- Betriebsrisikolehre
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Der Begriff der Betriebsrisikolehre wurde im Arbeitsrecht im Zusammenhang mit der rechtlichen Bewertung von Leistungsstörungen im Arbeitsverhältnis zur Vermeidung unangemessener Ergebnisse bei der Anwendung des Leistungsstörungsrechts entwickelt. Sie unterscheidet für Arbeitgeber bzw. Arbeitnehmer unterschiedliche Risikobereiche. Je nachdem in welchen Risikobereich die Leistungsstörung fällt, hat derjenige die Rechtsfolgen zu tragen. Juristische Konsequenzen hat dies vor allem bei den Themen Anfahrtsweg zur Arbeitsstätte und bei Arbeitskampfmaßnahmen.
Inhaltsverzeichnis
Einführung
Unter der Lehre vom Betriebsrisiko versteht man die aus dem Betreiben einer Angelegenheit erwachsende Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines Schadens. Im Arbeitsrecht wird als Betriebsrisiko speziell das Risiko bezeichnet, dass der Betrieb ohne Verschulden des Arbeitgebers oder der Arbeitnehmer zum Erliegen kommt (zum Beispiel wegen Ausbleibens von Zulieferungen oder Energie). Mit anderen Worten geht es um die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen der Arbeitgeber das Entgelt auch dann zu bezahlen hat, wenn er aus tatsächlichenoder rechtlichen Gründen zur Beschäftigung der Belegschaft nicht in der Lage ist, ohne dass dies von einer der beiden Seiten zu vertreten ist.[1] Dieses – oftmals nicht aus der Sphäre der Arbeitnehmer (wie zum Beispiel ein Teilstreik) kommende – Risiko hat der Arbeitgeber zu tragen, so dass in der Regel entgegen § 326 BGB der Vergütungsanspruch der Arbeitnehmer nicht entfällt.[2]
Dieses Rechtsinstitut war lange nicht gesetzlich geregelt (siehe sogleich unten) und sehr umstritten. Deshalb gilt seit dem Kieler Straßenbahnfall [3] die Sphärentheorie, wonach unter bewusster Außerachtlassung der Regeln des BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) die Last der Lohnzahlung bzw. des Lohnausfalls derjenige tragen muss, in dessen Sphäre die Verhinderung der Arbeitsleistung liegt.[4] Dies ist grundsätzlich der Arbeitgeber (Betriebsrisiko), im Falle des Arbeitskampfes allerdings der Arbeitnehmer (Arbeitskampfrisiko).
Die Betriebsrisikolehre ist seit dem 1. Januar 2002 in § 615 S.3 BGB[5] gesetzlich geregelt. Dort heißt es sinngemäß, dass der Arbeitnehmer die vereinbarte Vergütung für die infolge der Verzugs nicht geleisteten Dienste vom Arbeitgeber verlangen kann, ohne zur Nachleistung verpflichtet zu sein, wenn der Arbeitgeber das Risiko des Arbeitsausfalls trägt. Der Arbeitgeber hat hiernach das Entgelt weiterzuzahlen, wenn die Arbeit aus Gründen unterbleibt, die in seinem Einflussbereich liegen (z. B. Stromausfall), defekte Maschinen, Ausfall von Rohstoffen) oder von höherer Gewalt herrühren.
Betriebsrisikotragung
Grundlagen
Bei der Lehre vom Betreibsrisiko geht es um die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen der Arbeitgeber das Entgelt auch dann zu bezahlen hat, wenn er aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen zur Beschäftigung der Belegschaft nicht in der Lage ist, ohne dass dies von einer der beiden Seiten zu vertreten ist.
Abgrenzung
Das Betriebsrisiko ist vom Wirtschaftsrisiko abzugrenzen. In den Fällen des Wirtschaftsrisikos ist die Arbeitsleistung betriebstechnisch weiterhin möglich, die Fortsetzung des Betriebs wegen eines Auftrags- o.der Absatzmangels aber wirtschaftlich sinnlos.
Vom Betriebsrisiko ist weiterhin das Wegerisiko zu unterscheiden. Der Arbeitnehmer trägt das Risiko, dass er aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen nicht in der Lage ist, den Ort zu erreichen, an dem er seine Arbeitsleistung zu erfüllen hat.[6] Gelangt der Arbeitnehmer etwa wegen Eisglätte oder Überschwemmungen[7] nicht zur Arbeitsstätte, handelt es sich nicht um ein Betriebsrisiko des Arbeitgebers. Folglich ist der Arbeitgeber von seine Pflicht zur Entlohnung der Arbeitsleistung befreit, da der Arbeitnehmer das Risiko des Arbeitsausfalls trägt.
Nicht unter § 315 S. 3 BGB zu fassen sind die Fälle, in denen der Arbeitgeber die zur Unmöglichkeit der Arbeitsleistung führende Störung zu vertreten hat.[8] Dies ist etwa dann anzunehmen, wenn die Arbeitsstätte durch einen Brand zerstört wird, und der Arbeitgeber sich schuldhaftes Fehlverhalten des Aufsichtspersonals über § 278 BGB zurechnen lassen muss.[9]
Die Rechtsprechung vertritt seit jeher die Ansicht, dass die Grundsätze über die Betriebsrisikotragung durch den Arbeitgeber dann nicht anwendbar sind, wenn die Entgeltzahlung die Existenz des Betriebs gefährden würde.[10] Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat diesen Vorbehalt allerdings noch niemals durchgreifen lassen und ihn zudem auf die Fälle beschränkt, in denen nicht nur der einzelne Betrieb, sondern das gesamte Unternehmen gefährdet ist.[11] Dementsprechend hat es die völlige Zerstörung einer einzelnen Produktionsstätte nicht ausreichen lassen, um das Betriebsrisiko ganz oder auch nur teilweise auf die Arbeitnehmer abzuwälzen.[12]
Begründung des Rechtsinstituts Betriebsrisikolehre
Zur Legitimation der Gefahrverlagerung auf den Arbeitgeber verweist der Gesetzgeber auf den Gedanken der sozialen Arbeits- und Betriebsgemeinschaft von Unternehmer und Belegschaft.[13] Dieser Ansatz ist jedoch nicht mehr aktuell. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) stellt stattdessen das Beherrschbarkeitskriterium in den Vordergrund; hiernach hat der Arbeitgeber die Organisations- und Leitungsgewalt über den Betrieb und zieht die Erträge aus dem betrieblichen Geschehen.[14] Hinzu kommt, dass der Arbeitgeber die Kosten besser als der einzelne Arbeitnehmer absorbieren kann, indem er sie in sein betriebswirtschaftliches Rechenwerk einkalkulieren, auf seine Arbeitnehmer streuen sowie ggf. versichern kann.
Einzelfälle
Anerkannte Fälle des Betriebsrisikos:
- Technische Störungen, die zur Unmöglichkeit der Arbeitsleistung führen (zum Beispiel Versagen oder Überholen von Maschinen)
- Produktionsstopp infolge Rohstoffmangel
- Ausfall der Energieversorgung
- Geschehnisse, die von außen einwirken und sich für den Arbeitgeber als Fall höherer Gewalt darstellen (Brände, Naturkatastrophen etc.)
- Öffentliche Vorschriften führen zu einem Betriebsstillstand (zum Beispiel Unmöglichkeit der Arbeitsleistung infolge einer vorgeschriebenen Inventur)[15]
- Wird wegen Smogalarmsein Betriebsverbot angeordnet, gehört dies ebenfalls zum Risikobereich des Arbeitgebers[16]
- Staatstrauer[17]
Konkretes Beispiel:[18]
Der Arbeitgeber hat das Risiko einer Zerstörung seines Holzhandelsbetriebes durch Brand zu tragen. Die Lohnzahlungspflicht des Arbeitgebers für den Fall des Betriebsrisikos war hier nicht durch eine Klausel im Tarifvertrag ausgeschlossen. Die Entscheidung über das Betriebsrisiko kann nicht aufgrund der Vorschriften des BGB (§ 323 BGB oder § 615 BGB) getroffen werden. Es besteht hinsichtlich dieser Frage eine Lücke im Gesetz. Die Betriebsrisikolehre stellt daher keine unzulässige Rechtsfortbildung dar. (Festhaltung, BAG, Urteil vom 8. Februar 1957; 1 AZR 338 / 55 = BAGE 3, 346)
Fälle, welche kein Betriebsrisiko darstellen sind solche wie allgemeine Gefahrenlagen bei Krieg, Unruhen, Terroranschlägen oder Epidemien.
Einzelnachweise
- ↑ Krause in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht; § 615 Rn. 112, Verlag C.H. Beck oHG München, 4. Aufl. 2010
- ↑ Juristisches Wörterbuch, G. Köbler, Verlag Franz Vahlen GmbH, 11. Aufl. 2002
- ↑ RGZ 106, 272 ff.
- ↑ Arbeitsrecht, Th. Holbeck, E. Schwindl, 9. Aufl. 2009 Wolters Kluwer Deutschland GmbH Köln
- ↑ Der Ort ist unglücklich gewählt. Der Anspruch setzt nicht das Vorliegen eines Annahmeverzuges im Sinne von § 615 S. 1 BGB voraus. § 615 S. 3 BGB verweist nur hinsichtlich der Rechtsfolgen auf § 615 S. 1 BGB.
- ↑ Krause in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht; § 615 Rn. 117, Verlag C.H. Beck oHG München, 4. Aufl. 2010
- ↑ Bauer/Opolony in NJW 2002, S. 3503 (3507)
- ↑ Krause in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht; § 615 Rn. 119, 4. Aufl. 2010
- ↑ BAG vom 17. Dezember 1978; 5 AZR 149/68
- ↑ BAG vom 8. März 1983; 4 AZR 301/80
- ↑ Krause in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht; § 615 Rn. 120, 4. Aufl. 2010
- ↑ BAG vom 28. September 1972; 2 AZR 506/71
- ↑ BT-Drs. 14/6857, S. 48
- ↑ s. etwa BAG vom 9. März 1983; 4 AZR 301/80
- ↑ BAG v. 7. Dezember 1962; 1 AZR 134/61
- ↑ Richardi in NJW 1987, S. 1231 (1235)
- ↑ BAG AP Nr. 15 zu § 615 - Betriebsrisiko
- ↑ BAG 2. Senat 13. Juni 1990; 2 AZR 635/89 in juris.de
Kategorie:- Individualarbeitsrecht (Deutschland)
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