Charta von Athen (CIAM)

Charta von Athen (CIAM)

Die Charta von Athen (französisch: La charte d' Athènes) wurde auf dem IV. Kongress des Congrès International d’Architecture Moderne (CIAM, Internationaler Kongresse für neues Bauen) 1933 in Athen verabschiedet. Unter dem Thema Die funktionale Stadt diskutierten dort Stadtplaner und Architekten über die Aufgaben der modernen Siedlungsentwicklung.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Unter Federführung von Le Corbusier entwickelt, stand die Charta von Athen als Ergebnis des Kongresses für die Entflechtung städtischer Funktionsbereiche und die Schaffung von lebenswerten Wohn- und Arbeitsumfeldern in der Zukunft. 1943 veröffentlichte er die Charta von Athen als Konzept einer funktionellen Stadt, während der Zeit des Zweiten Weltkrieges blieb sie aber eher von untergeordneter Bedeutung.

Erst in der Nachkriegszeit gewann sie große Bedeutung als Ausdruck des Bauens der Moderne; und spätestens nach ihrer Veröffentlichung auf Deutsch (1962) waren die in ihr niedergelegten Grundsätze mehr ideologisches Dogma denn Leitbild für die Praxis. Trotzdem beeinflusste sie – oft auch missinterpretiert – den Städtebau von der Nachkriegszeit bis heute. Insbesondere die städtebaulichen Leitbilder der 1950er (Die gegliederte und aufgelockerte Stadt) und der 1960er Jahre (Die autogerechte Stadt/Flächensanierung) sind zu großen Teilen aus der Charta von Athen entwickelt. Erst Mitte der 1980er Jahre begann, angesichts der negativen Folgen der Funktionstrennung, eine Abkehr von den Idealen der Charta.

Inhalt

In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts waren in den meisten großen Städten die Lebensbedingungen für die Menschen zunehmend unerträglich geworden. Infolge der Industrialisierung stieg die Verschmutzung der Umwelt, die Arbeitsbedingungen waren hart, die Löhne gering und in den engen, meist mittelalterlichen Stadtkernen, herrschte eine quälende Überbevölkerung und breite Bevölkerungsschichten lebten unter unmenschlichen Bedingungen.

Die Charta von Athen hat die Lebensumstände der Bevölkerung in vielen Städten untersucht und versucht, Lösungsansätze und Vorschläge zur Verbesserung der vorgefundenen Situation aufzuzeigen.

Analyse

Ökonomische Ursachen: Die Industrialisierung hat die alte Harmonie des Stadtgefüges zerstört und die Arbeitsbedingungen der Menschen sind nun durch Maschinen bestimmt, genauso wie die Anordnung und Lage der Arbeitsstätten.

  • Wohnungen sind spekulative Objekte, ungerecht verteilt und schlecht mit Freiflächen ausgestattet.
  • Die Wirtschaftsentwicklung ist Improvisation und unterliegt den Spekulationen Einzelner. Eine Koordinierung von Art, Umfang und Lage von Industriebetrieben, Büros und Wohnungen unterliegt rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten.
  • Die Einteilung der Städte nach Funktionen ist ein wichtiger Punkt der Charta. Wohn-, Arbeits- und Erholungsbereiche zum Zweck der Segregationen sollen der Verdichtung der Großstädte entgegenwirken. Die einzelnen Gebiete sollten durch Grünanlagen voneinander getrennt und durch Verkehrsachsen miteinander verbunden werden.
  • Ökonomische Interessen setzen sich gegenüber administrativer Kontrolle und sozialer Solidarität durch, mit der Folge, dass städtische Strukturen zum Nachteil vieler Bewohner von Privatinteressen dominiert sind.

In der städtebaulichen Kritik wurde u.a. 1933 festgestellt:

  • Der innere, historische Kern der Städte ist zu dicht besiedelt. Die am dichtesten bevölkerten Viertel befinden sich in den am wenigsten begünstigten Bezirken.
  • In den zusammengedrängten Stadtvierteln sind die Wohnbedingungen unheilvoll.
  • Das Wachstum der Städte verschlingt nach und nach die angrenzenden Grünflächen. Die Entfernung zur Natur erhöht die Missstände.

Forderungen

Ausgehend von diesen Feststellungen wurden in der Charta von Athen folgende Forderungen erhoben:

  • Die Stadt muss, bei Gewährleistung individueller Freiheit, Handeln im Sinne der Allgemeinheit begünstigen.
  • Die Stadt muss als funktionelle Einheit definiert und in dem größeren Rahmen ihres Einflussbereichs geplant werden.
  • Die Stadt als funktionelle Einheit unterliegt den städtebaulichen Hauptfunktionen Wohnen, Arbeiten, Erholen und Bewegen.
  • Die architektonischen Werke müssen – Einzeln oder als Stadtganzes – erhalten bleiben.
  • Die Wohnung muss das Zentrum aller städtebaulichen Bestrebungen sein.
  • Der Arbeitsplatz muss von der Wohnung minimal entfernt sein.
  • Freiflächen müssen den Wohngebieten zugeordnet und als Freizeitanlagen der Gesamtstadt angegliedert werden.
  • Der Verkehr hat eine der Verbindung der städtischen Schlüsselfunktionen dienende Aufgabe.

Die funktionelle Zonenteilung der Stadtgrundrisse gehört zum Hauptanliegen der Charta. Die einzelnen Funktionsgebiete für Wohnen, Arbeiten und Erholung sollen durch weitläufige Grüngürtel gegliedert und durch Verkehrsachsen verbunden werden.

Die idealen Städte sollten folgende Zonierung aufweisen:

  • Innenstadt: Verwaltung, Handel, Banken, Einkaufen, Kultur
  • Gürtel rund um die Innenstadt: Voneinander getrennt: Industrie, Gewerbe, Wohnen
  • Peripherie: In Grüngürtel eingebettete Satellitenstädte mit reiner Wohnfunktion

Die Wohngebiete, die Le Corbusier vorsah, waren bestimmt durch hohe, weitläufig auseinanderliegende Appartementhäuser mit hoher Wohndichte.

Fazit

Obwohl die Charta in der theoretischen Diskussion über Jahrzehnte als anzustrebendes Ideal galt, wurden schon bald auch Nachteile des aus ihr abgeleiteten Städtebaus deutlich.

Das kleinteilige Gefüge einzelner Funktionen zerbrach, und obwohl sich Arbeits-, Wohn- und Regenerationsflächen in ihrer Qualität zwar deutlich verbesserten, führte ihre dann noch immer geplante Trennung zu einem starken Anstieg des Verkehrs und aller damit verbundenen Probleme. Innenstädte verödeten und mit dem Umbau der Städte gab man viel von der eigenen Geschichte, Stadtgeschichte und urbanen Lebendigkeit auf. Erst ab 1970 wird der kleinteiligen Funktionsmischung und der Vitalisierung der Historischen Stadtkerne wieder mehr Beachtung geschenkt (Städtebauförderungsgesetz).

Viele soziologische Forderungen der Charta, wie etwa Forderungen zur Lage der Wohnviertel, der Größe von Grün- und Freizeitflächen, der Erreichbarkeit des Arbeitsplatzes oder Vermeidung von Wohngebieten neben Industriegebieten, haben sich als richtig und wichtig erwiesen und gehören auch heute noch zu den Grundlagen der Stadtplanung.

Siehe auch

Literatur

  • Le Corbusier: Entretien avec les étudiants des Ecoles d'Architecture. Paris 1943.
  • Le Corbusier: An die Studenten – Die «Charte d' Athènes». Éditions de Minuit, Paris 1957 bzw. Rowohlt Taschenbuchverlag: rowohlts deutsche enzyklopädie Nr 141, Hamburg 1962.

Weblinks


Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Нужен реферат?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Charta von Athen (Denkmalpflege) — Die Charta von Athen aus dem Jahr 1931 befasst sich mit den grundlegenden Prinzipien der Restaurierung und Zurschaustellung von Baudenkmalen. Sie bildet die Vorstufe zu der 1964 verabschiedeten Charta von Venedig. Die Charta besteht aus einer… …   Deutsch Wikipedia

  • Charta von Athen — Der Begriff Charta von Athen bezeichnet: eine internationale Konvention zur Restaurierung historischer Gebäude aus 1931, siehe Charta von Athen (Denkmalpflege) eine Resolution des Congrès International d’Architecture Moderne aus 1933, siehe… …   Deutsch Wikipedia

  • Charta von Athen — Manifest der CIAM von 1933 mit einem Vorwort von Jean Giraudoux mit 95 Thesen zur Verbesserung der Planungsgrundlagen des modernen Städtebaus …   Erläuterung wichtiger Begriffe des Bauwesens

  • Charta — Mit Charta (Pl. Chartas, Aussprache: [ˈkarta][1]; lateinisch charta ‚Papierblatt‘; χάρτα, χάρτης, möglicherweise mit dem ägyptischen Wort kheret aa ‚Schreiberkästchen‘ verwandt) bezeichnet man die für das Staats und Völkerrecht grundlegenden …   Deutsch Wikipedia

  • CIAM —   [seia ɛm], Abkürzung für Congrès Internationaux d Architecture Moderne [kɔ̃ grɛ ɛ̃tɛrnasjɔ no darʃitɛk tyr mɔ dɛrn, französisch], internationale Vereinigung von Architekten, die sich mit neuen Problemen der Architektur und des Städtebaus… …   Universal-Lexikon

  • CIAM — Congrиs Internationaux d Architecture Moderne, gegründet 1928, u. a. von Siegfried Giedion und Le Corbusier als Forum für internationalen Gedankenaustausch über Architektur. Bedeutendstes Manifest: Charte d Athиnes, 1933 (Charta von Athen) …   Erläuterung wichtiger Begriffe des Bauwesens

  • Émile Aillaud — (* 18. Januar 1902 in Mexiko; † 29. Dezember 1988 in Paris) war ein französischer Architekt. Leben Aillaud begann nach dem Schulbesuch 1921 ein Studium der Architektur und Schönen Künste in den Ateliers von Georges Gromort und Louis Arretche… …   Deutsch Wikipedia

  • Congrès International d'Architecture Moderne — Die Congrès Internationaux d’Architecture Moderne (CIAM) (dt.: Internationale Kongresse Moderner Architektur) waren eine in den Jahren von 1928 bis 1959 stattfindende Reihe von Kongressen für Architekten und Stadtplaner, die als Denkfabrik zu… …   Deutsch Wikipedia

  • Congrès International d’Architecture Moderne — Die Congrès Internationaux d’Architecture Moderne (CIAM) (dt.: Internationale Kongresse Moderner Architektur) waren eine in den Jahren von 1928 bis 1959 stattfindende Reihe von Kongressen für Architekten und Stadtplaner, die als Denkfabrik zu… …   Deutsch Wikipedia

  • Team Ten — Team 10, Team X oder Team Ten war eine Architektengruppe, die von 1953 bis 1981 bestand. Gruppe von Architekten der 1950er und 1960er Jahre, die aus der CIAM (Congrès Internationaux d Architecture Moderne) hervorging und nach dem Zweiten… …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”