Konferenz von Seelisberg

Konferenz von Seelisberg

Die internationale Konferenz der Christen und Juden (International Conference of Christians and Jews, auch Emergency Conference on Antisemitism) fand vom 30. Juli bis 5. August 1947 in der Gemeinde Seelisberg, Schweiz, statt. Ihr Zweck war die Untersuchung der Ursachen des christlichen Antisemitismusses und führte zur Gründung des Internationalen Rat der Christen und Juden (ICCJ).

Unter den 65 Teilnehmern aus 19 Ländern waren:

Während dieser Konferenz unternahmen die versammelten christlichen Intellektuellen eine Überprüfung der christlichen Lehre über die Juden und das Judentum. Sie wogen, in welchem Grade die Christen Verantwortung am nationalsozialistischen Völkermord trugen, und stellten dann fest, dass die christliche Lehre in dieser Hinsicht dringlich korrigiert werden müsse. Dazu arbeiteten sie Zehn Punkte aus, die weithin von den 18 Vorschlägen zur Vermeidung der Vorurteile gegen die Juden des Historikers Jules Isaac bestimmt waren. Ihre Verbreitung sollte dazu beitragen, die Vorurteile gegenüber den Juden zurückzudrängen, die es im westlichen und christlichen Denken gab.

Die zehn Thesen von Seelisberg

Die christlichen Konferenzteilnehmer formulierten unter dem Titel „Eine Ansprache an die Kirchen” zehn Thesen für ein geändertes Verhältnis der Christen gegenüber den Juden[1], die für eine Konferenz des ICCJ in Berlin in das Deutsche übertragen wurden:[2]

  1. Es ist hervorzuheben, dass ein und derselbe Gott durch das Alte und das Neue Testament zu uns allen spricht.
  2. Es ist hervorzuheben, dass Jesus von einer jüdischen Mutter aus dem Geschlechte Davids und dem Volke Israels geboren wurde, und dass seine ewige Liebe und Vergebung sein eigenes Volk und die ganze Welt umfasst.
  3. Es ist hervorzuheben, dass die ersten Jünger, die Apostel und die ersten Märtyrer Juden waren.
  4. Es ist hervorzuheben, dass das höchste Gebot für die Christenheit, die Liebe zu Gott und zum Nächsten, schon im Alten Testament verkündigt, von Jesus bestätigt, für beide, Christen und Juden, gleich bindend ist, und zwar in allen menschlichen Beziehungen und ohne jede Ausnahme.
  5. Es ist zu vermeiden, dass das biblische und nachbiblische Judentum herabgesetzt wird, um dadurch das Christentum zu erhöhen.
  6. Es ist zu vermeiden, das Wort „Juden” in der ausschließlichen Bedeutung „Feinde Jesu” zu gebrauchen oder auch die Worte „die Feinde Jesu”, um damit das ganze jüdische Volk zu bezeichnen.
  7. Es ist zu vermeiden, die Passionsgeschichte so darzustellen, als ob alle Juden oder die Juden allein mit dem Odium der Tötung Jesu belastet seien. Tatsächlich waren es nicht alle Juden, welche den Tod Jesu gefordert haben. Nicht die Juden allein sind dafür verantwortlich, denn das Kreuz, das uns alle rettet, offenbart uns, dass Christus für unser aller Sünden gestorben ist.
  8. Es ist zu vermeiden, dass die Verfluchung in der Heiligen Schrift oder das Geschrei einer rasenden Volksmenge: „Sein Blut komme über uns und unsere Kinder” behandelt wird, ohne daran zu erinnern, dass dieser Schrei die Worte unseres Herrn nicht aufzuwiegen vermag: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun”, Worte, die unendlich mehr Gewicht haben.
  9. Es ist zu vermeiden, dass der gottlosen Meinung Vorschub geleistet wird, wonach das jüdische Volk verworfen, verflucht und für ein ständiges Leiden bestimmt sei.
  10. Es ist zu vermeiden, die Tatsache unerwähnt zu lassen, dass die ersten Mitglieder der Kirche Juden waren.

In einigen Veröffentlichungen ist die siebte These ergänzt um den Satz:[3]

„Es ist allen christlichen Eltern und Lehrern die schwere Verantwortung vor Augen zu stellen, die sie übernehmen, wenn sie die Passionsgeschichte in einer oberflächlichen Art darstellen. Dadurch laufen sie Gefahr, eine Abneigung in das Bewusstsein ihrer Kinder oder Zuhörer zu pflanzen, sei es gewollt oder ungewollt. Aus psychologischen Gründen kann in einem einfachen Gemüt, das durch leidenschaftliche Liebe und Mitgefühl zum gekreuzigten Erlöser bewegt wird, der natürliche Abscheu gegen die Verfolger Jesu sich leicht in einen unterschiedslosen Hass gegen alle Juden aller Zeiten, auch gegen diejenigen unserer Zeit, verwandeln.“

Literatur

  • Paul Démann: De Seelisberg à Vatican II. In: Revue Sens. Neue Serie. Nr. 305, Februar 2006, S. 77-84.
  • Menahem Macina: Le rôle de Paul Démann à Seelisberg. In: Revue Sens. Nr. 51, 1999, S. 434-439.
  • Pierre Mamie: La Charte de Seelisberg et la participation du Cardinal Journet. In: Judaïsme, anti-judaïsme et christianisme: Colloque de l'Université de Fribourg, 16-20 mars 1998. Editions Saint-Augustin, 2000, S. 23-34.
  • Alexandre Safran: Mes souvenirs de la Conférence de Seelisberg (1947) et de l'abbé Journet. In: Judaïsme, anti-judaïsme et christianisme: Colloque de l'Université de Fribourg, 16-20 mars 1998. Editions Saint-Augustin, 2000, S. 13-22.
  • ICCJ (Hrsg.): Die Geschichte einer Beziehung im Wandel in Konrad-Adenauer-Stiftung: Die Berliner Thesen: Zeit zur Neu-Verpflichtung, 2009.

Einzelnachweise

  1. International Conference of Christians and Jews. Seelisberg, Switzerland, 1947. An Address to the Churches. Internationaler Rat der Christen und Juden (1947). Abgerufen am 9. August 2010.
  2. 10 Thesen von Seelisberg (S. 51 f.) in Konrad-Adenauer-Stiftung: Die Berliner Thesen: Zeit zur Neu-Verpflichtung, 2009. Abgerufen am 9. August 2010
  3. Die Seelisberger Thesen in SBK, SEK, SIG: 60 Jahre Seelisberger Thesen, 2007. Abgerufen am 10. August 2010

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