Bergfrit

Bergfrit
Der Bergfried im Zentrum der Anlage beherrscht die Silhouette der Burg (Hocheppan in Südtirol)
Bergfried in Tornähe (Genovevaburg in Rheinland-Pfalz)
Bergfried der Osterburg in Weida
Fünfeckiger Bergfried von Frauenstein bei Wiesbaden, Dach u. Treppe zum Hocheingang rekonstruiert
Bergfried einer Ministerialenburg des Stiftes Kempten: Der zeitweilig bewohnbare Hauptturm der Burg Vilsegg (Tirol). Die Balkenlöcher lassen die ehemalige Geschosseinteilung erkennen
Schema eines Bergfrieds nach Otto Piper
Eine Großburg mit zwei Bergfrieden: Die hessische Burg Münzenberg

Der Ausdruck Bergfried (auch Berchfrit, fälschlich auch Burgfried) bezeichnet in der deutschsprachigen Burgenliteratur den unbewohnten Hauptturm einer mittelalterlichen Burg, der seit dem 12. Jahrhundert in Mitteleuropa weite Verbreitung fand. Ist der Hauptturm einer Burg für eine dauerhafte Wohnnutzung eingerichtet, wird er hingegen als Wohnturm bezeichnet (siehe auch: Donjon).

Inhaltsverzeichnis

Die Bezeichnung „Bergfried“

Der Begriff kommt als perfrit, berchfrit, berfride[1] und ähnlichen Abwandlungen in mittelalterlichen Schriftquellen vor, bezeichnet dort aber nicht nur den Burgturm, sondern überwiegend andere Turmarten wie beispielsweise Belagerungstürme, Glockentürme (vgl. Belfried) oder Speicherbauten. Der Hauptturm einer Burg wird oft schlicht als „Turm“ oder „großer Turm“ bezeichnet. In spätmittelalterlichen niederdeutschen Schriftquellen taucht die Bezeichnung berchfrit, berchvrede und ähnliche Varianten oft im Zusammenhang mit kleineren Burgen auf.[2] Die Burgenkunde des 19. Jahrhunderts führte schließlich die Bezeichnung Bergfried (oder Berchfrit) als allgemeine Benennung für den unbewohnten Hauptturm ein, die sich seitdem mit dieser Definition in der deutschsprachigen Literatur eingebürgert hat.[3]

Entwicklung und Formen

Der Bergfried etablierte sich als ein neuer Bautyp im Verlauf des 12. Jahrhunderts und prägte von ungefähr 1180 bis in das 14. Jahrhundert hinein das Bild der mitteleuropäischen Burgenlandschaft.[4] Aus dieser Zeit sind zahlreiche Exemplare in nahezu vollständiger Höhe erhalten. Die Entstehung der Bauform ist jedoch noch nicht völlig geklärt, da Türme aus der Zeit vor dem 12. Jahrhundert nahezu ausschließlich archäologisch ergraben und lediglich die untersten Partien erhalten sind. Einzelne Beispiele (wie der Bergfried der Habsburg) finden sich auch schon in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts.[5] Der Vorläufer des Bergfrieds ist der wehrhafte Wohnturm, der in seiner westeuropäischen, repräsentativen Ausprägung auch als Donjon bezeichnet wird. Wohntürme waren vor dem Aufkommen des Bergfrieds auch im deutschsprachigen Raum üblich, ein Vorläufer findet sich beispielsweise im hölzernen Turm der Motte. Donjons verbinden die beiden entgegengesetzten Bereiche des herrschaftlichen, komfortablen Wohnens und des Wehrbaus miteinander. Beim Bautyp des Bergfrieds wurde nun auf die Wohnnutzung zugunsten der Wehrhaftigkeit verzichtet. Gleichzeitig fanden neue Typen unbefestigter Wohnbauten Verbreitung, so wurde beispielsweise der Palas in den Burgenbau übernommen. Die Entstehung des Bergfrieds steht also offenbar im Zusammenhang mit der Ausdifferenzierung von Wohn- und Wehrbau innerhalb der Burganlage.[6] In Westeuropa bleibt hingegen auch im weiteren Verlauf des Mittelalters der Donjon mit seiner Verbindung von Wehr- und Wohnfunktionen der vorherrschende Bautyp.

Häufig befindet sich der Bergfried als Hauptturm im Mittelpunkt der Burganlage oder in der Position eines Mauerturms an der Hauptangriffsseite der Burg (letzteres insbesondere bei Spornburgen). Er kann als solitärer Baukörper neben den übrigen Gebäuden der Burg stehen oder mit diesen zu einem baulichen Gefüge verbunden sein. Dabei ist es jedoch charakteristisch, dass der Bergfried einen in sich abgeschlossenen Bauteil darstellt, der im Innern nicht mit den übrigen Gebäuden verbunden ist und über einen eigenen Zugang verfügt. In aller Regel ist dies ein so genannter Hocheingang, d. h. der Eingang liegt in einem Obergeschoss des Turmes und ist über eine eigene Brücke oder Treppe erreichbar.

Im Grundriss sind quadratische und runde Bergfriede am häufigsten, daneben sind auch fünfeckige und achteckige Türme anzutreffen. Auch für unregelmäßig polygonale Grundrisse gibt es einige Beispiele. Eine seltene Form ist der dreieckige Bergfried der Burg Grenzau bei Höhr-Grenzhausen oder jener der Burg Rauheneck nahe Baden bei Wien. Türme mit dreieckigen und fünfeckigen Grundrissen waren mit einer Ecke der Hauptangriffsseite der Burg zugewandt, durch den schrägen Aufprallwinkel konnten so durch Katapulte verschossene Steingeschosse besser abgewehrt werden. Auch ein über Eck gestellter quadratischer Bergfried konnte diesen Zweck erfüllen.

Bergfriede sind durchschnittlich 20 bis 30 Meter hoch, sowohl jener der Burg Forchtenstein im Burgenland als auch des Schlosses Freistadt erreichen 50 Meter. Im Vergleich zum Donjon, der wegen seines aufwändigen Innenausbaus (Wohnräume, Saal, Küche usw.) relativ große Grundflächen in Anspruch nimmt, verfügt der Bergfried meist über eine wesentlich kleinere Grundfläche, was bei ähnlicher Höhe zu einer schlankeren Form des Turmes führt. Als Baukörper hat der Bergfried also eine noch stärkere vertikale Betonung als der Donjon.

Als Baumaterial diente meist der anstehende Fels, der in unmittelbarer Nähe des Bauplatzes gebrochen wurde. In steinarmen Gebieten wurden Ziegel- oder Feldsteine verwendet. Das Mauerwerk ist oft sehr sorgfältig ausgeführt, Kanten können durch Buckelquader akzentuiert werden. Der Bergfried konnte verputzt sein oder auch Sichtmauerwerk zeigen. Letzteres war beispielsweise bei den vollständig aus Buckelquadern gemauerten stauferzeitlichen Türmen der Fall. Der Turmschaft (also der Hauptteil des Turmes zwischen Sockel und dem abschließenden Obergeschoss) verfügte in der Regel über keine oder nur sehr wenige Fenster, oft sind dies nur einige schmale senkrechte Lichtschlitze.

Die teilweise enormen Mauerstärken der Untergeschosse nehmen im Innern des Turms in den Obergeschossen meist deutlich ab. Auf den dadurch entstehenden Mauerabsätzen lagen Holzdecken auf, die der Geschossaufteilung dienten. Das unterste Geschoss sowie das Obergeschoss werden häufig von einem Steingewölbe abgeschlossen. Gelegentlich sind schmale Treppenaufgänge ins Mauerwerk eingearbeitet, die einer einzelnen Person den Aufstieg ermöglichen. Häufiger sind die Geschosse jedoch durch hölzerne Treppen oder Leitern miteinander verbunden. Einige Bergfriede waren eingeschränkt bewohnbar, es finden sich sogar kleine Kaminanlagen in den Obergeschossen. Diese beheizbaren Stuben dienten in der Regel dem Aufenthalt des Türmers.

Die ursprüngliche Gestaltung des Turmabschlusses lässt sich bei vielen Bergfrieden nicht mehr genau rekonstruieren. Dies liegt einerseits daran, dass bei Burgruinen die obersten Mauerschichten und hölzerne Bauteile verfallen sind, andererseits daran, dass Bergfriede bei in der Neuzeit weiter bewohnten Burgen oft mit einem neuen Turmabschluss ausgestattet wurden (Beispiele: Burg Stein, Schloss Rochsburg). Zudem sind manche Türme, die auf den ersten Blick vielleicht mittelalterlich erscheinen, in Wirklichkeit historistische Neuschöpfungen des 19. Jahrhunderts (z.B. Wartburg, 1850er Jahre), manchmal auch freie Rekonstruktionen nach den damaligen Vorstellungen über mittelalterliche Burgarchitektur (Hohkönigsburg, 1909). Spätmittelalterliche Turmabschlüsse (die oft selbst bereits aus einer Umgestaltung des ursprünglichen Bauzustands hervorgegangen sind) haben sich vergleichsweise öfter erhalten, beziehungsweise lassen sich manchmal anhand von Zeichnungen (vor allem aus dem 16. u. 17. Jh.) rekonstruieren.

Die den Bergfried abschließende Wehrplattform war ursprünglich wohl oft mit einem Zinnenkranz umgeben. Gelegentlich haben sich Zinnen im Original erhalten, besonders wenn sie durch spätere Überbauungen geschützt werden (Burg Wellheim). Die Wehrplattform konnte entweder offen sein oder wurde von einem Dach beziehungsweise einem Turmhelm überdeckt. Entsprechend der Grundrissformen der Türme waren Zeltdächer und Kegeldächer am häufigsten. Das Dach konnte aus einem hölzernen Dachstuhl mit Ziegel- oder Schieferdeckung bestehen, oder auch massiv gemauert sein. Es überdeckte oft die gesamte Wehrplattform, so dass das Dach auf dem Zinnenkranz aufsetzte, war in anderen Fällen aber auch zurückspringend konstruiert, so dass ein offener Umgang zwischen Dach und Zinnen frei blieb (Beispiele: Rudelsburg, Osterburg). Bei überdachten Wehrplattformen konnten an Stelle der Zinnenlücken auch ähnlich angeordnete Fensteröffnungen den Rundblick auf die Umgebung und den Gebrauch von Fernwaffen ermöglichen (Burg Idstein, Burg Sayn). Teilweise erhaltene Konsolen oder Balkenlöcher am Turmabschluss weisen in einigen Fällen auf hölzerne Aufbauten hin. Im Spätmittelalter wurden die Turmdächer gerne mit kleinen Ecktürmchen und ähnlichen Aufbauten ausgestattet.

Größere Wurfmaschinen oder Katapulte haben sicherlich nur selten auf den Wehrplatten gestanden.

Große Burganlagen (z. B. Burg Münzenberg) und Ganerbenburgen besitzen manchmal mehrere Bergfriede.

Achteckige Bergfriede

Turm Friedrichs II. in Enna
achteckiger Bergfried der Burg Kruszwica

Eine seltene Form ist der Bergfried auf oktagonalem Grundriss. Zunächst treten oktagonale Bergfriede an einigen stauferzeitlichen Burgen in Baden-Württemberg, im Elsass und in Unteritalien auf. Am bekanntesten ist der Bergfried von Burg Steinsberg. Beim Turm Friedrichs II. in Enna kommt zu dem achteckigen Bergfried eine symmetrisch angelegte achteckige Ringmauer hinzu. Als Sonderform eines achteckigen Bergfrieds kann der Turm von Burg Gräfenstein angesehen werden, bei dem die Schenkel an der Angriffsseite zu einem Dreieck verlängert sind, womit der Turm siebeneckig wird.

In nachstaufischer Zeit treten oktagonale Bergfriede an Burgen der Backsteingotik auf. Die achteckige Form ist hier auch durch die Backsteinbauweise bedingt, die kantige Formen gegenüber runden bevorzugt. Eine Variante ist ein achteckiger Turm über quadratischem Untergeschoss. Ausgehend von den Burgen des Deutschen Ordens verbreitet sich diese Turmform auch in Zentralpolen (Beispiele: Brodnica, Człuchów, Lidzbark Warmiński). Gelegentlich haben auch Ordensburgen solche Türme, die nicht in Backstein ausgeführt sind (z.B. Paide).

Funktionen

Doppelturm der Burg Greifenstein (Hessen)

Der Bergfried war ein multifunktionaler Bauteil, der verschiedene Wehrfunktionen übernehmen konnte, aber auch repräsentativen Wert hatte. Über die einzelnen Funktionen entstand im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts in der Burgenforschung eine Diskussion, die sich am ehesten auf die Kurzformel „Wehrbau oder (eher) Statussymbol“ verknappen lässt.

Schildfunktion

Durch seine enorme Mauermasse (das Sockelgeschoss war in einigen Fällen sogar massiv ausgemauert) bot der Turm passiven Schutz für die dahinter liegenden Bereiche der Burg. Aus diesem Grund befand sich der Bergfried bei vielen Anlagen an der Hauptangriffsseite, oft eingestellt in die vordere Wehrmauer. Damit konnte der Bergfried eine ähnliche Funktion wie eine Schildmauer übernehmen. Insbesondere war dies der Fall bei Burgen, bei denen Schildmauer und Bergfried miteinander zu einer baulichen Einheit verbunden sind (Beispiel: Burg Liebenzell im Schwarzwald). So genannte Doppelbergfriede wie jener der Burg Greifenstein in Hessen stellen gewissermaßen eine Zwischenstufe zwischen Bergfried und Schildmauer dar. Hier sind die beiden nahe beieinander stehenden Türme durch ein schmales Schildmauerstück miteinander verbunden.

Warte

Da der Bergfried das höchste Gebäude der Burg war, kam ihm meist auch die Funktion eines Wartturmes (Beobachtungsturm) zu. Vom Obergeschoss oder der Wehrplattform aus konnten das Vorfeld und das Umland der Burg beobachtet werden. Turmwächter (Türmer) konnten frühzeitig einen herannahenden Feind sichten und Alarm geben, und auch bei Belagerungen war der erhöhte Aussichtspunkt zur Beobachtung des Vorfelds wichtig.

Erhöhte Wehrplattform

Bei Spornburgen und Hangburgen konnten sich Angreifer oberhalb des Burgareals positionieren. Durch die Höhe des Bergfrieds konnte dieser Höhennachteil zumindest teilweise wieder ausgeglichen werden. Von der hochgelegenen Wehrplattform konnte der Berghang besser kontrolliert werden als von den tiefer gelegenen Wehrgängen aus. Abgesehen davon übernimmt der Bergfried meist auch allgemein die Funktion eines Wehrturms. Zusätzliche Wehrgänge konnten auf der Ebene eines niedrigeren Stockwerks an den Turm angebaut sein (Beispiel: Burg Bischofstein an der Mosel).

Sicherer Verwahrungsort

Die massive Bauweise und der unzugängliche Hocheingang des Bergfrieds machten ihn zu einem relativ sicheren Verwahrungsort innerhalb der Burg. Hier konnten Wertgegenstände aufbewahrt werden, so dass der Turm die Rolle eines Tresorbaus übernahm.[7] Es gibt aber auch Berichte von der Einkerkerung von Gefangenen im Bergfried. Der als Verlies bezeichnete schachtartige Raum im Sockelgeschoss des Turmes war nur über eine Leiter oder Seilwinde von oben her zu betreten und eignete sich dadurch möglicherweise besonders als Gefängnis. Archäologische Befunde hierzu gibt es jedoch kaum (in wenigen Fällen existieren Aborte im untersten Geschoss, die diese Nutzung nahelegen, aber dies ist die Ausnahme). Die meisten Berichte über Einkerkerungen auf Burgtürmen stammen überdies aus der Frühen Neuzeit, es handelt sich also um eine spätere Umnutzung des Turmes, nicht unbedingt um eine seiner ursprünglichen Funktionen. Dagegen ist die Nutzung als Vorratslager belegt. So wurden in diesen Räumen zum Beispiel Steinhaufen gefunden, die hier als Wurfgeschosse für eine Belagerung vorgehalten wurden.

Statussymbol

Der Weiße Turm im Schloss Bad Homburg in Butterfass-Bauweise
Der Bergfried auf Schloss Schwarzenberg/Erzgeb.

Ebenso wie den früheren Wohntürmen des Adels und anderen Turmbauten kam dem Bergfried auch eine bedeutende Repräsentationsfunktion zu. Von einigen Burgenforschern wird die Rolle des Statussymbols besonders betont[8], wobei sich allerdings aus den mittelalterlichen Quellen bisher nicht ableiten lässt, welcher Symbolgehalt eigentlich von den Zeitgenossen beabsichtigt beziehungsweise wahrgenommen wurde. Das Symbol des Turmes ist vieldeutig und nicht in jedem Fall positiv besetzt, so stand beispielsweise der Turm zu Babel für Hochmut und Maßlosigkeit des Menschen.[9] Da sich im Mittelalter die weltliche Herrschaft und gerade auch das Rittertum (in seinem Selbstverständinis als militia christiana) vor einem christlichen Hintergrund legitimierte, gibt es in der Forschung auch die These, dass der Bergfried möglicherweise eine christliche Konnotation als Mariensymbol hatte. Maria wurde in der Laurentinischen Litanei als „elfenbeinerner Turm“ und als „Turm Davids“ bezeichnet. Aber auch dieser Symbolgehalt konnte bisher durch die Quellen nicht hinreichend für den Burgturm belegt werden.

Der Hauptturm wird bei zeitgenössischen Beschreibungen einer Burg oft als erstes genannt, als Abbreviatur (also als bildliche Abkürzung) ist er oft auf Wappen und Siegeln zu sehen, wo er die Burg als Ganzes symbolisiert. Dem Bergfried in seiner Statussymbolik vielleicht vergleichbar sind die mittelalterlichen Geschlechtertürme in einigen norditalienischen und deutschen Städten, deren teils bizarre Höhen sich nicht mehr wehrtechnisch erklären lassen (zudem gab es beispielsweise in Regensburg keine bewaffneten Konflikte zwischen den städtischen Patrizierfamilien, so dass hier die Statusfunktion von Anfang an vorherrschte). Für die Rolle als Statussymbol sprechen unter anderem auch die teilweise später gebauten „Butterfassaufsätze“, die keinen zusätzlichen Nutzen für die Wehrfunktion, sondern lediglich Höhe brachten.

Am Übergang vom Spätmittelalter zur Neuzeit, als durch die Entwicklung der Feuerwaffen eine Umwälzung in der Militärtechnik stattfand, verlor der Bergfried allmählich seine Wehrfunktion, da überhöhte Bauteile gegen Kanonenbeschuss und Sprengung besonders anfällig waren. Bei Burgen, die in Reaktion auf diese Entwicklungen zu Festungen neuer Art ausgebaut wurden, wurde der Bergfried deshalb oft abgerissen oder zurückgebaut, so beispielsweise bei der Veste Coburg oder der Burg Wildenstein.

Erhalten blieb der Bergfried in der Neuzeit hingegen bei einigen Burgen, die auf Befestigung zunehmend verzichteten und zu Schlössern umgestaltet wurden. Oft ist der Bergfried hier der einzige weitgehend in seiner ursprünglichen Form übernommene Bauteil der mittelalterlichen Burg, was wiederum als Indiz für seine Rolle als (nunmehr traditionelles) Herrschaftssymbol gewertet werden kann. Beispiele hierfür sind das Schloss Bad Homburg (Weißer Turm) oder das Schloss Wildeck (Dicker Heinrich) bei Zschopau. Beim Schloss Johannisburg in Aschaffenburg, dem letzten großen Renaissance-Schlossbau vor Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges, wurde der gotische Bergfried der Vorgängerburg in die ansonsten ganz regelmäßige Anlage integriert, obwohl er in auffälliger Weise aus deren Symmetrie ausbricht.

Im Schlossbau der Renaissance (und in geringerem Maß auch noch im Barock) spielen Türme weiterhin als Bestandteile herrschaftlicher Architektur eine wichtige Rolle, auch wenn sie nun meist keine Wehrfunktion mehr besitzen (Moritzburg, Schloss Meßkirch).

Der Bergfried als Zufluchtsort

Die neuere Burgenforschung, insbesondere die Gruppe um den bayerischen Mittelalterarchäologen Joachim Zeune, stellt jedoch die Funktion des Bergfriedes als Zufluchtsort im Falle einer Belagerung in Zweifel. Der Rückzug in den Turm sei ein „Tod auf Raten“ gewesen, der allenfalls in Erwartung eines Entsatzheeres sinnvoll gewesen sei. Als Beleg für diese These wird das weitgehende Fehlen entsprechender Befunde und Überlieferungen angeführt. Auch dem Hocheingang wird hier mehr eine symbolisch-psychologische Bedeutung beigemessen.

Kritiker werfen dieser Ansicht, die sich im Zusammenhang mit Zeunes „Machtsymbol-Theorie“ herausbildete, das völlige Außerachtlassen der hochmittelalterlichen Feudalordnung und des Gefolgschaftswesen vor. Hier wäre einfach die Methodik Günther Bandmanns auf die Profanarchitektur übertragen worden.[10]

Viele Burgen waren Lehensburgen, die einem mächtigeren Feudalherren oder einem Hochstift unterstanden. Die damaligen Territorien waren durch ein dichtes Netz solcher kleinerer und mittlerer Wehranlagen gesichert, das noch durch die befestigten Höfe der Untervasallen ergänzt wurde. Im Angriffsfall hätten die Verteidiger sich nach dieser Auffassung durchaus auf den Beistand ihres Lehnsherren und der zugehörigen oder verbündeten Ritterschaft verlassen können. Umgekehrt vertraute der Landesherr selbstverständlich auf die Hilfe seiner Vasallen.

Die Untergeschosse der Bergfriede stecken häufig mehrere Meter im Boden. Eine Unterminierung war deshalb nicht zu befürchten. Auch eine Brandlegung war durch die Steinarchitektur nur schwer möglich, Die wenigen Lichtöffnungen konnten rasch verschlossen werden, so dass auch ein Ausräuchern verhindert werden konnte. Die „konservative“ Historikergruppe sieht den Bergfried deshalb als Mittel der passiven Verteidigung, als Zufluchtsort für einige Tage, bis der Entsatz eintraf. Aus diesem Grund finden sich an diesen Bauwerken nur so wenige Einrichtungen der aktiven Verteidigung. Man wollte offenbar hauptsächlich ein Eindringen des Angreifers verhindern. Die Erstürmung eines solchen Turmes innerhalb weniger Tage ist nahezu unmöglich. Viele Bergfriede entgingen wegen ihrer massiven Bauweise sogar den späteren Abbruchsversuchen der umliegenden Landbevölkerung, die das sonstige Baumaterial verlassener Burgen gerne abtransportierte und wiederverwertete.

Ein Angriff auf eine solche, in ein funktionierendes Feudalsystem eingebundene Burganlage war also nahezu aussichtslos. Hier war es wesentlich risikoloser, die Höfe und Mühlen des Feindes auszuplündern. Tatsächlich wurde ein großer Teil der mitteleuropäischen Burgen im Mittelalter niemals ernsthaft angegriffen. Folgerichtig kann es deshalb auch nicht viele Nachweise eines Rückzuges in einen Bergfried geben, das Bauwerk hatte seine abschreckende Funktion ja bereits erfüllt.

Eine Erfolg versprechende Belagerung war nur sinnvoll, wenn man sich vorher rechtlich absicherte und den Landesherren oder gar den Kaiser um Erlaubnis bat. Dies war nur bei tatsächlichen oder fingierten Rechtsbrüchen möglich, etwa Wegelagerei, Falschmünzerei oder Totschlag. Den Verbündeten des Burgherren waren dann die Hände gebunden, sie konnten dem Angegriffenen ja aus rechtlichen Gründen nicht zu Hilfe kommen. In solchen Fällen war eine letzte Zuflucht im Hauptturm eigentlich sinnlos.

Die Bergfriede der Burgen des 12./13. Jahrhunderts wurden ursprünglich nur von einfachen Ringmauern umgeben. Flankierungstürme und Zwingeranlagen wurden erst in späteren Bauphasen hinzugefügt. Viele Nebengebäude bestanden damals aus Holz oder Fachwerk, der steinerne Wohnbau war meist nicht besonders wehrhaft. Im Hochmittelalter war ein massiver Bergfried im Belagerungsfall zweifellos das sicherste Gebäude, in dem bereits während der Kampfhandlungen die Frauen, Alten und Kinder Zuflucht suchen konnten.

Solch ein Turm war sicherlich auch ein wirksamer Schutz gegen die Überraschungsangriffe kleinerer marodierender Banden und der anhängigen Bevölkerung. Gerade während der Abwesenheit der oft nur wenigen wehrfähigen Männer während der Jagd oder Feldarbeit war eine Burg besonders gefährdet. Auch ohne Vorräte konnten die verbliebenen Burgbewohner bis zur Rückkehr der Männer im Bergfried ausharren und waren vor Misshandlungen und Vergewaltigungen geschützt. Ein solcher sicherer Rückzugsort war in einer Zeit, in der sich die staatlichen und gesellschaftlichen Strukturen erst zu konsolidieren begannen, sicherlich hoch willkommen.

Bei späteren Ausbauten wurden die hinzugefügten Wehrtürme oft als Schalentürme ausgeführt. Die Rückseite war also offen, um einem eingedrungenen Gegner keine Deckungsmöglichkeit zu bieten. Solche, halbrunden oder rechteckigen Turmbauten haben sich an zahllosen Burgen und Stadtbefestigungen erhalten. Sie sind ein weiteres Indiz dafür, dass eine Wehranlage auch nach der Erstürmung der Ringmauern noch nicht aufgegeben wurde.

Der größte Hauptturm einer mittelalterlichen europäischen Burg, der gewaltige Donjon der französischen Burg Coucy, wurde gar noch während des Ersten Weltkrieges als Bedrohung angesehen. Die deutsche Heeresleitung ließ den etwa 50 m hohen Turm am 27. März 1917 trotz zahlreicher internationaler Proteste sprengen, um den französischen Truppen keine Rückzugsmöglichkeit offen zu halten.

Imitierte Adelsburg im 16. Jh.: Tor und „Bergfried“ der Marienburg bei Niederalfingen (Ostalb)
Der Hauptturm der Allgäuer Burg Hohenfreyberg

Im Spät- und Nachmittelalter entstanden noch einige Burgneubauten, deren Haupttürme zweifellos niemals als Rückzugsorte geplant waren. So ließ Friedrich von Freyberg ab 1418 direkt neben seiner Stammburg Eisenberg im Allgäu einen der letzten großen Burgneubauten des deutschen Mittelalters errichten. Die Burg Hohenfreyberg entstand im Stil einer staufischen Höhenburg, auch ein „Bergfried“ durfte hier nicht fehlen. Die beiden Burgruinen bilden heute eine der bedeutendsten Burgengruppen Zentraleuropas. Der Freyberger wollte wohl am Ende des Mittelalters nochmals ein Symbol ritterlichen Selbstbewusstseins erschaffen.

Im 16. Jahrhundert erwarben die Augsburger Fugger die Marienburg in Niederalfingen im heutigen Ostalbkreis in Baden-Württemberg. In der Zeit der Hochrenaissance entstand hier in der Folge eine „hochmittelalterliche“ Höhenburg aus Buckelquadern mit einem mächtigen Hauptturm. Die aus einfachsten Verhältnissen aufgestiegenen Fugger wollten ihren frisch erworbenen Adelsstand hier offenbar durch eine „antike“ Stammburg legitimieren.

Die Burg im Belagerungsfall

Angriffe auf mittelalterliche Burganlagen wurden in Mitteleuropa in der Regel nicht von großen Belagerungsheeren durchgeführt. Oft blockierten nur zwanzig bis hundert Mann die Zugänge zur Burg und demoralisierten die Besatzung durch gelegentliche Angriffe. Gerne schleuderte man Tierkadaver oder Unrat in den Burghof. Eine blockierte Burg brauchte eigentlich nur ausgehungert zu werden, allerdings stellte sich auch für die Belagerer das Problem der Versorgung dar. Die Bauern der Umgebung hatten ihr Getreide meist in Erdställen versteckt und das Vieh in die Wälder getrieben.

Die Besatzung der belagerten Burg bestand in der Regel aus noch weniger waffenfähigen Männern. Im Falle einer absehbaren Belagerung war die in Friedenszeiten nur aus etwa drei bis zwanzig Mann bestehende Burgmannschaft verdoppelt oder verdreifacht worden. Zumindest die höheren Ränge konnten im Notfall im Hauptturm Zuflucht finden. Eine Burg galt damals erst als erobert, wenn auch der Bergfried gefallen war. Dies konnte noch einige Wochen in Anspruch nehmen. In dieser Zeit musste der Angreifer seine Männer weiterhin verpflegen und besolden. Manchmal liefen die Söldner des Belagerers deshalb einfach davon, oder stellten sich gar gegen ihren Auftraggeber, falls der Erfolg zu lange auf sich warten ließ.

Es lassen sich gar regelrechte Abkommen zwischen den Befehlshabern nachweisen, die sich oft persönlich kannten und die gleiche gesellschaftliche Position einnahmen. Man handelte eine Frist aus, die offenbar meist um die 30 Tage betrug. Falls der Lehnsherr oder die Verbündeten der Belagerten nicht innerhalb dieses Zeitraumes vor der Burg erschienen, übergaben die Verteidiger die Befestigungsanlage kampflos. Im Gegenzug erhielt man freies Geleit und durfte manchmal auch den Hausrat mitnehmen. Durch einen derartigen Vertrag konnte man auf beiden Seiten Leben schonen und unnötige Kosten vermeiden. Ein solches Abkommen setzt sicherlich eine gewisse Wehrhaftigkeit der Burganlage und des Hauptturmes voraus. Eine "Verteidigung bis zum Ende" konnte sehr riskant werden. So wurden etwa die höheren Ränge der Besatzung des englischen Bedford Castle nach der Sprengung des Hauptturmes durch die Truppen König Heinrichs III. vor der Burg aufgehängt (1224). In Mitteleuropa wurden noch während des Deutschen Bauernkrieges Burgen gegen die Zusicherung freien Abzuges aufgegeben.

Wehrspeicher und Kirchenburgen

Deutliche Parallelen zur angenommenen Zufluchtsfunktion der Bergfriede zeigen die Wehrspeicher der leicht befestigten Höfe des Niederadels und auch die steinernen Kirchtürme der Dörfer und Kirchenburgen.

Die Bevölkerung hatte im Kriegsfall am meisten zu leiden. Nahezu jedes größere Dorf war deshalb schwach befestigt. Nicht selten war die Kirche wehrhaft ausgebaut oder gar zur Kirchenburg erweitert worden. Dem massiven Kirchturm kam hier die Funktion eines Bergfriedes zu, in dem die Bevölkerung notfalls kurzfristig Schutz finden konnte. Oft zogen die Angreifer nach kurzer Zeit wieder ab, eine aktive Verteidigung war hier zweitrangig.

Die Vernachlässigung des Faktors "Zeitgewinn" in der Argumentation Joachim Zeunes bemerkte etwa auch der Forscher Hans Jürgen Hessel in einem Aufsatz über befestigte Kirchen im "Festungsjournal 32" der "Deutschen Gesellschaft für Festungsforschung" (2008).[11]

Die Höfe des Kleinadels und der Großbauern besaßen oft kleinere Wehrspeicher, die meist auf Inseln in Weihern standen. Auf einem massiven Untergeschoss saß ein hervorragendes Obergeschoss, das die Bewohner aufnehmen konnte. Die meisten Beispiele solcher befestigter Speichertürme haben sich in Westfalen erhalten. Für Franken hat Joachim Zeune einen der wenigen gesicherten Nachweise eines solchen „Miniaturbergfriedes“ erbracht (Dürrnhof).

Literatur

  • Reinhard Schmitt: Hochmittelalterliche Bergfriede – Wehrbauten oder adliges Standessymbol? In: Rainer Aurig, Reinhardt Butz, Ingolf Gräßler und André Thieme (Hrsg.): Burg – Straße – Siedlung – Herrschaft. Studien zum Mittelalter in Sachsen und Mitteldeutschland. Festschrift für Gerhard Billig zum 80. Geburtstag. Beucha 2007, ISBN 978-3-86729-012-8, S. 105–142.
  • Georg Ulrich Großmann: Burgen in Europa. Regensburg 2005, ISBN 3-7954-1686-8.
  • Horst Wolfgang Böhme (Hrsg.): Wörterbuch der Burgen, Schlösser und Festungen. Stuttgart 2004, ISBN 3-15-010547-1.
  • Thomas Biller, Georg Ulrich Großmann: Burg und Schloss. Der Adelssitz im deutschsprachigen Raum. Regensburg 2002, ISBN 3-7954-1325-7.
  • Yves Hoffmann: Zur Datierung von Wohntürmen und Bergfrieden des 11. bis 13. Jahrhunderts auf sächsischen Burgen. In: Historische Bauforschung in Sachsen. Arbeitsheft des Landesamtes für Denkmalpflege Sachsen 4, Dresden 2000, ISBN 3-930382-46-6, S. 47–58.
  • Burgen in Mitteleuropa. Ein Handbuch. Hrsg. von der Deutschen Burgenvereinigung e. V., Stuttgart 1999, ISBN 3-8062-1355-0.
  • Joachim Zeune: Burgen - Symbole der Macht. Ein neues Bild der mittelalterlichen Burg. Regensburg 1997, ISBN 3-7917-1501-1.
  • Hans-Klaus Pehla: Wehrturm und Bergfried im Mittelalter. Diss. Aachen 1974.

Einzelnachweise

  1. Piper, Otto: Burgendkunde. Bauwesen und Geschichte der Burgen. Würzburg 1912, S. 174.
  2. Hinz, Hermann: Motte und Donjon. Zur Frühgeschichte der mittelalterlichen Adelsburg. Köln 1981, S. 53–58.
  3. Burgen in Mitteleuropa. Hrsg. von der Deutschen Burgenvereinigung e. V. Stuttgart 1999, S. 237.
  4. Burgen in Mitteleuropa. Hrsg. von der Deutschen Burgenvereinigung e. V. Stuttgart 1999, S. 74: "Bergfriede als reine Wehrbauten ohne nennenswerte Wohnfunktion sind bei Burgen des 11. Jhs. noch nicht anzutreffen (...)". Siehe auch: Biller, Thomas: Die Adelsburg in Deutschland. Entstehung, Form und Bedeutung. München 1993, S. 135.
  5. Biller, Thomas: Die Adelsburg in Deutschland. München 1993, S. 145. Als weiteres Beispiel nennt Biller die Große Harzburg, S. 143f.
  6. Biller, Thomas: Die Adelsburg in Deutschland. Entstehung, Form und Bedeutung. München 1993, S. 134.
  7. Burgen in Mitteleuropa. Hrsg. v. der Deutschen Burgenvereinigung e. V. Darmstadt 1999, S. 238.
  8. Zeune, Joachim: Burgen. Symbole der Macht. Regensburg 1997, S. 44.
  9. Wörterbuch der Symbolik. Hrsg. v. Manfred Lurker. Stuttgart 1991, S. 774.
  10. Bandmann, Günther: Mittelalterliche Architektur als Bedeutungsträger. Berlin 1951
  11. Hans Jürgen Hessel: Befestigte Kirchen (Wehrkirchen), ein vernachlässigtes Kapitel deutscher Geschichte. In: Festungsjournal 32. Marburg, Deutsche Gesellschaft für Festungsforschung, 2008

Weblinks


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