Zugunglück von Getå

Zugunglück von Getå
Die Lok nach ihrem Sturz vom Bahndamm auf die unterhalb liegende Straße. Die ersten Wagen liegen ausgebrannt dahinter und der Speisewagen steht etwas aufrecht in einem 45-Grad-Winkel.

Das Zugunglück von Getå ereignete sich am 1. Oktober 1918 in der schwedischen Gemeinde Norrköping beim kleinen Ort Getå. Mit mindestens 42 Opfern war es das schwerste Unglück in der Eisenbahngeschichte Schwedens. Die genaue Anzahl der getöteten Personen wurde nicht ermittelt.

Das Unglück an einer steilen Böschung aus Lehm- und Kiesschichten, die hinab zum Ufer der Bucht Bråviken führte, wurde durch einen Erdrutsch verursacht. Die Lok mit zehn Wagen erreichte die Stelle kurz nach dem Erdrutsch, entgleiste und stürzte auf die seitlich gelegene Landstraße. Die große Anzahl von Opfern beruhte nicht allein auf der Kraft des Aufpralls, sondern auch auf der Tatsache, dass glühende Kohle die Wagen in Brand setzte, in denen die Passagiere eingeklemmt waren. Die geotechnische Untersuchung der Unglücksstelle hatte landesweit große Auswirkung auf spätere Realisierungen von Bauprojekten.

Inhaltsverzeichnis

Hintergrund

Die Eisenbahnlinie von Åby nach Norrköping feierte ihre Einweihung am 1. Oktober 1913. Schon vor dem Bau gab es eine geologische Untersuchung des Geländes, da im Bereich einer Verwerfung Einsturzgefahr vermutet wurde. Die beteiligten Personen müssen den Bau aber für durchführbar erklärt haben.

Der Frühling 1918 war trocken gewesen, wodurch sich im ausgetrockneten Boden Risse bildeten. Der September war dagegen ungewöhnlich regnerisch, so dass sich der Grund mit Wasser vollsaugte und die Lehmschichten eine geringere Tragfestigkeit erhielten. Mit dem Wasser war der Boden schwerer geworden, und am 1. Oktober 1918 kurz vor 18:55 Uhr kam es zu einem Einbruch, bei dem eine Kiesschicht über eine Lehmschicht glitt. Bahn- und Straßendamm rutschten ab, wogegen die darunter liegenden Erdschichten hinaufgepresst wurden, was sich in einer neugebildeten kleinen Landzunge im Bråviken widerspiegelte.[1]

Das Unglück

Gedenkstein am Unfallort
Grabstätte der Opfer auf dem Norra kyrkogården in Norrköping

Der Zug, welcher dem Unglückszug vorausging, hatte um 18:26 Uhr den Ort Getå ohne Probleme passiert. Die erste Ahnung von einer herannahenden Katastrophe hatte der Bahnhofswächter von Getå, als er zwischen 18:33 und 18:40 Uhr Schwankungen der Telefonleitungen registrierte. Noch um 18:50 Uhr hatte ein Brauereiauto die Unglücksstelle passiert, ohne etwas zu bemerken. Dass etwas Unvorhergesehenes geschehen war, wurde um 18:55 Uhr zur Gewissheit, als das Telefonnetz verstummte.[2]

Der Unglückszug Nr. 422 hatte Malmö um 7.00 Uhr verlassen. In Mjölby ersetzte man die Lok F 1271 mit der F 1200. In Norrköping hatte der Zug 12 Minuten Verspätung, in Åby hatte er zwei Minuten aufgeholt. Bei der Entgleisung betrug die geschätzte Geschwindigkeit 65 bis 70 km/h. Die Lok stürzte auf die parallel gehende Landstraße und blieb auf der rechten Seite liegen. Die zwei letzten Wagen verblieben auf den Gleisen. Der Speisewagen stand nach dem Unglück im 45-Grad-Winkel am Rande des Bahndammes, während die übrigen Wagen zerstört wurden. Der Lokführer schaffte es noch, die Warnglocke zu läuten. Er erlitt beim Sturz eine Gehirnerschütterung, war jedoch in der Lage, sich aus der Lok zu befreien. Der Schaffner war zum Unglückszeitpunkt in einem der hinteren Wagen, und nachdem er sich kurz mit dem Lokführer besprochen hatte, begab er sich auf den Weg in Richtung Åby, dessen Bahnhofspersonal er von einer nahen Villa aus telefonisch benachrichtigen konnte. Der Wächter der östlich gelegenen Schranke ging zu diesem Zeitpunkt in Richtung Westen, um zu klären, warum der Zug nicht kam. Nachdem er den Platz der Katastrophe erreicht hatte, begab er sich eilig zurück nach Getå, um den Bahnhof in Krokek über das Unglück zu unterrichten.[3]

Währenddessen entzündete die glühende Kohle der Feuerbüchse die trockene und zersplitterte, hölzerne Hülle der nächsten Wagen. Viele der eingeklemmten Passagiere konnten noch befreit werden, doch mehrere Personen wurden vom Feuer erfasst, das sich rasch ausbreitete. Von den circa 170 Menschen an Bord starben mindestens 42 Personen. Von fünf weiteren Personen, die zur Zeit des Unfalls als vermisst gemeldet wurden, wird angenommen, dass sie zu den Opfern gehörten.[4]

Am Unfallort neben der Landstraße steht heute ein Gedenkstein. Am 10. Oktober 1918 begrub man 15 namentlich bekannte Opfer und weitere nicht identifizierte Tote auf dem Nordfriedhof in Norrköping. Über dem Massengrab wurde ein fünf Meter hoher Granitblock vom Steinbruch Graversfors aufgestellt.[5]

Die Lok lag noch bis zum 15. November an der Unglücksstelle. Nach der Reparatur und einer Probefahrt am 21. Mai 1919 nutzte die schwedische Staatsbahn die Lok bis 1937. Nach dem Verkauf an die dänische Staatsbahn für 30.876 DKK wurde sie dort mehrere Jahre genutzt. 1943 geriet sie in der Nähe von Korsør in einen Luftangriff der Alliierten. 1963 kehrte die Lok nach Schweden zurück, wo sie heute im schwedischen Eisenbahnmuseum von Gävle ausgestellt ist.[6][7]

Bei der geologischen Untersuchung des Unfallortes wurden Probebohrungen und Tragfestigkeitsberechnungen verwendet. Diese Vorgehensweise war ein Muster für ähnliche Analysen der Folgezeit. Im Laufe der Wiederherstellung der Bahnstrecke rückten die Gleise näher an den Berg und der Untergrund wurde mit Steinen stabilisiert. Die Höchstgeschwindigkeit an der Unglücksstelle wurde zeitweilig auf 15 km/h herabgesenkt.[8]

Untersuchungsergebnisse

Schon einen Tag nach der Katastrophe begann die königliche Eisenbahnbehörde mit der Ermittlung der Unglücksursachen, wobei zunächst das auf dem Zug beschäftigte Personal befragt wurde. Mit Hilfe von Annoncen in regionalen Zeitungen konnten auch viele der überlebenden Passagiere befragt werden. Es war unter anderem zu klären, ob das in der Beleuchtung verwendete Acetylengas den Brand verursacht haben könnte. Die Ermittler kamen aber zu dem Schluss, dass glühende Kohle der Auslöser des Feuers war.[9]

Die geotechnische Kommission stellte fest, dass unter dem Bahndamm mehrere sich abwechselnde Schichten von Lehm und Kies lagen, die sich hier nach der letzten Eiszeit angesammelt hatten. Zu den Untersuchungen gehörten Bohrungen an verschiedenen Stellen bis hinab zum Felsuntergrund. Bei den Nachforschungen kam heraus, dass der Unglücksplatz schon in vorhistorischer Zeit einen Erdrutsch erlebt hatte, was hier zu einer Ansammlung von Wasserströmen führte, die wiederum den Erdrutsch des Unfalls ausgelöst haben. Diese speziellen Verhältnisse waren den Verantwortlichen des Bahnbaus nicht bekannt, so dass sie die Tragfähigkeit des Geländes falsch einschätzten. 1923 ereignete sich ein weiterer Erdrutsch an gleicher Stelle, der zum Einbruch der Landstraße führte.[10]

Zugzusammensetzung

Dampflok F 1200 in Gävle

Der in das Unglück verwickelte Zug bestand aus 11 Teilen inklusive Lok[11]:

  • Dampflok F 1200 (erhalten im schwedischen Eisenbahnmuseum in Gävle)
  • Postwagen DFo 1107 (beim Unfall zerstört)
  • Güterwaggon F1 25591 (beim Unfall zerstört)
  • Personenwagen C3d 2050 (beim Unfall zerstört)
  • Personenwagen Co5 2039 (beim Unfall zerstört)
  • Personenwagen Co1 1235 (beim Unfall zerstört)
  • Personenwagen Co5 2044 (beim Unfall zerstört)
  • Speisewagen ABo3 2466 (nach dem Unfall repariert, verschrottet 1960)
  • Schlafwagen Bo1 1015 (unbeschädigt, verschrottet 1949)
  • Personenwagen BCo 1429 (unbeschädigt, verschrottet 1963)
  • Extra Güterwaggon G3 19003 (unbeschädigt, verschrottet 1952)

Die meisten Todesopfer waren in den Wagen 2039 und 1235 zu beklagen, da sich diese gegenseitig zerschlugen.

Siehe auch

Referenzen

Literatur

  • Rolph Wegmann (1998). Getå 1918. Den stora tågolyckan. Linköping: Railair Research. ISBN 91-973446-0-5.

Einzelnachweise

  1. Wegmann (1998), S. 9-14
  2. Wegmann (1998), s. 15
  3. Wegmann (1998), S. 20-27
  4. Wegmann (1998), S. 32, S. 73-75
  5. Wegmann (1998), S. 50, S. 63
  6. Wegmann (1998), S. 58-59
  7. DSB E 964, gelesen 22. Juni 2008
  8. Wegmann (1998), S. 62-63
  9. Wegmann (1998), S. 61-62
  10. Wegmann (1998), S. 13, S. 63
  11. Wegmann (1998), S. 64

Weblinks


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