Bildungssystem in den Niederlanden

Bildungssystem in den Niederlanden

Das Bildungssystem in den Niederlanden sieht eine Schulpflicht vom 4. bis zum 18. Lebensjahr vor, wovon mindestens bis zum 16. Lebensjahr die Schule besucht werden muss. In der Praxis jedoch befreiten die Gerichte nach längeren Verfahren schon häufiger einzelne Eltern von der Schulpflicht, um stattdessen Hausunterricht oder Unschooling zu ermöglichen.

Grafik des Schulsystems in den Niederlanden

Die Kinder werden gewöhnlich mit fünf Jahren in die Grundschule („basisschool“) eingeschult. Auf Wunsch der Eltern kann das Kind aber auch schon mit vier Jahren zur Schule gehen. Dies geschieht in der Praxis sehr häufig.

Alle Schulen schließen mit einem Examen ab. Dieses besteht aus einem schulinternen Teil und der zentralen Abschlussprüfung, die für alle Schüler der jeweiligen Schulart in den Niederlanden gleich ist.

Inhaltsverzeichnis

Geschichtliches

Zuiderzeemuseum: Nord-holländische Stadtschule um 1905

Eine der größten Reformen des niederländischen Schulsystems in der Geschichte ist das „Mammoetwet“ von 1968 gewesen, das die Grundlagen für das heutige System gelegt hat. Am 1. August 1985 ist die Reform des niederländischen Schulsystems in Kraft getreten. Seitdem ist die Vorschule (kleuterschool) und die frühere Grundschule (lagere school) integriert. Kinder zwischen vier und fünf Jahren besuchen bereits die erste Klasse.

Allgemeines

Ein gewichtiger Unterschied zum deutschen Schulsystem ist bereits historisch verankert. Weil es in den Niederlanden jedem freisteht, aufgrund seiner Religion oder auf Basis bestimmter pädagogischer Grundlagen eigene – allerdings vom Staat finanzierte - Schulen zu gründen, verwundert es nicht, dass zwei Drittel aller Schüler eine private Schule besuchen. Die meisten Schulen sind entweder openbaar („öffentlich“), katholisch oder protestantisch, obgleich die Niederlande zu einem der am stärksten entkonfessionalisierten Ländern der Welt zählen. Träger der „nichtöffentlichen“ Schulen sind in der Regel Stiftungen.

Die Wahl der Unterrichtsmethoden steht den Schulen frei. Die Inhalte sind allerdings in staatlichen Richtlinien formuliert und für alle Schulen verbindlich. Ob die Schüler den darin bestimmten Leistungsanforderungen gerecht werden, wird mittels landesweiter, staatlicher Tests überprüft. Dies gilt auch für Schulen, die von Minderheiten besucht werden. Seit Mitte der 1980er Jahre können Eltern ihre Kinder etwa auf islamische oder hinduistische Grundschulen schicken.

Weiter können Eltern wählen, ob sie ihre Kinder auf eine Kategorialschule schicken, an der nur eine Schulform gilt, oder sich für eine Schulgemeinschaft entscheiden. Diese beherbergt mehrere Schularten. Anders als manchmal in Deutschland behauptet wird, sind die niederländischen Schulen in der Regel also keine Gesamtschulen, allenfalls „kooperative Gesamtschulen“ mit mehreren Schulformen unter einem Dach. Seit Ende der 1990er Jahre sind viele Schulen miteinander fusioniert, um Direktoren einzusparen. Häufig sind VWO und HAVO in einem Gebäude und der VMBO in einem anderen.

Grundschule

Anders als in Deutschland umfasst diese Schulform acht Klassen, die hier als Gruppen (groepen) bezeichnet werden. Groep 1 bezeichnet dabei die Vierjährigen und groep 8 normalerweise die Zwölfjährigen. Diese groepen überlappen sich also sowohl mit dem deutschen Kindergarten als auch mit der weiterführenden Schule. Der Unterricht vom 4. bis zum 5. Lebensjahr (groep 1 - 2) kann inhaltlich mit dem im deutschen Kindergarten verglichen werden. Jedoch ist er in der Regel weitergehend in den Grundschullehrplan integriert. In den beiden letzten Basisjahren fangen die Schüler mit dem Englischunterricht an, weitere Fremdsprachen werden allein in Schulversuchen angeboten.

Im letzten Grundschuljahr legen sie eine zentrale Prüfung ab, die vom Staatlichen Institut für Testentwicklung (CITO genannt) entwickelt und später ausgewertet wird. Anders als in Deutschland, wo das Gutachten eines Grundschulpädagogen bei der Wahl einer weiterführenden Schule zu Grunde liegt, können Eltern in den Niederlanden anhand des CITO- Ergebnisses und einer Beratung durch einen Gutachter der Schule ihre Entscheidung treffen.

Der Stundenplan sieht in den ersten beiden Gruppen 22 Unterrichtsstunden pro Woche vor, in den darauffolgenden Jahren mindestens 25. Der Unterricht findet von 8:30 Uhr bis 15:15 Uhr statt, eine Mittagspause ist darin integriert.

Manche Schulen weichen von den genannten Regeln ab, zum Beispiel die recht weit verbreiteten Waldorfschulen (vrije school) sprechen von Vorschule (kleuterschool) und Klassen (klas) statt groepen. Sowohl Englisch, Französisch als auch Deutsch wird hier schon von der 1. Klasse (entsprechend groep 3) an unterrichtet (auf spielerische Art).

Weiterführende Schulen

Sg. (Scholengemeenschap) Augustinianum in Eindhoven

Im Anschluss an die Grundschule folgt eine weiterführende Schule für Schüler zwischen 12 und 18 Jahren. Die Sekundarbildung kann in folgenden Einrichtungen absolviert werden:

  • Einrichtungen der „vor-universitären Bildung“ (VWO)
  • Einrichtungen der allgemeinen Sekundarbildung (HAVO) und
  • Einrichtungen der berufsbildenden Sekundarerziehung (VMBO).

Das erste Jahr der Sekundarschulen aller drei Formen ist die sogenannte Übergangsklasse („brugklas“). Sie dient vor allem der Orientierung des Schülers auf seine zukünftige Schullaufbahn.

VWO

Der „vorwissenschaftliche“ oder „vor-universitäre Bildungsgang“ (voorbereidend wetenschappelijk onderwijs, VWO) dauert sechs Jahre und hat die Vorbereitung der Schüler für die Aufnahme an eine Universität zum Ziel. Die Erteilung des vor-universitären Unterrichts findet in drei Arten von Schulen statt: dem Gymnasium, dem Atheneum oder dem Lyzeum. Der Unterschied zwischen Gymnasium und Atheneum besteht in der Sprachenfolge: im Gymnasium gehören Latein- und Griechischunterricht zu den Pflichtfächern - beim Atheneum nicht; bei einem Lyzeum handelt es sich um eine Kombination zwischen einem Gymnasium und einem Atheneum mit einem gemeinsamen Anfangsjahr.

Im vierten beziehungsweise fünften Schuljahr gliedern sich die Gymnasien und Atheneen in vier Teile, die sogenannten Profielen: Cultuur en Maatschappij (Kultur und Gesellschaft), Economie en Maatschappij (Wirtschaft und Gesellschaft), Natuur en Gezondheid (Natur und Gesundheit) und Natuur en Techniek (Natur und Technik). Es gibt die für alle Profile verpflichtete Fächer, sowie Niederländisch und Englisch, das Profieldeel, die zum Profil gehörenden Fächer und einige Fächer, die man selbst wählen kann. Cultuur en Maatschappij ist auf Sprachen, Geschichte und Kunst eingerichtet; Economie en Gesellschaft auf Geschichte, Erdkunde, Ökonomie, sowie auf angewandte Mathematik; Natur und Gesundheit hat Biologie, Chemie, Mathematik und entweder Erdkunde oder Physik als Wahlfach innerhalb des Profils; Natuur en Techniek hat Mathematik, Chemie und Physik verpflichtend. Es läuft also von sehr sprachlich bis zu sehr exakt. Jeder Ausbildungsgang endet mit einer Abschlussprüfung.

HAVO

Der 5-jährige höhere allgemeinbildende Ausbildungsgang (hoger algemeen voorbereidend onderwijs, HAVO) ist hauptsächlich darauf angelegt, die Schüler auf eine „höhere“ Berufsausbildung vorzubereiten. Tatsächlich setzen jedoch häufig Schüler, die den HAVO-Abschluss erreicht haben, ihre schulische Laufbahn fort, um den VWO-Abschluss zu erreichen. Andere besuchen eine Berufsschule (MBO), anstatt in einen „höheren“ Berufsbildungsgang einzutreten.

Niederländer übersetzen die HAVO ins Deutsche oft mit Realschule. Tatsächlich aber ist das HAVO-Zeugnis eher mit der deutschen Fachhochschulreife zu vergleichen, denn es ermöglicht den Zugang zur 4-jährigen Ausbildung im HBO (hoger beroepsonderwijs).

VMBO

Vor einigen Jahren wurden die unteren Bildungsgänge zusammengefügt:

  • mittlerer allgemeiner vorbereitender Bildungsgang (middelbaar algemeen voorbereidend onderwijs, MAVO), ungefähr mit der Realschule vergleichbar
  • niederer beruflicher Bildungsgang (lager beroepsonderwijs, LBO), später vorbereitender beruflicher Bildungsgang (VBO) eine Art Hauptschule
  • individueller beruflicher Bildungsgang (individueel voorbereidend beroepsonderwijs, IVBO), eher eine Art Sonderschule

Der neue, vierjährige berufsvorbereitende Sekundarunterricht (voorbereidend middelbaar beroepsonderwijs, VMBO) ist aber dennoch noch unterteilt in einen theoretischen Weg (Realschule) und einen praktischen Weg (Hauptschule). Der VMBO bereitet die Schüler hauptsächlich auf den späteren Besuch der Berufsschule (middelbaar beroepsonderwijs, MBO) vor. Viele Schüler mit dem VMBO-Abschluss streben danach den HAVO-Abschluss an, während andere lediglich einen berufsorientierenden Kurzbildungsgang (KMBO) durchlaufen oder eine Lehre im dualen System aufnehmen. Die VMBO nimmt rund 60 Prozent der Kinder der Primarschule auf.

MBO

Die Berufsbildungsgänge (MBO) bereiten die Schüler auf mittlere Positionen in Verwaltung, Industrie und im Dienstleistungssektor vor. Sie folgen unmittelbar auf einen berufsorientierenden Bildungsgang oder auf einen allgemeinbildenden Bildungsgang. Sie dauern höchstens 4 Jahre. Schüler können zwischen technischen Kursen, Kursen aus den Bereichen Dienstleistungen, Gesundheit, Hauswirtschaft, Groß- und Einzelhandel und Landwirtschaft auswählen. Die verpflichtende Arbeitserfahrung am Arbeitsplatz prägt diesen Ausbildungsgang.

KMBO

Berufliche Kurzausbildungsgänge (KMBO) wurden 1979 in Folge der damals neuen Weiterbildungsverfügung eingerichtet. KMBO Kurse bereiten Schüler auf die Berufstätigkeit in einfachen Tätigkeitsfeldern vor. Sie werden Jugendlichen von 16 Jahren ab angeboten. Um zugelassen zu werden, müssen die Schüler entweder ein LBO- oder ein MAVO-Abschlusszeugnis vorlegen, oder sie müssen eine 10-jährige Vollzeitschulbildung nachweisen. Die Kurse sind Vollzeitkurse und dauern zwei bis drei Jahre. Praktische Arbeit sowohl innerhalb wie außerhalb der Schulen bilden einen wichtigen Teil dieser Ausbildungsgänge. Einige Teile der Kurse sind unmittelbar berufsbezogen, andere vermitteln allgemeinbildende Inhalte.

Neben den vollzeitschulischen Berufsbildungsgängen gibt es in den Niederlanden auch eine Lehrlingsausbildung im „dualen System“. An ein bis zwei Tagen der Woche erhält der Auszubildende Berufschulunterricht, an den übrigen Tagen wird er im Betrieb ausgebildet.

Hochschulen

Weblinks


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