch übersteigertes Seelendrama. Um ein möglichst breites Spektrum an musikalischen Mitteln zu schaffen, setzt er neben dem großen Orchester im Graben (mit mehrfach besetzten Bläsern, großem Schlagzeugapparat und unüblichen zusätzlichen Instrumenten wie Rute und Bombardon) ein zweites Orchester als Bühnenmusik ein. Auch die Behandlung der Singstimme ist ungewöhnlich differenziert, da er mehrere Zwischenstufen zwischen gesprochenem und gesungenem Wort vorschreibt, z. B. gesprochen, aber rhythmisch fixiert usw. Eine besondere Rolle spielt hierbei die sogenannte „rhythmische Deklamation“, eine exakte Notation von rhythmisch und intervallisch fixiertem Sprechgesang, den Bergs Lehrer Arnold Schönberg u. a. in seinem Pierrot lunaire benutzt hatte.

Dem im Wesentlichen im atonalen Stil geschriebenen „Wozzeck“ liegt ein sorgfältig durchgearbeiteter Aufbau zu Grunde. Alban Berg baut in seinem Libretto 15 der bei Büchner ursprünglich 25 Szenen ein, die er in drei Akte mit jeweils fünf Szenen aufteilte. Jeder dieser Akte hat eine eigene musikalische Form, gebunden an die dramaturgische Bedeutung; die Szenen verbindet er mit kurzen musikalischen Überleitungen.

Der komplette erste Akt stellt eine Exposition dar, in der in den fünf Szenen die fünf Hauptpersonen neben Wozzeck vorgestellt werden. Musikalisch verwendet Alban Berg hier fünf Charakterstücke. Der ersten Szene, die dem Hauptmann gewidmet ist, liegt eine Suite mit Präludium, Pavane, Gigue und Gavotte zu Grunde. Darauf folgt eine Rhapsodie als musikalische Form der zweiten Szene, die auf die Fortschreitung von drei Akkorden aufgebaut ist; sie stellt Wozzecks Freund Andres vor. Für die Handlung der Oper ist Marie eine der wichtigsten Charaktere. Berg begleitet ihren Traum von dem Tambourmajor musikalisch mit einem Militärmarsch. Darauf folgt ein Wiegenlied, während Marie über ihr eigenes Schicksal nachdenkt. Der Doktor in der vierten Szene wird mit einer Passacaglia mit 21 Variationen über ein Zwölftonthema eingeführt, die ihn als kalt und egoistisch charakterisiert. Die letzte Szene des ersten Aktes baut auf einem Rondo auf und stellt den Tambourmajor vor.

Der zweite Akt schildert szenisch die dramatische Entwicklung der Handlung, für die Alban Berg als Großform eine Symphonie in fünf Sätzen verwendet: der erste Satz – eine Sonate für die Eifersucht Wozzecks; der zweite eine Fantasie und Fuge, wenn Wozzeck verspottet wird; als drittes für Wozzecks Beschuldigungen gegen Marie ein Largo; bei der vierten Szene, in der Marie mit dem Tambourmajor tanzt, ein Scherzo aus einem Ländler, Drehorgellied und Walzer; als fünfter Satz in der letzten Szene des zweiten Aktes erneut ein Rondo, als der Tambourmajor Wozzeck verprügelt.

Den dritten Akt baut Berg wieder auf einzelnen Stücken auf: fünf Inventionen – zunächst eine über ein Thema für Maries Reue; für ihren Tod eine über einen einzigen Ton; als Wozzeck vergessen will, verwendet Berg eine Invention über einen Rhythmus; für seinen Tod eine über einen Sechsklang; als Abschluss der Oper, wenn Maries Sohn am Wasser spielt, eine Invention über eine endlose Achtelbewegung.

Die zugrundeliegende formale Strenge erschließt sich dem Hörer allerdings kaum, sondern wird nur aus dem Partiturstudium ersichtlich. Berg hat selbst großen Wert darauf gelegt, dass die Wahrnehmung der zugrundeliegenden musikalischen Formen wie Passacaglia, Suite usw. nicht die Konzentration auf die Handlung stört. Der Rückgriff auf diese Formen dient vielmehr der formalen Absicherung im atonalen, regellosen Raum.

Literatur

  • E. Forneberg: Wozzeck von Alban Berg. Robert Lienau, Berlin 1963.
  • H.-U. Fuß: Musikalisch-dramatische Prozesse in den Opern Bergs. Verlag der Musikalienhandlung, Hamburg/Eisenach 1991.
  • B. Regler-Bellinger, W. Schenck, H. Winking: Knaurs großer Opernführer. Droemer, München 1983.
  • O. Schumann: Der große Opern- und Operettenführer. Heinrichshofen’s Verlag, Wilhelmhavn 1983.
  • W. Willaschek: 50 Klassiker der Oper – Die wichtigsten musikalischen Bühnenwerke. Gerstenberg Verlag, Auflage 3, Hildesheim 2005, ISBN 3-8067-2510-1.
  • Armin Lücke (Herausgeber): Franz Grundheber und Wozzeck. Matergloriosa, Trier 2008, ISBN 978-3-940760-05-0.

Weblinks


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