- Acto de Repudio
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Als Acto de Repudio (Spanisch, wörtliche Bedeutung: „Ablehnungsaktion“, seltener Mitin de Repudio) wird in Kuba eine Form der politischen Demonstration bezeichnet, die sich gegen einzelne, als Gegner der Regierung identifizierte Bürger richtet.
Es handelt sich um inszenierte Maßnahmen zur Einschüchterung und Demütigung, bei denen sich eine größere Zahl Anhänger und Vertreter der Regierung in Zivilkleidung an einem öffentlichen Ort versammelt, um einzelne Mitbürger zu lautstark beschimpfen oder teilweise auch tätlich anzugreifen. Die von Revolutionsführer und Staatspräsident Fidel Castro geführte kubanische Regierung setzte Actos de Repudio in großer Zahl erstmals 1980 im Zusammenhang der Massen-Ausreise von 136.000 Kubanern über den Hafen Mariel in die Vereinigten Staaten ein, zunächst noch unter maßgeblicher Einbindung der unter Regierungskontrolle stehenden (Nachbarschafts-)Komitees zur Verteidigung der Revolution. Damals richteten sich die Aktionen gegen die zahlreichen Mitbürger, die den Wunsch auf Ausreise geäußert, und dafür von Fidel Castro öffentlich als arbeitsscheuer „Abschaum“ und „Lumpenproletariat“ beschimpft worden waren.[1] Seitdem sind Hassprotestaktionen dieser Art, die von den staatlichen Medien als spontane Äußerungen des Volkszorns bezeichnet werden, die jedoch nie ohne unmittelbare Beteiligung staatlicher Sicherheitsorgane erfolgen, zu einem häufig wiederholten Phänomen geworden, das auch seit Übernahme des Präsidentenamtes durch Raúl Castro 2008 gegen Oppositionelle zum Einsatz kommt.
Inhaltsverzeichnis
Akteure und Ablauf
Bei den Akteuren handelt es sich inzwischen in der Regel nicht mehr um unmittelbare Nachbarn, sondern um Angehörige spezieller schneller Eingreifbrigaden („Brigadas de Respuesta Rápida“, seit 1991), unter Führung von in Zivil auftretenden Angehörigen der Sicherheitskräfte.[2] Auch besondere Abordnungen des Frauenverbands oder studentischer Mitglieder des kommunistischen Jugendverbands sind schon bei Actos de repudio in Erscheinung getreten. In der Regel tritt den Adressaten der Actos de Repudio eine anonyme Menschenmenge entgegen, die sich meist aus Angehörigen relativ wenig gebildeter Gesellschaftsschichten zusammensetzt. In den letzten Jahren gibt es Versuche von Exilkubanern, über im Internet veröffentlichte Fotos von Actos de Repudio einzelne Beteiligte namentlich zu identifizieren, um ihnen den Schutz der Anonymität zu entziehen und sie gegebenenfalls gegenüber Bekannten oder Familienmitgliedern in Rechtfertigungsnot für ihr Tun zu bringen. Für prominente Teilnehmer an Actos de Repudio gibt es nur wenige belegte Beispiele: 1980 nahmen mehrere Musiker der Nueva-Trova-Bewegung, darunter deren bekannteste Vertreter Pablo Milanés und Silvio Rodríguez, an einem einwöchigen Acto de Repudio gegen die Familie des Sängers Mike Porcel teil, der (erfolglos) einen Ausreiseantrag gestellt hatte und dafür aus der Bewegung ausgestoßen wurde.[3]
Bei einem typischen Acto de Repudio wird die Wohnung der Zielperson(en) belagert und die Bewohner (und Besucher) der Wohnung werden lautstark bedroht und beschimpft und für die Dauer der Demonstration am Betreten oder Verlassen gehindert – teilweise unter aktiver Körperverletzung. Von mehreren Actos de Repudio sind auch Stein- und Farbbeutelwürfe dokumentiert, ebenso gewaltsames Eindringen in Wohnungen. Insbesondere zur Behinderung von Demonstrationen oder öffentlichen Versammlungen von Regimekritikern – z.B. der prominenten Gruppe Damas de Blanco („Damen in Weiß“) – gibt es Actos de Repudio auch abseits von Privatwohnungen.[4] Seit einer Intervention der Katholischen Kirche in Kuba gegenüber der Regierung im Mai 2010 können die Damas de Blanco wieder ihre traditionellen sonntäglichen Schweigemärsche in einem Außenbezirk von Havanna durchführen, an denen sie zuvor mehrfach durch Actos de Repudio gehindert worden waren.[5] Bei vorab angekündigten Veranstaltungen werden prominente Regimekritiker oft durch Actos de Repudio am Verlassen ihrer Wohnung und dadurch an der Teilnahme gehindert.[6]
Bei Actos de Repudio größeren Ausmaßes werden die Protestierenden in von staatlichen Stellen bereitgestellten Bussen zum Ort des Protests gefahren, ebenso wird die Versorgung mit Zwischenmahlzeiten und Erfrischungsgetränken durch die Behörden gewährleistet. Im September 2011 wurde erstmals ein Acto de Repudio bereits vorab in einem der Regierung nahe stehenden prominenten Blog angekündigt.[7] Den entsprechenden Straßenzug rings um den Ort des inszenierten Protests in der Innenstadt von Havanna riegelten dann uniformierte Polizisten ab, die neben offiziellen in- und ausländischen Pressevertretern nur staatlich autorisierte Demonstranten passieren ließen. Unmittelbar vor dem belagerten Wohnhaus bildeten teilweise mit Sprechfunk ausgestattete Geheimdienstmitarbeiter die erste Reihe der Menschenmenge und waren für die unmittelbare Gewaltanwendung verantwortlich, mit Hilfe derer die Regierungskritiker, als diese versuchten das Haus zu verlassen, wieder hinein gezwungen wurden.[8][9]
Kritik
Amnesty International und andere in- und ausländische Beobachter haben mehrfach ebenso auf die Verantwortung der kubanischen Regierung für die Actos de Repudio hingewiesen wie auf deren Unvereinbarkeit mit den Menschenrechten.[10] Das Auswärtige Amt bezeichnet in seiner öffentlichen Beurteilung der aktuellen Menschenrechtssituation die Actos de Repudio als „besorgniserregend“.[11] Als einzige in Kuba lebende und sich dem politischen System verbunden fühlende Prominente haben die populären Musiker Carlos Varela und Pablo Milanés (unabhängig voneinander) 2010 und 2011 die Praxis der Actos de Repudio ausdrücklich abgelehnt, worüber in den kubanischen Medien jedoch nicht berichtet worden ist.[12][13]
Die Führung der Katholischen Kirche Kubas, die sich jeder Kritik an der kubanischen Regierung enthält, ließ im September 2011 als Antwort auf mehrere Gesuche der Damen in Weiß sowie Anfragen internationaler Pressevertreter nach der Position der Kirche zu den sich häufenden Actos de Repudio gegen die Frauengruppe in einer viel beachteten Presseerklärung mitteilen, dass „es nicht notwendig ist, den Standpunkt der Kirche zu Übergriffen zu erläutern, die sich in Wort oder Tat gegen Menschen richten“, es sei „wohl bekannt, und wir haben es bei verschiedenen Gelegenheiten wiederholt, dass es für Gewaltakte jeglicher Art keine Rechtfertigung geben kann.“ In derselben Erklärung teilte die Kirchenleitung jedoch auch mit, die Regierung habe ihr mitgeteilt, dass „von keinem nationalen Entscheidungszentrum der Befehl ergangen ist, diese Personen anzugreifen“.[14]
Position der kubanischen Regierung
Falls die der Kirche überbrachte Auskunft der Regierung wörtlich zu nehmen wäre, so ist jedoch festzustellen, dass die Regierung nichts gegen das Phänomen der Actos de Repudio unternimmt und sie diese mindestens duldet. Nach kubanischem Recht erfüllen allerdings zahlreiche regelmäßig zu beobachtende Elemente eines Acto de Repudio objektive Straftatbestände. Dazu gehören nicht nur Beleidigung, Nötigung, Sachbeschädigung und Körperverletzung, sondern auch dir Straftatbestände der Organisation von (beziehungsweise Teilnahme an) nicht offiziell genehmigten Demonstrationen, der Verschwörung zur Begehung einer Straftat und der Störung der öffentlichen Ordnung – letztere werden häufig gegenüber Dissidenten herangezogen, die öffentlich und gewaltlos ihre Opposition zur Regierung zum Ausdruck bringen.[15] Die Polizei und andere bei Actos de Repudio anwesenden Vertreter der Ordnungskräfte wären also verpflichtet, solche Straftaten unverzüglich zu unterbinden und die Täter zur Verantwortung zu ziehen, was jedoch niemals geschieht.
In seiner Rede vor dem VI. Parteitag der Kommunistischen Partei Kubas im April 2011 erklärte Staatspräsident Raúl Castro – nur wenige Wochen nach den weltweit beachteten Straßendemonstrationen des Arabischen Frühlings – zu Kritik an der Menschenrechtssituation in Kuba: „Diesbezüglich ist es wichtig zu erklären, dass das, was wir nie tun werden, ist, dem Volk sein Recht zur Verteidigung der Revolution zu verweigern, denn die Verteidigung der Unabhängigkeit, der Errungenschaften des Sozialismus und unserer Plätze und Straßen wird weiterhin die erste Pflicht aller kubanischen Patrioten bleiben.“[16] Viele Beobachter sahen in der beschworenen „Verteidigung der Plätze und Straßen“ einen Aufruf zur Gewalt oder zumindest eine Bekräftigung der Praxis der Actos de Repudio gegen jeglichen Versuch öffentlicher Demonstrationen der Opposition.[17][18]
Einzelnachweise
- ↑ Fidel Castro: Discurso pronunciado por el Comandante en Jefe Fidel Castro Ruz (...) el 1° de marzo 1980 auf der Webseite des kubanischen Staatsrats, abgerufen am 17. Oktober 2011 (spanisch)
- ↑ Amnesty International: Cuba: prisoners of conscience / legal concern vom 27. November 1991, abgerufen am 17. Oktober 2011 (englisch)
- ↑ Mike Porcel recuerda el acto de repudio que le hiciera Pablo Milanés y otros miembros de la Nueva Trova en 1980 im Blog El Imparcial Digital vom 31. August 2011, abgerufen am 17. Oktober 2011 (spanisch)
- ↑ Brutal atropello contra las Damas de Blanco in: Nuevo Herald vom 18. März 2010, abgerufen am 25. September 2011 (spanisch)
- ↑ Acoso a las Damas de Blanco en su tercera jornada de protestas en Cuba in: El País vom 17. März 2010, abgerufen am 26. September 2011 (spanisch)
- ↑ Cuba: detenidos en protesta in: BBC Mundo vom 28. September 2007, abgerufen am 25. September 2011 (spanisch)
- ↑ Damas de Blanco intentan nueva provocación imperial en La Habana im Blog Cambios en Cuba vom 21. September 2011, abgerufen am 17. Oktober 2011 (spanisch)
- ↑ Cuba: Diseccionando un acto de repudio a las Damas de Blanco im Blog Un Cubano en Canarias vom 25. September 2011, abgerufen am 26. September 2011 (spanisch)
- ↑ Unos 200 paramilitares impiden ir a misa a las Damas de Blanco in: Diario de Cuba vom 25. September 2011, abgerufen am 26. September 2011 (spanisch)
- ↑ Amnesty International: Cuba: Fundamental freedoms still under attack Dokument AMR 25/001/2006 vom 17. März 2006, abgerufen am 25. September 2011 (englisch)
- ↑ Auswärtiges Amt: Kuba: Innenpolitik in: Reise- und Sicherheitshinweise (Stand: März 2011), abgerufen am 25. September 2011
- ↑ Carlos Varela Opposes Hate Rallies in: Havana Times vom 5. Mai 2010, abgerufen am 26. September 2011 (englisch)
- ↑ Carta abierto de Pablo Milanés in: Nuevo Herald vom 30. August 2011, abgerufen am 26. September 2011 (spanisch)
- ↑ Erzbistum Havanna: Nota de Prensa vom 5. September 2011, zitiert nach Diario de Cuba vom 5. September 2011, abgerufen am 18. Oktober 2011 (spanisch)
- ↑ Amnesty International: Restrictions on Freedom of Expression in Cuba vom 30. Juni 2010, abgerufen am 18. Oktober 2011 (englisch)
- ↑ Raúl Castro: Rechenschaftsbericht an den 6. Parteitag der Kommunistischen Partei Kubas vom 14. April 2011, zitiert nach Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba, abgerufen am 18. Oktober 2011
- ↑ Statement of the Steering Committee on the death of Cuban Activist Juan Wilfredo Soto García vom 12. Mai 2011, abgerufen am 18. Oktober 2011 (englisch)
- ↑ Propuesta de Castro, “una amenaza para los cubanos” in: El Universal vom 18. April 2011, abgerufen am 18. Oktober 2011 (spanisch)
Weblinks
- Acto de Repudio private Webseite mit ausgiebiger Materialsammlung, abgerufen am 26. September 2011 (spanisch)
- Aktion der Christen zur Abschaffung der Folter (ACAT-Deutschland e.V.): Briefaktion Dezember 2006 - Kuba abgerufen am 26. September 2011
- Human Rights Watch: New Castro, same Cuba, ausführlicher Länderbericht zu Kuba vom November 2009, insbesondere Kapitel Public Acts of Repudiation (Seite 92f.), abgerufen am 17. Oktober 2011 (englisch)
- Carlos Alberto Montaner: Anatomía del terror in: La Ilustración Liberal Nr. 4, Oktober/November 1999, abgerufen am 26. September 2011 (spanisch)
- Kubas Opposition: Fidels schwarze Weste in: Der Spiegel vom 3. August 2006, abgerufen am 26. September 2011
- Kubas Regierung lässt ihren Gegnern keinen Spielraum in: die tageszeitung vom 25. Februar 2011, abgerufen am 26. September 2011
- Freddy Valverde: Acts of repudiation reflect the disintegration of the regime in: Cuba-Europe Dialogues Nr. 1, Mai 2006, abgerufen am 27. September 2011 (englisch)
- Eduard Freisler: Haunting scene in Cuba in: Miami Herald vom 26. März 2011, via Blog Human Rights in Cuba, abgerufen am 17. Oktober 2011 (englisch)
- Amnesty International: Restrictions on Freedom of Expression in Cuba vom 30. Juni 2010, abgerufen am 18. Oktober 2011 (englisch)
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