Fahles Feuer

Fahles Feuer

Fahles Feuer ("Pale Fire", 1962) ist ein Roman von Vladimir Nabokov. Der Roman besteht aus dem Gedicht "Pale Fire" des fiktiven Autors John Shade und einer Einleitung sowie Kommentaren des fiktiven Wissenschaftlers Charles Kinbote.

Die ungewöhnliche Komposition des Romans zog viel Aufmerksamkeit auf sich und wird oft als bedeutendes Beispiel für Metafiktion genannt. Der Nabokov-Kenner Brian Boyd bezeichnete das Buch als "Nabokovs perfektesten Roman".[1]

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

"Pale Fire" beginnt mit dem Inhaltsverzeichnis und einem 999-zeiligen Gedicht in vier Cantos ("Gesängen") des amerikanischen Lyrikers John Shade. Im Gedicht werden viele Aspekte von Shades Leben beschrieben. Der erste Gesang widmet sich dessen frühen Begegnungen mit dem Tod und dem Übernatürlichen. Canto 2 beschäftigt sich mit seiner Familie und dem Selbstmord seiner Tochter Hazel. Im dritten Canto reflektiert Shade über das Jenseits, in Canto 4 finden sich schließlich persönliche Erinnerungen aus Shades Leben und Poetik.

Dem Gedicht ist ein Vorwort voran- und ein ausführlicher Kommentar nachgestellt, dazu ein Index, zusammengetragen von Shades selbsternanntem Herausgeber, Charles Kinbote. Er war in der kleinen Collegestadt New Wye auch Shades Nachbar. Laut Kinbote wurde Shade ermordet. Kinbote kam in den Besitz des Manuscripts und einiger seiner Varianten und nahm - in eigenen Worten - die Veröffentlichung auf sich. Er informiert den Leser auch darüber, dass dem Gedicht noch ein Vers zur Vollendung fehlt.

Kinbotes Kommentar erfolgt in Anmerkungen zu einzelnen Zeilen des Gedichts. In diesem kritischen Apparat geht er erstaunlicherweise kaum auf das Gedicht ein, sondern verbreitet stattdessen Teile der vorangegangenen Geschehnisse. Dabei geht er nicht chronologisch vor, hinterlässt viele Kreuzverweise, so dass die Narration nicht linear verläuft. (2009 verglich eine wissenschaftliche Arbeit den Roman deshalb mit einem Hypertext)[2]) Kinbote erzählt vor allem seine Version der Ereignisse, die auch seine (von ihm als eng dargestellte) Freundschaft mit Shade umfasst. Er berichtet auch von Charles Xavier Vseslav, auch bekannt als Charles II., "der Geliebte" in Kinbotes Worten, dem abgesetzten König des "fernen nördlichen Landes" Zembla, dem es knapp gelang, seiner Gefangenschaft durch sozialistische Revolutionäre zu entkommen. Kinbote behauptet wiederholt, dass Shades Gedicht von seinen Erzählungen aus Zembla inspiriert worden sei und es voller Anspielungen auf Charles II. und Zembla stecke - vor allem in den verworfenen Entwürfen. Dem Leser offenbart sich jedoch kein direkter Hinweis auf Charles II. und sein Schicksal. Die dritte Geschichte, die Kinbote berichtet, handelt von Gradus, einem Meuchelmörder, der von den neuen Herrschern Zemblas beauftragt wurde, den exilierten König Charles zu töten. In einer letzten Anmerkung - zur fehlenden tausendsten Zeile des Gedichts - berichtet Kinbote, wie Shade versehentlich dem Mörder zum Opfer fällt.

Der Leser steht bald vor der Frage, ob Kinbote vielleicht selbst der incognito in New Wye lebende Charles Xavier ist oder ob er, dem Wahnsinn verfallen, sich nur einbildet, Charles II. zu sein - was in letzter Konsequenz die Möglichkeit aufwirft, dass Zembla das Produkt seines kranken Geists ist.

Nabokov erwähnte in einem Interview, dass Kinbote Selbstmord begeht, nachdem er das Buch vollendet hat[3]. Der Kritiker Michael Wood wehrte sich dagegen mit dem Hinweise, bei Nabokovs Aussage handle es sich um "unbefugten Zutritt des Autors", dem "keine Folge zu leisten" sei[4], während Brian Boyd dafür argumentiert, dass das Buch selbst auf Kinbotes Suizid hinweist[5].

Titel

Wie Nabokov erläutert[6], ist der Titel von John Shades Gedicht Shakespeares Drama Timon von Athen entnommen: "The moon's an arrant thief, / And her pale fire she snatches from the sun" (Akt IV, Szene 3). Diese Zeile wurde oft als Metapher für Kreativität oder Inspiration gedeutet. Kinbote zitiert den Abschnitt zwar, erläutert ihn aber nicht, weil er - wie er behauptet - nur Zugriff auf einen ungenaue, zemblanische Übersetzung des Stücks hat. In einer anderen Anmerkung schimpft er auf die Praxis, Zitate als Titel zu verwenden. Einige Interpreten haben auch einen Verweis auf Hamlet angeregt: Im Stück bemerkt der Geist von Hamlets Vater, wie das Glühwürmchen (im Original:) "'gins to pale his uneffectual fire" (Akt I, Szene 5)[7].

Quellen

  1. Brian Boyd: Nabokov: A Centennial Toast. In: Jane Grayson, Arnold McMillin, and Priscilla Meyer (eds.) (Hrsg.): Nabokov's World. Volume 2: Reading Nabokov, S. 11, Palgrave 2002, ISBN 0-333-96417-9
  2. Annalisa Volpone (2009): 'See the Web of the World': The (Hyper) Textual Plagiarism in Joyce's Finnegans Wake and Nabokov's Pale Fire (pdf). Nabokov Online Journal, Volume III. Abgerufen am 27. April 2009.
  3. Vladimir Nabokov: Strong Opinions. New York: McGraw-Hill 1973, ISBN 0-679-72609-8 (Vintage reissue, 1990)
  4. Michael Wood: The Magician's Doubts: Nabokov and the Risks of Fiction. Princeton University Press 1994, ISBN 0-691-00632-6 (Zugriff am 28. September 2006)
  5. Brian Boyd: Nabokov's "Pale Fire": The Magic of Artistic Discovery. Princeton University Press 2001, ISBN 0-691-08957-4
  6. Maurice Dolbier: Books and Authors: Nabokov's Plums. In: The New York Herald Tribune, June 17, 1962, S. 5. 
  7. Herbert Grabes: Nabokov and Shakespeare: The English Works. In: Vladimir Alexandrov (ed.) (Hrsg.): The Garland Companion to Vladimir Nabokov, S. 509–510, Garland Publishing, Inc 1995, ISBN 0-8153-0354-8 See also references therein.

Ausgaben

  • Nabokov, Vladimir: Fahles Feuer. Gesammelte Werke, Band 10. Rowohlt 2008

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