Das Gespräch über Gedichte

Das Gespräch über Gedichte
Hugo von Hofmannsthal
*1874 †1929

Das Gespräch über Gedichte ist ein literarischer Dialog von Hugo von Hofmannsthal, der im Februar 1904 unter den Titel „Über Gedichte“ in Der Neuen Rundschau, Berlin erschien.[1][2]

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

Zwei Kunstliebhaber - Gabriel und Clemens - unterhalten sich über Gedichte von Goethe, Hebbel und George[A 1]. Im Verlaufe des Gesprächs erweisen sich die Dialogpartner als Kenner poetischer Werke. Besonders Gabriel möchte auf den Kern solcher Dichtung vordringen.

Es geht um Gefühle und Halbgefühle, um „alle die geheimsten und tiefsten Zustände unseres Inneren“.[3] Ein „grenzenloser Zustand“ aus dem „Zauberkreis der Kindheit“ wird „in dem reinen tiefen Spiegel unstillbarer Sehnsucht aufgefangen“[4]. Die Betonung liege dabei auf genau einem Zustand des Gemüts. Denn das „Spiel der Gefühle“ könne mit einem Gedicht nicht ausgedrückt werden. Jene Zustände seien zum Beispiel in dem besprochenen Hebbel-Gedicht bange Wollust und trauervolle Kühnheit. Der Dichter sähe „jedes Ding jedesmal zum erstenmal“ so, als ob es „mit allen Wundern seines Daseins“ umgeben wäre. Im Gedicht werde „niemals eine Sache für eine andere“ gesetzt. Wenn Hebbel in seinem oben genannten Gedicht über zwei Schwäne schreibt, so sei Schwan eine der „Chiffren, mit denen Gott unaussprechliche Dinge in die Welt geschrieben hat.“[5] Hebbel also, dem dieses Gedicht gelungen ist, sei in dem Zusammenhang glücklich zu nennen. Der Dichter spräche Worte aus um ihrer magischen Kraft willen. Damit könne er uns unaufhörlich verwandeln.[6] Unsere Seele nähre sich vom Gedicht - besonders, wenn uns daraus ein Hauch anwehe. Hofmannsthal verweist dazu mehrfach auf die Lieder des jungen Goethe. Die beiden Kunstliebhaber aber feiern Verse des 66-jährigen Goethe:

„Keine Ferne macht dich schwierig,
Kommst geflogen und gebannt
Und zuletzt, des Lichts begierig,
Bist du, Schmetterling, verbrannt.
Und so lang du das nicht hast
Dieses: Stirb und werde!
Bist du nur ein trüber Gast
Auf der dunklen Erde.“[A 2]

Sprengel[7], der Hofmannsthals Arbeit kurz bespricht, geht konform mit der oben skizzierten Poesie von der schlaglichthaften Ausleuchtung des menschlichen Seinsgrundes. Ebenso benennt der Goethe-Verehrer Gabriel einen jener oben angesprochenen Zustände, wenn er die zwei obigen Strophen bewundert: „Hörst du diesen Laut, wie von einem verzauberten Nachtvogel hineingesungen in das Zimmer, wo einer stirbt? Man sagt, er habe es in der Nacht gemacht, in welcher Christiane Vulpius gestorben war.“[8]

Rezeption

  • Lublinski[9] nennt den Text anno 1909 sowohl reiz- als auch anspruchsvoll. Hofmannsthal unterscheide darin zwei Arten von Dichtern. Während die einen unsere „dunkelsten Empfindungen“ artikulierten, formulierten die anderen klare Bilder jener Welt außerhalb unseres Ichs. Karl J. Naef[10] sieht 1938 „die Grenzen zwischen Ich und Welt“ anders. Das Ich werde im Schauen Welt und erlösche. „Das Gesetz des Weltalls“ sei „auch dasjenige unseres Innern“.
  • Walter H. Perl[11] meint 1935, ein Gedicht entstehe gleichsam in einem Augenblick des „Erlebens und Gestaltens“. In seinem Text versuche Hofmannsthal, jenen Vorgang in Prosa zu gießen.
  • Sprengel[12] hebt das Irrationale der Kunstproduktion und -aneignung hervor. Insbesondere geht er auf Hofmannsthals Gedanken zur Rolle des Symbols in der Dichtung ein und nennt den Autor einen Dichter, der mit seinem Dialog über Poesie an der Tradition anknüpfe. Der Dialogpartner Gabriel sei das Sprachrohr Hofmannsthals.

Literatur

  • Gotthart Wunberg (Hrsg.): Hofmannsthal im Urteil seiner Kritiker. Athenäum, Frankfurt am Main 1972 (ohne ISBN, 612 Seiten)
  • Peter Sprengel: Geschichte der deutschsprachigen Literatur 1900–1918. Von der Jahrhundertwende bis zum Ende des Ersten Weltkriegs. 924 Seiten. Beck, München 2004, ISBN 3-406-52178-9

Erste Buchausgabe

  • Georg Brandes (Hrsg.): Hugo von Hofmannsthal: Unterhaltungen über literarische Gegenstände: Über Gedichte - ein Dialog. Über Charaktere im Roman und Drama. Mit zwei Heliogravüren, zehn Vollbildern und vielen Vignetten. - Die Literatur. Sammlung illustrierter Einzeldarstellungen. Erster Band. 155 Seiten. Verlag Bard/Marquardt, Berlin 1904

Zitierte Textausgabe

  • Hugo von Hofmannsthal: Das Gespräch über Gedichte. S. 495-509 in: Hugo von Hofmannsthal, Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden, hrsg. von Bernd Schoeller in Beratung mit Rudolf Hirsch, S. Fischer, Frankfurt a. M. 1949 (Aufl. anno 1986), Band Erzählungen. Erfundene Gespräche und Briefe. Reisen. 694 Seiten, ISBN 3-10-031547-2

Weblinks

Anmerkungen

  1. Besprochen werden zum Beispiel von Goethe „Selige Sehnsucht“, von Hebbel „Sie sehn sich nicht wieder“ und von George „Nach der Lese“. Nach Wunberg (Wunberg, S. 22, 10. Z.v.o.) sind Hofmannsthals Äußerungen zu Georges Lyrik keinesfalls negativ gewesen.
  2. West-östlicher Divan: Selige Sehnsucht (Die Schreibung in den beiden Goethe-Strophen folgt nicht den aufgeführten Links, sondern dem Abdruck des Gedichts in der zitierten Textausgabe, S. 508, 14. Z.v.u.).

Einzelnachweise

Quelle meint die zitierte Textausgabe

  1. Quelle, S. 675, 1. Eintrag
  2. Michael Maria Rabenlechner in Wunberg (Hrsg.), S. 413, 19. Z.v.o.
  3. Quelle, S. 497, 11. Z.v.o.
  4. Quelle, S. 499, 5. Z.v.u.
  5. Quelle, S. 501, 17. Z.v.o.
  6. Quelle, S. 503, 20. Z.v.o.
  7. Sprengel, S. 587, 14. Z.v.u.
  8. Quelle, S. 508, 6. Z.v.u.
  9. Samuel Lublinski in Wunberg (Hrsg.), S. 213, 5. Z.v.o. und S. 216, 21. Z.v.o.
  10. Karl J. Naef in Wunberg (Hrsg.), S. 421 oben Und S. 427, 4. Z.v.u.
  11. Walter H. Perl in Wunberg (Hrsg.), S. 416, 1. Z.v.o.
  12. Sprengel, S. 58, 5. Z.v.u., S. 587 Mitte und S. 728, 15. Z.v.o.

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