Buch der Natur

Buch der Natur

Buch der Natur (lateinisch liber naturae) ist ein auf Platon zurückgehendes neuplatonisches Gleichnis[1], das durch Augustinus für die christliche Weltsicht aufgegriffen wurde[2].

Bei Augustinus und anderen christlichen Autoren bezeichnet der Ausdruck das Buch der Geschöpfe, das neben der Bibel als Buch der Offenbarung eine weitere Quelle der Erkenntnis Gottes ist. Die Natur wird so zu einer Chiffrenschrift, die entziffert werden muss.

Für Galileo Galilei ist das Buch der Natur in mathematischen Zeichen geschrieben:

„Die Philosophie ist geschrieben in jenem grossen Buche, das immer vor unseren Augen liegt; aber wir können es nicht verstehen, wenn wir nicht zuerst die Sprache und die Zeichen lernen, in denen es geschrieben ist. Diese Sprache ist Mathematik, und die Zeichen sind Dreiecke, Kreise und andere geometrische Figuren, ohne die es dem Menschen unmöglich ist, ein einziges Wort davon zu verstehen; ohne diese irrt man in einem dunklen Labyrinth herum.“

Saggiatore 1623. Abschnitt 6

Das Bild hatte Einfluss auf die Romantik (u. a. Tieck, Novalis): die Natur spricht in geheimen Zeichen (Chiffren) vom Göttlichen.[3]

Nach Karl Jaspers ist alles, was die Transzendenz gegenwärtig macht Chiffre. Es gibt nichts, was nicht Chiffre sein könnte. Ort des Lesens der Chiffre ist die Existenz[4].

Letztlich beruht dieses Bild auf der Grundannahme der Lesbarkeit der Welt (Hans Blumenberg).

Das Prinzip der Lesbarkeit der Natur wird von Martin Buber zu einem dialogischen Prinzip der Weltbegegnung erweitert: „Jeder von uns steckt in einem Panzer, dessen Aufgabe ist, die Zeichen abzuwehren. Zeichen geschehen uns unablässig, leben heißt angeredet werden, wir brauchten nur uns zu stellen, nur zu vernehmen.“ Und: „Was mir widerfährt ist Anrede an mich. Als das, was mir widerfährt, ist das Weltgeschehen Anrede an mich.“[5]

Die Metapher vom Buch der Natur findet ihre Resonanz auch in einer sprachphilosophischen Kritik des Anti-Realismus:

„Die Welt besteht vollständig aus Zeichen, wie spätestens die Entdeckung des genetischen Codes vielen anschaulich gemacht hat. Die Welt besteht aus Zeichen, weil Zeichen nichts anderes sind als Gegenstände, die auf andere Gegenstände aufmerksam machen und verweisen und sie somit miteinander in Beziehung setzen. Die Welt ist ein umfassendes Repräsentationssystem, und die Sprache ist der Schlüssel zur Welt. Sie ist der `Instinkt der Menschen´ - seine Orientierung und Erkenntnislandkarte.“

Elisabeth Leiss [6]

Einzelnachweise

  1. Regenbogen, Meyer (Hg.): Wörterbuch der philosophischen Begriffe. Meiner, Hamburg 2005, s. v. Buch der Natur.
  2. Martin Gessmann (Hg.): Philosophisches Wörterbuch. 23. Auflage. Kröner, Stuttgart 2009, s. v. Buch der Natur.
  3. Hügli, Lübcke (Hg.): Philosophielexikon. 5. Auflage. Rowohlt, Reinbek 2003, s. v. Chiffre.
  4. I. M. Bocheński, Europäische Philosophie der Gegenwart. 3. Auflage Francke, Tübingen & Basel 1994, S. 202
  5. Martin Buber: Zwiesprache. In: ders.: Das dialogische Prinzip. 6. Aufl. Schneider, Gerlingen 1992, S. 153f
  6. Elisabeth Leiss: : Sprachphilosophie. de Gruyter, Berlin, New York 2009, S. 15

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