Spätmittelalterliche Agrarkrise

Spätmittelalterliche Agrarkrise

Als Spätmittelalterliche Agrarkrise wird die Depression der Landwirtschaft im 14. und 15. Jahrhundert in Europa bezeichnet. Beginnend mit der Hungersnot 1315-1317 und verstärkt durch die Pestwellen ab 1347 und den als kleine Eiszeit bezeichneten Klimaschwankung ging die Bevölkerung Europas bis etwa 1470 um ein Drittel zurück. Die Theorie von der Agrarkrise geht auf Wilhelm Abel zurück, der allerdings von einer Agrardepression spricht.

Inhaltsverzeichnis

Ursachen

Zu Beginn der Agrarkrise geht eine Expansionphase zu Ende in deren Verlauf die Bevölkerung um das dreifache angewachsen war wodurch zu Versorgung auch weniger ertragreiche Randlagen unter den Pflug genommen werden mussten. Nach mehreren Missernten in Folge in den Jahren 1315 bis 1317 begann ein starker Bevölkerungsrückgang der von Landflucht und Wüstungen begelitet wurde. Durch diesen Bevölkerungsrückgang brach die Nachfrage nach Lebensmittel ein. Da zuerst die ertragsärmeren Böden aufgegeben wurden, sank as Angebot nicht in gleichem Maße, wodurch es zu einem Preisverfall für Getreide kam. Da Arbeitskraft infolge des Bevölkerungsrückgangs ebenfalls gesucht wurde, kam es zu einer dramatischen Preisschere zwischen den Getreidepreisen und Löhnen. Eine Situation von der die städtischen Handwerker profitieren konnten, unter der vor allem die Grundherren aber litten.

In Nürnberg fiel der Preis von 100 kg Weizen von 74 Gramm Silber im Jahr 1375 auf 33 Gramm im Jahr 1376. Die Ernten blieben auch für die nächsten Jahre ausgesprochen ertragreich.

Die Preisangaben in Königsberg (Preußen) belegen den Preisverfall beispielhaft (Jahr: Gramm Silber für 100 kg Weizen):

1399: 18,2;
1425: 16,2;
1432: 15,5;
1448: 14,5;
1494: 9,0;
1508: 8,5;
1536: 14,7;
1556: 22,1.

Die Weizenpreise gingen sichtbar drastisch zurück und erholten sich erst in der frühen Neuzeit.

Ähnlich entwickelte sich die Situation in anderen Teilen Europas. Auch in England, Frankreich und Polen sorgten Rekordernten für extrem niedrige Getreidepreise. Damit war das gesamte mittelalterliche Europa von der Agrarkrise betroffen und die möglichen Exportmärkte entfielen weitgehend.

Auch während der Agrardepression kam es zu Missernten, die, etwa wegen schlechter Vorratshaltung, auch katastrophal ausfallen konnten. Für das Jahr 1438 schreibt die Thüringische Chronik:

In diesem 1438ten Jahr war große Teuerung in Thüringen und anderen Landen, also dass die Leute Hungers starben und in Dörfern, Flecken und Straßen tot niederfielen [...] und entstand auf solche Teuerung ein ganz geschwinde Pestilenz und grausam Sterben....

Daraus resultierten wieder steigende Getreidepreise, allerdings blieb die Langzeitentwicklung für die Preise von Agrarprodukten negativ.

Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft

In Folge der Agrarkrise entwickelten sich andere Wirtschaftszweige umso effektiver. Die vergleichsweise niedrigen Lebenshaltungskosten machten Geldmittel für den Erwerb anderer Güter frei. Dadurch stieg die Nachfrage nach Handwerksprodukten aller Art, deren Angebot aber knapp blieb. Auch hier lag die Ursache in den Pestwellen, die viele Arbeitskräfte das Leben gekostet hatten. Die wenigen Arbeitskräfte waren daher sehr gefragt, und entsprechend stiegen die Löhne an. Gleichzeitig sanken die Einkommen der Bauern zeitweilig so drastisch, dass es Wellen von Landflucht in die Städte gab. Diese Flucht entvölkerte ganze Landstriche, und es entstanden zahlreiche Wüstungen.

Die gesteigerte Nachfrage und die steigenden Löhne verursachten eine sich verstärkende Inflation. Diese wurde von einem Absinken des Silbergehalts der Münzen begleitet, um die Münzmenge (bei gleichzeitigem Mangel an Silber) zu erhöhen. Die Landwirtschaft musste sich der geänderten nachfrage anpassen und stieg zum teil auf andere Waren um. In Gebieten mit weniger ertragreichen Böden breitete sich die Viehwirtschaft aus, andernorts wurde auf Gartenlandwirtschaft also Obst, Gemüse und Weinanbau gesetzt. In England beispielsweise kurbelte die Krise die Wollproduktion an, da Schafhaltung eine sinnvolle Alternative bot. Diese Änderungen brachten zudem ein soziale Diversifikation mit sich und führten, durch eine ungleiche saisonale Verteilung der Arbeit zu einer Ausbreitung gewerblicher Arbeit auf dem land und bot damit dem Verlagssystem eine geeignete Grundlage

Für die Städten kann man fast von einer goldenen Zeit sprechen. Die Bevölkerungsrückgänge konnten durch die Landflucht recht schnell ausgeglichen werden, die Lebenshaltungskosten waren vergleichsweise niedrig und der Lohnübershcuß sorgte für eine große Nachfrage nach Luxusgütern und handwerklichen Produkten.

Der Landadel dagegen brach unter der Agrarkrise teilweise zusammen. Die niedrigen Getreidepreise und die Landflucht der Bauern unterhöhlte die wirtschaftliche Basis des Adels. Vor allem der Ritterstand, der trotz Rückgang der Villikation noch recht unmittelbar von seinen Gütern lebte, erfuhr einen großen Rückgang seiner Einnahmen. Um den Einkommensverlust zu kompensieren, erhöhten sie teilweise die Abgabenlast, was zur Verschärfung der Krise und zu erhöhter Konfliktbereitschaft der Bauern führte und sich in Bauernrevolten entlud. Andernorts wurden die feudalen Pflichten sogar gelockert um einer wiederansiedlung auf den verlassenen Bauerstellen zu fördern. Östlich der Elbe gelang es den Grundherren aber fast durchgehend die Landwirtschaft unter ihre Kontrolle zu bringen, woraus sich die Gutsherrschaft und die sogenannte zweite Leibeigenschaft entwickelte.

Viele Ritterbürtige waren gezwungen sich andere Einnahmequellen zu suchen. Neben Kriegsdienst und Auskommen als Beamte der Landesherren breitete sich das Fehdewesen stark aus, und viele Ritter wurden zu Raubrittern. Die klassische Rolle des Niederadel als Ritter mit landwirtschaftlicher Grundlage endete weitestgehend.

Literatur

Weblinks


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