Judentum

Judentum
Der Davidstern (hebräisch magen david = Schild Davids) gilt als das neuzeitliche Symbol des Judentums und des jüdischen Volkes.

Unter Judentum versteht man die Gesamtheit aus Kultur, Geschichte, Religion und Tradition des sich selbst als Volk Israel (hebr. am jisrael, bnei jisrael) bezeichnenden jüdischen Volkes. Mit dem Begriff können auch gezielt die jüdische Religion oder, als Gruppe, die sowohl ein Volk als auch eine Glaubensgemeinschaft darstellenden Juden (hebr. jehudim) angesprochen werden.

Das Judentum wird aus historischen Gründen häufig zu den Weltreligionen gerechnet, wenngleich ihm nur circa 13,5 Millionen Menschen angehören (Vergleich: Christentum circa 2,3 Milliarden, Islam circa 1,4 Milliarden). Das Christentum und der Islam berufen sich vielfach auf die Überlieferungen des Judentums. Das Judentum war hinsichtlich seiner Verbreitung – je nach religionswissenschaftlicher Definition – die erste Weltreligion. Zum Ende der Antike fanden sich jüdische Gemeinden weit über den römisch-hellenistischen Raum hinaus verstreut bis nach China, Indien und Afrika.

Inhaltsverzeichnis

Begriffsgeschichte

Die deutsche Bezeichnung „Juden“ geht über den lateinischen Ausdruck judaeus, dann den griechischen Ausdruck ioudaios und aramäische und persische Entsprechungen zurück auf das hebräische Wort yehudi. Dieses bezeichnete zunächst die Angehörigen des Stammes Juda und die dessen Territorium Bewohnenden. Unter der Herrschaft Davids in Hebron wurde dieses Gebiet „Königreich Juda“ genannt (2 Sam 5,3 LUT). Unter Rehabeam wurde dieses Königreich aufgespalten. Das südlichere Teilgebiet wurde Juda genannt, das nördlichere Teilgebiet Israel. Der Ausdruck „Judäer“ wurde wiederum sowohl für Stammesangehörige wie auch sonstige Bewohner gebraucht, so etwa auch für die Angehörigen des Stammes Benjamin (1 Kön 12,16–21 LUT). Das Nordreich, Israel, bestand nur bis 722 v. Chr. Danach wurde yehudi und dessen Entsprechungen insbesondere im Persischen unterschiedslos gebraucht, auch als Bezeichnung für die Angehörigen einer spezifischen Religion (mityahadim, vgl. Est 8,17 LUT); religiöse, politische und nationale Aspekte sind terminologisch nicht differenzierbar.[1] Dieser Sprachgebrauch ist – manifest u. a. auch später in neutestamentlichen Texten – vorwiegend Fremdbezeichnung; als Selbstbezeichnung überwiegt yisrael, und zwar vermutlich, um die nationale Identität durch Erinnerung der Frühgeschichte zu stabilisieren.[2]

Nach halachischem Recht gilt als Jude, wer Kind einer jüdischen Mutter ist[3] oder regelgerecht zum Judentum konvertiert ist (Gijur). Insbesondere seit Mitte des 20. Jahrhunderts wird diese Definition vielfach nicht mehr akzeptiert, unter anderem aus folgenden Gründen:[4]

  • Die Konversion erfordert das Bekenntnis zu den Grundlagen jüdischen Glaubens und zur Einhaltung seiner Vorschriften.[5] Die Mehrheit der als Juden Geborenen befolgt dies aber nicht.
  • Von Nationalsozialisten wurden hunderttausende Menschen als Juden betrachtet und ermordet, die nach halachischem Recht nicht als Juden gegolten hätten.
  • Viele Bewohner des heutigen Staates Israel werden im Geiste eines jüdischen Nationalbewusstseins erzogen und haben beispielsweise für Israel Militärdienst zu leisten, gelten aber nach halachischer Definition nicht als Juden.

In Personalausweisen ist von le'om die Rede, was u. a. mit „Nationalität“ wiedergegeben werden kann. 1958 spitzte sich eine Kontroverse im israelischen Kabinett unter Premierminister David Ben-Gurion zu, wie dieser Terminus zu handhaben sei: im Sinne einer Identifikation mit dem Staat Israel oder im Sinne des halachischen Rechts. Ben-Gurion ließ Gutachten von jüdischen Gelehrten einholen, deren Mehrheit sich dafür aussprach, der halachischen Definition zu folgen.[6] Der oberste Gerichtshof Israels schlug dann 1968 anlässlich einer Klage von Benjamin Shalit, Chefpsychologe der israelischen Armee, der Staatsregierung vor, das betreffende Gesetz zu ändern. Nachdem die Regierung dem nicht folgte, entschied das Gericht am 23. Januar 1970 mit fünf von neun Stimmen, dass in den Pass aufzunehmen sei, was glaubwürdig vom Antragssteller angegeben werde. Einige der Richter notierten, dass le'om nicht-religiös definierbar sei. Dieses Urteil hätte darüber hinaus keine weiteren Konsequenzen gehabt, z. B. für Eheschließungen vor rabbinischen Gerichten. Nach massiven Protesten wurde das Gesetz allerdings wieder im Sinne der halachischen Definition verändert; es wurden aber auch Konversionen vor nicht orthodoxen Rabbinern zugelassen.[7]

Ein Jude nach der vorerwähnten halachischen Definition könnte auch einer anderen Religion folgen. Derartige Fälle wurden allerdings über Jahrhunderte hinweg kontrovers debattiert, auch im Zusammenhang mit „Apostaten“.[8][9]

Ein weiterer Problemfall ist die Konversion aus nicht-altruistischen Beweggründen, etwa zum Zwecke einer gültigen Eheschließung. Nach halachischem Recht sollte dies ungültig sein. Es wurde aber auch vorgeschlagen, Konversionen gelten zu lassen, bei welchen nur kein Wissen von den jüdischen Vorschriften bestand, diese aber nicht explizit abgelehnt wurden.[10]

Jüdische Geschichte

Hauptartikel: Jüdische Geschichte

Nach der Tora, den fünf Büchern Mose, beginnt die Geschichte des jüdischen Volkes mit dem Bund, den Gott mit Abraham schließt (Gen 12 LUT). Die jüdische Tradition sieht Abraham als den Begründer des Monotheismus, des Glaubens an einen einzigen, unsichtbaren Gott. Diesen Bund setzt Gott mit Abrahams Sohn Isaak und dessen Sohn Jakob fort, der seit dem Ringkampf am östlichen Ufer des Flusses Jabbok (Gen 32 LUT) Jisrael genannt wurde.

Jakob hatte zwölf Söhne, die als Stammväter der Zwölf Stämme Israels (Israeliten) gelten. Diese ziehen von Kanaan, dem heutigen Palästina bzw. Israel nach Ägypten, wo ihre Nachfahren vom Pharao versklavt werden. Aus dieser Sklaverei werden die von Mosche (Moses) angeführten Hebräer durch Gott befreit, der ihnen am Berg Sinai die, schriftliche und mündliche, Tora offenbart. Obwohl das jüdische Volk an dieser Aufgabe häufig scheitert, was die späteren Propheten immer wieder beklagen, bleibt der Bund mit Gott ungebrochen.

Bereits in hellenistischer Zeit fanden Auswanderungsbewegungen aus Palästina statt. Das so genannte Hellenistische Judentum entstand. Spätestens seit der Zerstörung des jüdischen Staates im 1. Jahrhundert nach Christus und der Zerstörung Jerusalems unter Hadrian (der Jerusalem in Aelia Capitolina umbenannte) zerstreuten sich die Juden als regional greifbares und geschlossenes Volk endgültig. Die große Mehrheit siedelte innerhalb des Römischen Reiches. In der Spätantike und dem frühen Mittelalter verschob sich der Schwerpunkt nach Babylonien, damals Teil des Reiches der Sassaniden.

Die übrigen Anhänger des Judentums verteilten sich im Hochmittelalter auch in andere Teile Europas, im Spätmittelalter, im Zuge der Pestpogrome und der Ausweisung beispielsweise aus Frankreich, besonders nach Osteuropa, ferner in die islamische Welt und im Anschluss, Vertreibung aus Spanien 1492, wieder ins heutige Palästina sowie auch in die Neue Welt. Juden wurden oft verfolgt und ghettoisiert, konnten sich stellenweise aber auch unter Beibehaltung von Glaube und Tradition als integraler Bestandteil der lokalen Gesellschaften etablieren.

Jüdische Religion

Hauptartikel: Jüdische Religion
Eine Torarolle

Die jüdische religiöse Tradition ist eine monotheistische Religion, deren Gott auch als der Gott Jisraels bezeichnet wird. Dieser Gott wird im orthodoxen Verständnis als Schöpfer des Universums angesehen, der auch heute noch aktiv in der Welt handelt (Theismus), siehe: lebendiger Gott, als Begriff des Christentums. Einige wenige jüdische Philosophen des Mittelalters (Gersonides, Abraham ibn Daud), beeinflusst durch die Kabbala und Neu-Aristotelismus, und der Neuzeit, Harold Kushner (insbesondere nach dem Holocaust) tendieren allerdings zu einer eher distanzierten Positionierung dieses Gottes (Deismus), der sich von seiner Schöpfung entfernt habe.

Die jüdische Religion basiert auf den religiösen Überlieferungen des jüdischen Volkes. Diese Überlieferungen teilen sich auf in eine schriftliche Lehre, die in der Tora niedergelegt ist (schriftliche Tora), und eine mündliche Lehre, auch: mündliche Tora, die im Talmud diskutiert wird. Dieser ist historisch gesehen in Mischna und Gemara aufgeteilt. Auf beiden beruht die Halacha, das jüdische Gesetz. Die Halacha beruht aber auch auf rabbinischen Gesetzgebungen und Responsen, die im Laufe der Zeit gefällt wurden. Im Laufe der Jahrhunderte wurden zahlreiche Versuche unternommen, die Halacha zusammenzufassen; eines der bekanntesten Beispiele dafür ist der Schulchan Aruch.

Glaube

Der Begriff Jüdischer Glaube bezieht sich auf die religiösen Traditionen des Judentums in der jüngsten Geschichte, in der biblischen und vorbiblischen Zeit und in der Vielfalt seiner Strömungen. Das diese religiösen Traditionen tragende, bewahrende und lehrende Judentum der Gegenwart wird rabbinisch genannt. Häufig wird im Sinne dieses Begriffs von den jüdischen Glaubensprinzipien gesprochen, die im angelsächsischen Raum Jewish principles of faith genannt werden. Diese sind jedoch im Unterschied zum Christentum nicht allgemeingültig definiert und somit nicht dogmatisch. Auch der Glaube an die Existenz Gottes ist im Judentum, im Gegensatz zum Beispiel zum islamischen Glaubensbekenntnis, nicht dogmatisch. Das Judentum kennt keinen Katechismus.

Jüdische Glaubensprinzipien

In der Geschichte des Judentums entstanden eine Reihe grundlegender Glaubensprinzipien, deren Einhaltung von Juden mehr oder weniger erwartet wird, um in Einklang mit der jüdischen religiösen Gemeinschaft und ihrem Glauben zu sein, deren genaue Anzahl jedoch nicht feststeht und immer noch diskutiert wird. Die Strenge und der Umfang dieser Forderungen variieren unter den verschiedenen jüdischen Gemeinden. Siehe Strömungen des Judentums, insbesondere Orthodoxes Judentum, Liberales Judentum und Rekonstruktionismus. Rabbiner Josef Albo zählt im Sefer ha-Ikkarim drei Glaubensprinzipien.

Maimonides hat sowohl in halachischen wie in religionsphilosophischen Werken einige Grundprinzipien des jüdischen Glaubens formuliert, darunter der Glaube an Gott als höchste und erste Ursache und Schöpfer von Allem, an Gottes Einheit, Unkörperlichkeit u. a.[11] Diese Kodifikation wurde breit rezipiert. Ähnliche Hervorhebungen treffen andere Autoren der jüdischen Scholastik vor und nach Maimonides.

Auch wird darauf verwiesen, dass ein ganzes, gerade gewordenes Volk, Zeuge Gottes bei der Schneidung des Bundes am Berg Sinai war (im Christentum: etwa ein Dutzend, im Islam nur Mohammed, auch bei den Mormonen nur ein Mensch, deren Begründer).

Im Gegensatz zum Christentum und zum Islam hat das Judentum bis auf eine kurze Ausnahme in der antiken Geschichte auf Missionierung Andersgläubiger verzichtet. Das Judentum betrachtet es nicht als eine Sünde oder zum Beispiel als Ausschlusskriterium für die Empfängnis des Heils durch Gott (siehe: Auferstehung), wenn Nicht-Juden und andere Völker ihre abweichenden Religionen bzw. Glaubensvorstellungen pflegen. Das Judentum ist der Ansicht, dass auch Angehörige anderer Religionen Anteil am Leben nach dem Tode haben können, wenn sie ein ethisches Leben geführt haben. Siehe hierzu Noachidische Gebote.

Religiöse Führung

Jüdische Gemeinden werden geistlich und rechtlich von einem Rabbiner geleitet. Sephardische Juden sowie die Karäer bezeichnen ihren geistlichen Leiter auch als Chacham (Weiser). Bei jemenitischen Juden ist der Begriff Mori (mein Lehrer) gebräuchlich. Die Gottesdienste werden im Allgemeinen von einem Kantor (Chasan) oder allgemeiner gesagt von einem Vorbeter geleitet; zu ihrer Durchführung wird ein Quorum bzw. (hebräisch) Minjan, d. h. die Versammlung von zehn religiös volljährigen jüdischen Personen (in der Orthodoxie nur Männer), benötigt. Die allgemeine, weltliche Leitung einer jüdischen Gemeinde hingegen liegt bei einem von den Gemeindemitgliedern zu wählenden Gemeindevorstand.

Religiöse Strömungen des Judentums der Gegenwart

In der Gegenwart gibt es verschiedene Strömungen innerhalb des religiösen Judentums. Die Gruppierungen unterscheiden sich nicht in erster Linie, aber auch in Hinblick auf Gottesvorstellungen und Glauben. Es werden orthodoxe und nicht-orthodoxe jüdische Strömungen unterschieden. In einem weiteren Sinn können die nicht-orthodox Strömungen auch als progressiv, reformiert oder liberal (wobei hier liberal nicht vom politischen Liberalismus abgeleitet ist) bezeichnet werden. Eine Mittelstellung zwischen Orthodoxie und dem liberalen Judentum nimmt das im 19. Jahrhundert sich formierende konservative Judentum ein.

Einer der grundlegenden Unterschiede zwischen orthodoxem Judentum und den nicht-orthodoxen Strömungen ist das Verständnis der Offenbarung am Berg Sinai, wobei die Orthodoxie vom buchstäblichen Sinn der von Moses empfangenen Tora als unbedingt gültiger Weisung ausgeht. Das nicht-orthodoxe Judentum versteht diese Offenbarung nicht als absolut, sondern als einen fortdauernden Prozess des Dialoges Gottes mit seinem Volk, in der Zeit und in den Kulturen. Im Kontext dieser historisch-kritischen Auslegung der Offenbarung entstanden alle nicht-orthodoxen Strömungen des Judentums. Da sie alle die Entwicklung betonen, gehören sie zum progressiven Judentum im weitesten Sinne. Im engeren Sinne gehören zum progressiven Judentum alle Gruppen des Reform-Judentums, die sich im Verband Weltunion für progressives Judentum zusammengeschlossen haben.

Alle religiösen jüdischen Strömungen der Gegenwart haben ihren Ausgang in den Impulsen der Geistesgeschichte vor allem Deutschlands und Europas ab Ende des 18. Jahrhunderts. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts hat sich der Schwerpunkt der wissenschaftlichen und theologischen Entwicklung des Judentums in die USA verlagert. Aus Deutschland sind die Beiträge zur Entwicklung jüdischen Denkens und Geistesleben nach der Shoa unbedeutend. Langsam entwickelt sich dieses aber zunehmend unter der Zuwanderung jüdischer Menschen aus der ehemaligen UdSSR, aus der Diaspora Osteuropas und Asiens.

Hauptströmungen des Judentums der Gegenwart:

Andere, kleinere religiöse Strömungen des Judentums der Gegenwart:

Andere laizistische Strömungen des Judentums der Gegenwart:

Unter Einfluss einiger Freikirchen entstand in den USA die Gruppe der so genannten messianischen Juden (Eigenbezeichnung) oder modernen Judenchristen, die sich zum Christentum bekennt. Meist sind dies konvertierte Juden evangelikaler Prägung, die an ihrer jüdischen Identität festhalten sowie ein paar jüdische Traditionen pflegen und hauptsächlich in den USA zu finden sind. „Messianisches“ Judentum ist nach dem Verständnis aller anderen Strömungen des Judentums (orthodox, konservativ, liberal, reformiert) im religiösen Sinn kein Judentum, da seine Interpretation der Tradition christlich ist. Hier unterscheiden sich Selbstwahrnehmung und Außenwahrnehmung.

Aktueller Kontext

Das Judentum ist seit Jahrtausenden häufig religiösen, ideologischen und politischen Anfeindungen und dabei Pogromen und Verfolgungen ausgesetzt. Einmalig in der Geschichte ist dagegen die Shoa, der Versuch der planmäßigen und quasi-industriellen Ausrottung des jüdischen Volkes durch das nationalsozialistische Deutschland.

1934 wurden 17 Millionen jüdische Menschen auf der Welt gezählt. Sechs Millionen davon, mehr als ein Drittel, fielen der Shoa zum Opfer. Dies beschleunigte nach dem Zusammenbruch des Dritten Reichs die Umsetzung der zionistischen Bestrebungen und führte 1948 zur Gründung und internationalen Anerkennung des Staates Israel als jüdische Heimstätte.

Der heutige Staat Israel ist von der Verfassung her eine säkulare Demokratie nach westlichem Vorbild, seine Innenpolitik ist jedoch in einigen Bereichen weiterhin stark religiös geprägt. So ist eine bürgerliche Heirat in Israel nach wie vor nicht möglich, da das Familienrecht den jeweiligen Religionsgruppen unterstellt ist. Dies kann zum Beispiel bei einer Scheidung zu Problemen für Frauen führen, wenn sich der Ehemann weigert, der Frau den Scheidebrief (Get) zu überreichen. Gegen einen Ehemann, der eine Scheidung dauerhaft grundlos verhindert, kann zwar vom Rabbinatsgericht eine Erzwingungshaft angeordnet werden, doch ohne einen Get bleibt nach traditionellem jüdischen Recht die von ihrem Mann getrennte Frau „gebunden“ und kann nicht erneut heiraten.

Aufgrund der besonderen Geschichte und Tradition des Judentums ist das Verständnis einer jüdischen Identität ausgeprägt, die sich auf ein gemeinsames Schicksal bezieht und nicht notwendigerweise religiös begründet wird. Viele Juden betrachten sich gleichzeitig zum Beispiel als Briten oder US-Amerikaner, bis 1933 auch als patriotische Deutsche, die im Ersten Weltkrieg ihr Leben für ihre europäische Heimat riskierten oder opferten.

Aufteilung in ethnische Gruppen

In der Geschichte wurden Juden in vier größere Gruppen eingeteilt:

  • Aschkenasim, deren Vorfahren in Deutschland oder Frankreich lebten, bevor sie nach Osteuropa und teilweise später in die USA auswanderten.
  • Sephardim, deren Vorfahren auf der iberischen Halbinsel (Spanien, Portugal) lebten. Die sephardischen Juden flohen 1492 vor der spanischen Inquisition, und siedelten sich überwiegend im Mittelmeerraum, teilweise aber auch in Mittel- und Westeuropa an (z. B. in Hamburg und Altona). Ihre gemeinsame Sprache ist das Ladino, das unterschiedliche regionale Ausprägungen hat.
  • Mizrahim (orientalische Juden), die im Nahen Osten und in Nordafrika lebten, aber auch nach Mittel- und Südasien wanderten (orientalische Juden werden oft auch als sephardisch bezeichnet, da ihre Traditionen weitgehend übereinstimmen).
  • jemenitische Juden (Teimanim), die lange von den übrigen Juden isoliert waren und dadurch teilweise eigene Bräuche entwickelten.

Kleinere Gruppen sind

Umstritten ist die Stellung

  • einer afghanischen Gruppe, die auf den antiken Stamm Ephraim zurückgehen soll,
  • der Lemba in Simbabwe

Die jüdischen Gruppen in China (Kaifeng, Bagdad-Juden, russische Aschkenasim und Holocaust-Flüchtlinge) kamen zu verschiedenen Zeiten und auf unterschiedlichen Wegen nach China.

Die Samaritaner sind eine frühzeitige Abspaltung von den Juden im engeren Sinne, die dennoch gewollt oder ungewollt lange deren Schicksal teilten: Aufstände der Juden zogen oft auch die Samaritaner in das Geschehen ein, da die Römer Probleme hatten, diese zu unterscheiden. Wie es in Rom jüdische Synagogen gab, so gab es auch samaritanische. Heute gibt es nur noch sehr wenige Samaritaner.

Historische jüdische Gruppierungen

Fast alle Juden der Neuzeit folgen dem in Mischna und Talmud enthaltenen mündlich überlieferten Gesetz; sie werden als Rabbinisches Judentum bezeichnet. Innerhalb des rabbinischen Judentums gibt es verschiedene Richtungen, wie etwa das Orthodoxe oder das Reformjudentum.

  • Die kleine Gruppe der Karäer stellt eine Abspaltung von der Mehrheit der Juden dar. Sie lehnt die in Mischna und Talmud enthaltenen Lehren ab.
  • Die Samaritaner haben als heilige Schriften eine Version der Tora, die Memar Markah sowie eine eigene Liturgie, Gesetze und Auslegungsschriften. Ein Großteil des Tanach (jüdische Bibel) gilt ihnen nicht als inspiriert. Im Gegensatz zum Judentum hat der Psalter der Samariter 155 Psalmen; Judentum und Christenheit kennen nur 150. Die Autorität von Mischna und Talmud lehnen sie ebenfalls ab. Es gibt nur noch wenige Anhänger der samaritischen Religion.

Jüdische Kultur

Die jüdische Kultur steht in starker Wechselwirkung zu den Kulturen, in denen die jeweilige jüdische Gemeinschaft ihr kulturelles Leben entfaltet, so dass sie kaum isoliert betrachtet werden kann. Dabei spielt die Religion eine unterschiedlich große Rolle.

Durch die Aufsplittung des Europäischen Judentums in die Aschkenasim und Sephardim haben sich hier zwei auch durch die Sprache unterschiedene Kulturräume entwickelt.

Siehe auch: Shabbat, Jüdische Speisegesetze, Jüdische Feste, Jüdischer Kalender, Jüdische Küche, Kippa

Sprache

Hebräisch ist die Sprache der ältesten jüdischen Schriften und war Umgangssprache der Juden in der antiken Periode ihrer Unabhängigkeit. Es wurde als Umgangssprache nach Jahrhunderten vom Aramäischen verdrängt, blieb aber bis in unsere Tage hinein Gottesdienstsprache, zum Teil auch Gelehrtensprache. Das Aramäische ist eine zum Hebräischen sehr ähnliche Sprache, die auch das schriftliche Hebräisch späterer jüdischer Schriftwerke beeinflusst hat. Einige Passagen in den Schriften des Tanach wurden schon auf aramäisch verfasst, so wechselt beispielsweise das Buch Daniel vom Hebräischen ins Aramäische. Jesus und seine jüdischen Landsleute sprachen aramäisch. In der Diaspora nahmen die Juden die Sprachen der Länder an, in denen sie lebten (siehe Jüdische Sprachen). Einige Sonderfälle sind Sprachen, die jüdische Gemeinschaften aus verschiedenen Gegenden der Welt übernommen haben und aufgrund der historischen Umstände zu selbständigen Sprachen (wenn man will, zu Dialekten) weiterentwickelt haben. Siehe dazu: Jiddisch (die Sprache der Aschkenasim), Ladino (oder Sephardisch, die Sprache der Sephardim), Judäo-Berberisch (die Sprache jüdischer Berber in Marokko), Tat (auch: Judäo-Tat, die Sprache der Bergjuden des Kaukasus (Dagestan, Aserbaidschan)). Im Alltag sprechen Juden die Sprache des Landes, in dem sie leben.

Das Iwrith, welches heute in Israel gesprochen wird, stellt eine gelungene Wiederbelebung des antiken Hebräisch dar, das um einen modernen Wortschatz erweitert wurde und auch in der Grammatik einige Anpassungen erfuhr. Es entwickelt sich heute im lebendigen Gebrauch weiter wie andere Sprachen auch.

Literatur

Bücher

Einführungen

Einführungen in das Judentum sind im allgemeinen stark von der jeweiligen Richtung gefärbt, der der Autor angehört. Die Lektüre mehrerer Einführungen ist daher empfehlenswert.

Geschichte

  • Michael Brenner: Kleine jüdische Geschichte, C. H. Beck, München 2008, ISBN 3-406-57668-0
  • Nachum T. Gidal: Die Juden in Deutschland von der Römerzeit bis zur Weimarer Republik. Gütersloh 1988, ISBN 3-89508-540-5
  • Karl-Erich Grözinger: Jüdisches Denken. Theologie – Philosophie – Mystik, Campus Verlag, Frankfurt am Main und New York:
Band 1, 2004: Vom Gott Abrahams zum Gott des Aristoteles,
Band 2, 2006: Von der mittelalterlichen Kabbala zum Hasidismus
Band 3, 2009: Von der Religionskritik der Renaissance zu Orthodoxie und Reform im 19. Jahrhundert
  • Deborah Hertz: Wie Juden Deutsche wurden. Die Welt jüdischer Konvertiten vom 17. bis 19. Jahrhundert, Campus Verlag, Frankfurt am Main, 2010, ISBN 978-3-593-39170-0; Rezension: dradio.de, Deutschlandfunk, Andruck, 1. November 2010, Otto Langels: Erklärungen für den Abschied vom Judentum (1. November 2010)
  • Peter Ortag: Jüdische Kultur und Geschichte. ([1]) 5. Aufl., Potsdam 2003.
  • M. Brenner, A. Kauders, G. Reuveni und N. Römer (Hrsg.): Jüdische Geschichte lesen. Texte der jüdischen Geschichtsschreibung im 19. und 20. Jahrhundert C. H. Beck, München 2003
  • Mordechai Breuer und Michael Graetz (Hrsg.): Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit, 4 Bände, Sonderausgabe, C. H. Beck, München 2000
  • Ḥayim Hilel Ben-Śaśon (Hrsg.): Geschichte des jüdischen Volkes – von den Anfängen bis zur Gegenwart (Autorisierte Übersetzung von Siegfried Schmitz), 5. erweiterte Auflage, München 2007, ISBN 3-406-55918-2
  • Monika Richarz (Hrsg.): Jüdisches Leben in Deutschland. Selbstzeugnisse zur Sozialgeschichte. Deutsche Verlags-Anstalt
Band I., 1976: 1780–1871. ISBN 3-421-01769-7
Band II., 1978: Im Kaiserreich. ISBN 3-421-01842-1
Band III., 1982: 1918–1945. ISBN 3-421-06094-0

Nachschlagewerke

  • Jewish Encyclopedia (seit 1901)
  • Andreas Kilcher (Hrsg.): Metzler Lexikon der deutsch-jüdischen Literatur: Jüdische Autorinnen und Autoren deutscher Sprache von der Aufklärung bis zur Gegenwart, Stuttgart 2000
  • Andreas Kilcher u. Otfried Fraisse (Hrsg.): Metzler Lexikon jüdischer Philosophen, Stuttgart und Weimar 2003
  • Charles Cutter: Judaica Reference Sources: A Selective, Annotated Bibliographic Guide, Libraries Unlimited, 3rd Revised and Expanded Edition 2004, ISBN 1-59158-133-8
  • Encyclopaedia Judaica 2. Auflage 2006

Sonstige Literatur

  • Leonard H. Ehrlich: Fraglichkeit der jüdischen Existenz. Philosophische Untersuchungen zum modernen Schicksal der Juden (Fermenta philosophica). Alber, Freiburg und München 1993. ISBN 3-495-47750-0
  • Sand, Shlomo: Die Erfindung des jüdischen Volkes, Israels Gründungsmythos auf dem Prüfstand, Berlin 2010, ISBN 978-3-549-07376-6
  • Max Weber: Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, Tübingen 1920–1921

Zeitschriften

  • www.israelnachrichten.de Israel-Nachrichten – Deutschsprachige Tageszeitung aus Tel Aviv
  • Das Internetarchiv compactmemory stellt mehr als 80 jüdische Periodika des 18., 19. und 20. Jahrhunderts zur Verfügung.
  • Jüdische Allgemeine, seit 1946. Die Zeitung steht in der Tradition der 1837 gegründeten Allgemeinen Zeitung des Judenthums.
  • Der Aufbau. (Neue, europäische Ausgabe seit 1999) [2] Hrsg. Jüdische Medien AG, Zürich. Alle älteren Ausgaben sind über die Suchmaschine als Text lesbar.
  • Tachles ist eine jüdische Wochenzeitung in der Schweiz (seit 2001)

Weblinks

 Portal:Judentum – Übersicht zu Wikipedia-Inhalten zum Thema Judentum

 Commons: Judentum – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
 Wikisource: Judaica – Quellen und Volltexte
 Wikiquote: Judentum – Zitate
Wiktionary Wiktionary: Judentum – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Vgl. hierzu und zum vorhergehenden Y. M. Grintz: Art. Jew, Semantics, in: Encyclopaedia Judaica, 2. Auflage, Bd. 11, S. 253 f.
  2. Grintz, 253.
  3. Vgl. Mishnah Kiddushin 3,12, 68b; Yadayim, Issurei Biah 15,3–4. Maimonides: Mishneh Torah, Kedushah, Issurei Biah 12–15, bes. 12,7; 15,3–6. Schulchan Aruch, Eben Ha-Eser 4,5; 19.
  4. Vor- und nachstehendes eng nach Raphael Posner: Art. Jew, Halakhic Definition, in: Encyclopaedia Judaica, 2. Auflage, Bd. 11, S. 254–255.
  5. Vgl. etwa Talmud, Mishnah, Berakhot 30b; Keritot 9a; Yevamot 46a-b.
  6. Vgl. die Dokumentation in Sidney B. Hoenig/Baruch Litvin (Hrsg.): Jewish Identity: Modern Responsa and Opinions on The Registration of Children of Mixed Marriages – David Ben-Gurion’s Query to Leaders of World Jewry; Philip Feldheim, New York 1965.
  7. Vorstehender Absatz nach Posner, 254.
  8. Vgl. Posner, 254 f.
  9. Vgl. etwa J. Blidstein: Who Is Not A Jew? The Medieval Discussion; in: Israel Law Review 11/3 (1976), 369–390; Edward Fram: Perception and Reception of Repentant Apostates in Medieval Ashkenaz and Premodern Poland; in: AJS Review 21/2 (1996), 299–339.
  10. Vgl. Posner, 255 mit Verweis auf Moshe Feinstein.
  11. Vgl. z. B. die ersten der 13 Iqqarim, Mischnakommentar zu Sanhedrin, X; den Anfang des Sefer ha-Mitzvoth; Mishneh Torah, 1. Buch Sefer ham-Madda.

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Synonyme:

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