Zahlensinn

Zahlensinn

Als Zahlensinn bezeichnet man eine rudimentäre und angeborene Fähigkeit zur Unterscheidung geringer Anzahlen sowie ggf. auch zur Durchführung primitiver Rechenoperationen. Der Begriff number sense wurde 1954 von Tobias Dantzig in seinem Buch "Number: The Language of Science" eingeführt.

Eine Reihe von Experimenten und Fallbeispielen mit Tieren oder Säuglingen soll belegen, dass der Zahlensinn die Wahrnehmung von Veränderungen in kleinen Mengenbereichen (meist eins bis drei) ermöglicht.

Ein einfaches Beispiel kann jeder selbst nachvollziehen. Man rechne die folgenden Aufgaben:

  • 1 - 1 = ?
  • 4 - 1 = ?
  • 8 - 7 = ?
  • 15 - 12 = ?

Nenne nun irgendeine Zahl zwischen 5 und 12!

Die überwiegende Mehrzahl der Personen, denen diese Aufgabe gestellt wird, nennt hier die Zahl 7. Die Erklärung der Forscher, die hierin eine Unterstützung der Hypothese vom Zahlensinn sehen, lautet, dass durch die vorhergehenden Aufgaben das Gehirn in eine Art „Subtraktionsmodus“ versetzt wurde und daher unbewusst die Rechnung 12 - 5 = 7 ausführte.

Das Beispiel zeigt aber auch die Probleme dieses Ansatzes: Tatsächlich ist 7 ganz allgemein die meist genannte Zahl, wenn Personen eine beliebige einstellige Zahl nennen sollen, so dass zur Erklärung auch eine Ursache herangezogen werden kann, die nicht auf einen Zahlensinn verweist.

Auch wenn die Forschung zum Zahlensinn eine Vielzahl ähnlicher Ergebnisse hervorgebracht hat, ist daher die Existenz eines Zahlensinnes umstritten. Als gesichert gilt allerdings, dass die Fähigkeit zum Umgang mit Zahlen - etwa durch erkrankte Gehirnregionen - auch bei ansonsten intaktem Denk- und Sprachvermögen verloren gehen kann. So schildert der britische Psychologe Brian Butterworth in seinem Buch "The Mathematical Brain" eine Reihe von Fällen ansonsten intelligenter Personen, die beispielsweise nicht in der Lage sind, die größere von zwei Zahlen zu bestimmen. Eine von anderen mentalen Fähigkeiten unabhängige und durch bestimmte Gehirnstrukturen repräsentierte Fähigkeit zum Umgang mit Zahlen gilt daher zumindest beim Menschen als wahrscheinlich.

Siehe auch: Dyskalkulie, Zahlenanalphabetismus

Literatur

  • Dehaene, S., Der Zahlensinn oder warum wir rechnen können, Basel, Berlin (u.a.): Birkhäuser, 1999, ISBN 3-7643-5960-9 (Rezension)
  • Devlin, K., Das Mathe-Gen: oder Wie sich das mathematische Denken entwickelt + Warum Sie Zahlen ruhig vergessen können, 3. Aufl., München, Dt. Taschenbuch-Verlag, 2004, ISBN 3-423-34008-8
  • Butterworth, B., The mathematical brain, London (u.a.): Papermac, 2000, ISBN 0-333-76610-5
  • Fischer, B., Hören-Sehen-Blicken-Zählen: Teilleistungen und ihr Störungen. Verlag Hans Huber, Bern, 2007, ISBN 978-3-456-84243-1
  • Fischer B, Köngeter A, Hartnegg K (2008) Effects of daily practice on subitizing, visual counting, and basic arithmetic skills. Optom Vis Dev 39:30-34

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