Bewegung der Landarbeiter ohne Boden

Bewegung der Landarbeiter ohne Boden
Kundgebung am 5. Kongress des MST in Brasília, Juni 2007
Kinder von Landlosen singen die Internationale am 20. Jahrestag der Gründung des MST, Itapeva-São Paulo, 2004

Die Bewegung der Landarbeiter ohne Boden (portugiesisch Movimento dos Trabalhadores Rurais Sem Terra), häufig kurz Bewegung der Landlosen (Movimento dos Sem Terra), abgekürzt MST, ist eine Massenbewegung in Brasilien, welche sich für eine radikale Landreform einsetzt und darüber hinaus auch soziale und politische Forderungen stellt. Die Bewegung erhielt 1991 den Right Livelihood Award.

Ursache ist die extrem ungleiche Landverteilung in Brasilien, wo etwa 10 Prozent der Bevölkerung rund 80 Prozent des Landes besitzen. Zwar ist die Landfrage oder questão agrária in Brasilien kein neues Thema, und es hat in der Geschichte schon mehrere Landlosenbewegungen gegeben. Diese wurden jedoch entweder vom Militär unterdrückt oder durch Abwanderung der Landlosen nach Amazonien gelöst.

Als Landlose gelten für die MST folgende Gruppen:

  • posseiros (bearbeitet Land ohne Besitztitel; nach 30 Jahren würde das Land gesetzmäßig ein Eigentum werden, was jedoch praktisch undurchführbar ist, da die Landarbeiter ständigen Bedrohungen ausgesetzt sind.)
  • assalariados (Lohnarbeiter), boia-frias und diaristas (Tagelöhner)
  • parceiros (Pächter, die Pachthöhe wird als Prozentsatz des Ertrages berechnet)
  • meeiros (Pächter, deren Abgabe an den Besitzer 50 % beträgt)
  • arrendatarios (Pächter, deren Pachthöhe im Voraus vereinbart wird)
  • pequenos agricultores (Kleinbauern mit maximal 5 ha Land)

Die Vorläufer der MST entstanden in den 1970er Jahren im Süden Brasiliens, wo in dieser Zeit infolge von Modernisierungsmaßnahmen einerseits viele agroindustrielle Großbetriebe für Exportprodukte entstanden sind, andererseits viele Landarbeiter durch die Mechanisierung ihre Arbeit verloren haben. Ihre Anhänger und Mitglieder sehen sich somit als Verlierer der Modernisierung.

Da die anderen Organisationen mit ähnlichen Zielen zu wenig revolutionär und mit der Regierung zu konformistisch waren, erhielt die MST einen starken Zulauf. Sie stieg in der Folge zu einer gesamtgesellschaftlich relevanten sozialen Bewegung in Brasilien auf, die den Anspruch erhebt, die Gesellschaft insgesamt verändern zu wollen. Dabei orientiert sie sich an kollektiven Aktionsformen und Lösungen (zum Beispiel Genossenschaften), will die Bedeutung der Arbeit über die des Kapitals stellen und kämpft für soziale Gerechtigkeit und gegen die Diskriminierung der Frauen. Ihre Aktionen folgten dem Prinzip der Gewaltlosigkeit, motiviert durch den christlichen (meist katholischen) Glauben. Die Ideale der Landlosenbewegung sind denen der Befreiungstheologie nahe, wobei aber seit einigen Jahren das Prinzip der Gewaltlosikkeit aufgegeben wurde und Gewalt als Mittel nicht mehr ausgeschlossen wird. Im Zusammenhang mit gewalttätigen Besetzungen von rechtlichem Land und Waffengewalt spricht Brasiliens breite Öffentlichkeit bereits von Terrorismus.

Formell wurde die MST 1984 in der Stadt Cascavel (Bundesstaat Paraná) gegründet. Dies wurde durch die Demokratisierung nach der 20 Jahre dauernden Militärdiktatur möglich: Während der Regierungszeit des Präsidenten José Sarney sabotierten die Großgrundbesitzer die Pläne zur Agrarreform mit Hilfe bewaffneter Milizen. Als Gegenbewegung organisierten sich die Landlosen mit Hilfe der Kirche (CPT).

Popularität verschafft sich die MST vor allem auch durch Aktionismus. Dazu gehören

  • Landbesetzungen von brachliegendem Land oder Land, auf welchem schlecht gewirtschaftet wird, wobei immer wieder die Forderung zur Enteignung durch den Staat erhoben wird. Daneben werden auch Ländereien besonderer Bedeutung besetzt, wie der Besitz des Präsidenten Cardoso im Jahre 1999; dies, um Aufmerksamkeit zu erregen. Bei den Landbesetzungen, den sogenannten acampamentos, werden (rechtswidrig) ein paar Familien (250-500) auf dem besetzten Land angesiedelt, die im Rahmen einer Produktionsgemeinschaft die Produktionsmittel gemeinsam verwalten und Schulungen erhalten, um eine effiziente Produktion aufzubauen. Dabei wird immer die Wichtigkeit der Kollektivität gegenüber dem Individuum betont.
  • Großkundgebungen (wie zum Beispiel 1997 Sternmarsch auf Brasília mit 40.000 Teilnehmern), Hungermärsche, Blutspendeaktionen usw.
Das Eldorado-dos-Carajás-Massaker, skizziert vom Karikaturisten Carlos Latuff

Daneben spielten die teils blutigen Repressionen des Militärs, der Regierung oder privater Milizen eine wichtige Rolle dabei, der MST zusätzlich Zulauf zu verschaffen. So gab es am 17. April 1996 in Eldorado dos Carajás ein Massaker, bei dem 19 MST-Aktivisten ums Leben kamen. Eine Säule der Schande erinnert daran.

Bis Ende der 1990er Jahre konnte die MST für ca. 350.000 Familien Land erkämpfen. Verglichen mit den geschätzten 4,5 Millionen landlosen Familien ist dies jedoch eher wenig. Mitte der 2000er Jahre ist die MST in 23 der 26 Bundesstaaten Brasiliens aktiv und betreut rund 1,5 Millionen Landlose.

Unter der Regierung von Luiz Inácio Lula da Silva, zu dessen Partei PT (Partido dos Trabalhadores, Arbeiterpartei) einige der Mitglieder gehören, sind die Chancen auf eine Bodenreform groß wie nie. Trotzdem will sich die MST nicht in eine politische Partei verwandeln. Ihre jungen und radikalen Führer lassen sich auch nicht ihren Aktivismus nehmen. Das MST hat sich immer stärker radikalisiert und auch militante Operationen mit Todesfolgen auf beiden Seiten sind seit längerem nicht mehr ausgeschlossen. Durch die immer militanteren Operationen und auch die Besetzungen von bäuerlich funktionierenden Unternehmen muss sich das MST in Brasilien unter der Bevölkerung mehr und mehr Kritik gefallen lassen. Brasilianische Presse berichtet immer häufiger von Missachtung geltender Gesetze seitens der MST, mutwilliger Zerstörungen landwirtschaftlicher Unternehmungen, Zerstörung von Forschungseinrichtungen und Besetzungen von Ministerien. Neuerdings kommen auch immer mehr Ungereimtheiten seiner Finanzierung zutage, wo beispielsweise Gelder, die zur Ausbildung von städtischen Jugendlichen gedacht waren, illegal dem MST zugespielt wurden. In Brasilien steht die MST seit einigen Jahren unter allen Bevölkerungsschichten Brasiliens, auch der ärmeren Bevölkerung, immer mehr unter scharfer Kritik. Auch die Radikalisierung seiner Landschulen durch linksradikale Lehren und stalinistischer Agitationspropaganda wird immer schärfer kritisiert.

Siehe auch

Literatur

  • Günther Schulz: Landbesetzung – Hoffnung für Millionen. Eichstätten 1995

Weblinks

 Commons: MST – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

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