5. Orgelsinfonie (Widor)

5. Orgelsinfonie (Widor)
Charles-Marie Widor

Charles-Marie Widors 5. Orgelsinfonie in f-Moll, op. 42 Nr. 1 ist dessen berühmteste Orgelsinfonie. Ihr letzter Satz (Toccata) ist neben Johann Sebastian Bachs Toccata und Fuge d-Moll BWV 565 das bekannteste Werk der Orgelmusik.[1]

Inhaltsverzeichnis

Daten zum Werk

Orgel des Trocadéro-Saales

Entstehungszeit: Veröffentlicht durch J. Hamelle im Juni 1879.

Uraufführung: Am 19. Oktober 1879 an der Orgel des Trocadéro-Saales durch den Komponisten. Der erste Satz wurde bereits am 27. Februar 1879 zur Einweihung der neuen Orgel von Saint-François-Xavier in Paris aufgeführt.

Besetzung: Französisch-spätromantische Großorgel.

Aufbau und Analyse

Erster Satz: Allegro vivace

Der erste Satz (4/4-Takt) in f-moll mit der Tempoangabe Allegro vivace variiert ein Thema von marschartigem Rhythmus von 32 Takten, das auf einen Auftakt Zählzeit 4 beginnt und ab Takt 17 kurz nach Des-Dur moduliert. Die erste Variation bringt noch kaum thematische Veränderung. Das Thema wird im Récit von einem Triosatz in Achtelbewegungen begleitet; ab der Des-Dur-Passage zusätzlich vom Pedal. In der zweiten Variation wird das Thema rhythmisch von kräftigen Akkorden mit den Anches des Récit variiert. In der dritten Variation wird das Thema in synkopischen Akkorden der Rechten Hand und zugleich in der linken Hand von einem perpetuum mobile aus Sechzehnteln vorgetragen, während das Pedal pizzicato-artig Achtel zu jeder Zählzeit spielt. Kontrastierend hierzu folgt ein F-Dur-Intermezzo im satten Klang der Grundstimmen. Anschließend folgt ein stetig modulierendes scherzando über das Thema, das von dynamischer Steigerung und rhythmischer Intensivierung vorangetrieben wird. Schließlich wird das letzte f\!\!f\!\!f erreicht und das vollständige Thema zunächst im Pedal, dann in vollen Akkorden mit beiden Händen vorgetragen, bis sich der Satz in einer Coda nochmals steigert, um in strahlendem F-Dur zu enden.[2]

Fünfter Satz: Toccata (Allegro)

Der fünfte Satz beendet die Sinfonie mit einer triumphalen F-Dur-Toccata im 4/2-Takt. Der Satz gehört zu bekanntesten Orgelkompositionen überhaupt. Sein harmonisches und motivisches Material ist einfach. Er beginnt mit schnellen, hohen Sechzehnteln im Manual, die als perpetuum mobile den Satz unaufhörlich vorantreiben. Kontrastiert wird diese Bewegung durch markante Akkordrepetitionen in der linken Hand. Nach einer ersten Vorstellung des Themas legt sich die Pedalstimme in breiten, Ton für Ton voranschreitenden punktierten Vierteln und Achteln im Abstand von zwei Oktaven darunter. Das Sechzehntelmotiv der rechten Hand verliert schrittweise an Lautstärke bis es von der linken Hand im pp bei geschlossenem Schweller des Récit gespielt wird. Der Reprise geht ein starkes crescendo bis zum Generaltutti der Orgel voraus, bis das Thema in donnernden 32′-Oktaven im Pedal wieder erscheint.[3] Widor äußerte sich dazu wie folgt:

„Ich habe bei dieser Toccata den Manualklavieren eine Figur von äußerst rascher und gleichmäßig fließender Bewegung gegeben, um den breiten Triumphgesang des Doppelpedals im Wiederholungsteil desto eindrucksvoller zu gestalten.[4]

Die Stellung des Satzes innerhalb der Orgelliteratur ist einzigartig. In ihm werden alle technischen Innovationen des Orgelbaus Aristide Cavaillé-Colls vorgeführt, die ein solch schnelles perpetuum mobile-Motiv und die fließenden dynamischen Übergänge überhaupt erst ermöglichten.[3]

Umstritten ist die Frage des Tempos: Es existiert eine Einspielung Widors aus dem Jahre 1932 auf der Orgel von St-Sulpice de Paris. Widor war zum Zeitpunkt der Aufnahme 88 Jahre alt und spielte es bei einem Tempo von etwa 1/4 = 94. Kritiker des langsamen Tempos weisen auf die Lähmungserscheinungen der Arme und Beine Widors in seinen letzten Lebensjahren hin. Bei der ersten Ausgabe des Notentextes war das Tempo nur mit allegro, in der zweiten mit 1/4 = 118, in der dritten nur noch mit 1/4 = 100 angegeben. Zeitgenossen Widors weisen darauf hin, dass er großen Wert auf die genaue Artikulation der Sechzehntel-Akkorde der linken Hand legte und wohl deshalb ein langsameres Tempo als alle anderen wählte.[3]

Werkausgaben

  • Charles-Marie Widor: Symphony V. In: John R. Near (Hrsg.): Widor – The Symphonies for Organ. A-R Editions, Inc., 2008, ISBN 978-0895796059.

Diskografie

  • Widor • Symphony No. 5. Vierne • Carillon de Westminster. 1984, Deutsche Grammophon, CD (Simon Preston spielt an der Orgel der Westminster Abbey).
  • Widor • Symphony No. 5. 1985, Hyperion, CD (David Hill spielt an der Orgel der Westminster Abbey).
  • Widor – Symphonien Vol. 5. Motette MOT 11141, CD (Daniel Roth spielt an der Orgel von St-Sulpice de Paris die Symphonien Nr. 5 op. 42 Nr. 1 und 10 op. 73).
  • Orgelsymphonien Nr. 5 & 6. 1995, MDG, CD (Ben van Oosten spielt an der Orgel der Abteikirche Saint-Ouen (Rouen)).
  • Charles-Marie Widor. 6ème et 5ème Symphonies pour Orgue. 2002, BNL, CD (Olivier Latry spielt an der Orgel der Kathedrale Notre-Dame de Paris).
  • Bombarde 32′. 2008, BBC Music, DVD (David Briggs spielt an der Orgel der Basilika Saint-Sernin Widors 5. und Viernes 3. Orgelsinfonie).

Literatur

  • Ben van Oosten: Charles-Marie Widor. Vater der Orgelsymphonie. Paderborn 1997, ISBN 3-928243-04-7, S. 472–.
  • William Leslie Sumner: The Widor Toccata. In: The Musical Times. April 1964, S. 277.
  • Owen Thompson: Organ Memories. In: The Musical Times. Mai 1938, S. 370.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Ben van Oosten: Charles-Marie Widor. Vater der Orgelsymphonie. Paderborn 1997, ISBN 3-928243-04-7, S. 472.
  2. Ben van Oosten: Charles-Marie Widor. Vater der Orgelsymphonie. Paderborn 1997, ISBN 3-928243-04-7, S. 474–479.
  3. a b c Ben van Oosten: Charles-Marie Widor. Vater der Orgelsymphonie. Paderborn 1997, ISBN 3-928243-04-7, S. 486–494.
  4. J.F. Emil Rupp: Charles-Marie Widor und sein Werk. Bremen 1912, S. 46.

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