- Friedrich Seltsam
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Friedrich Seltsam (* 3. Juni 1844 in Grünstadt, Rheinpfalz, Königreich Bayern; † 12. November 1887 in Forchheim, Oberfranken) war ein deutscher Unternehmer. Er entwickelte außerdem neue und verbesserte Produktionsverfahren zur Knochenentfettung und zur Herstellung von Knochenleim, die patentiert wurden und weltweite Verbreitung fanden.
Inhaltsverzeichnis
Leben
Herkunft
Friedrich Seltsam wurde als Sohn des Grünstadter Brauereibesitzers und Gastwirtes Michael Seltsam (spätere Malzfabrik Schlichting) und dessen Frau Katharina, geb. Mann geboren. Die Familie ist dort alteingesessen. Der Junge wuchs in der kleinen Stadt auf und erlernte zunächst das Brauhandwerk. Dann ging er ins rechtsrheinische Bayern um selbst eine kleine Brauerei zu betreiben. Zum väterlichen Unternehmen in Grünstadt gehörte auch eine Landwirtschaft, u.a. baute die Familie ihren eigenen Hopfen an. Außerdem zählte sie zu den Initiatoren des örtlichen Gaswerks. Friedrich Seltsam brachte also auch in diesen Bereichen gewisse Kenntnisse mit.
Unternehmer und Erfinder in Franken
Schon mit 26 Jahren wandte sich der Pfälzer Unternehmer jenen Geschäftssparten zu und erwarb 1870 das Gaswerk in Forchheim/Oberfranken. Er sollte hier zu einem der bedeutendsten und reichsten Männer der Stadt aufsteigen wenngleich seine Weltanschauungen – er war konfessionslos und bekennender Vegetarier – im konservativ geprägten Forchheim doch etwas Anstoß erregten.
Ab 1871 betrieb Seltsam zusätzlich eine Knochenbrennerei, in der auch Knochenkohle, Düngemittel, Fette und Leime hergestellt wurden. Der Knochenleim entwickelte sich zum Hauptprodukt der Firma. Angeregt durch das bisher ineffiziente Entfetten der Knochen durch Auskochen, erfand Friedrich Seltsam ein Spezialverfahren der Knochenentfettung mittels Hochdruck-Benzindämpfen und erhielt darauf 1879 das Reichspatent Nr. 10196.[1] Diese Innovation veränderte und revolutionierte die Branche nachhaltig. Der Grünstadter wurde damit zum „Vater der modernen Knochenleimproduktion“. [2] Für ca. 100 Jahre arbeitete man weltweit bei der Knochenleimfabrikation ausschließlich nach dem Seltsam’schen Verfahren.
1881 erwarb er zusammen mit seinem Betriebschemiker Dr. Richard Hagen 1881 unter der Nr. 16222 ein weiteres Reichspatent über ein neues Herstellungsverfahren von Knochenleim. Dieser hatte gegenüber den herkömmlichen Produkten eine enorme Bindekraft und wurde europaweit als „Forchheimer Leim“ berühmt.
Friedrich Seltsam verarbeitete bis zu 500 Zentner Knochen am Tag, die von Schlachthöfen aus ganz Deutschland und dem umliegenden Ausland in Forchheim ankamen. Die Fabrik erwirtschaftete einen Jahres-Reingewinn von 60.000 Mark und der Pfälzer Fabrikant gehörte zu den reichsten Männern Frankens. In Forchheim ließ er sich eine prächtige Villa errichten, wie man sie bis dahin in der Stadt nicht gekannt hatte. 1882 wies sogar die Tageszeitung „Forchheimer Tageblatt“ als „neueste städtische Sehenswürdigkeit“ darauf hin.
In einem Brief an die Regierung von Oberfranken konnte der Unternehmer am 20. Juli 1884 zufrieden feststellen:
„Ohne unbescheiden zu sein, darf ich von mir sagen, dass ich die Knochenindustrie auf eine noch vor wenigen Jahren nicht geahnte Höhe gebracht habe, dass man in allen europäischen Ländern mein System eingeführt hat und dass durch mein neuestes Verfahren diese Industrie zu den reinlichsten zu zählen sein wird.“
– Friedrich Seltsam in einem Brief von 1884
Ein weiteres Patent zur Trocknung bei der Entfettung von Knochen und anderen fetthaltigen Materialien meldete Friedrich Seltsam mit der Nummer S.2427 am 29. Dezember 1884 an [3].
Zwischen 1883 und 1885 erweiterte und modernisierte er den Betrieb in großem Umfang, übernahm sich dabei aber finanziell. Außerdem fiel ihm nach dem frühen Tod seines Bruders Michael auch die wirtschaftlich schlecht stehende, väterliche Brauerei in Grünstadt zu, für deren Rettung er vermutlich ebenfalls hohe Summen aufwandte. In einem Bericht des Forchheimer Bürgermeisters von 1887 heißt es über Seltsams Unternehmen:
„Versuche des Fabrikanten, dem drohenden Rückgang seines Geschäftes mit neuen Erfindungen und Verbesserungen aufzuhelfen, waren mit großen Kosten verbunden und führten zu keinem Resultate. “
– Amtlicher Bericht über den Suizid, 1887
Angesichts des bevorstehenden finanziellen Ruins, seelisch zermürbt von seiner gesellschaftlichen Außenseiterrolle und von den Kämpfen mit Teilen der Bevölkerung wegen des penetranten Geruchs seiner „Stinkfabrik“, beging Friedrich Seltsam Suizid, indem er sich am Morgen des 12. November 1887 eine Ladung Schrot in den Kopf schoß. Seine Frau und seine Kinder verließen Forchheim und siedelten sich in Oberbayern an.
Entwicklung der Firma nach dem Tod
Die Firma wurde verkauft und ging in andere Hände über, der gut eingeführte Markenname „Seltsam“ blieb jedoch erhalten. Das Unternehmen firmierte unter „F. Seltsam Nachfolger“ , später als „Seltsam AG“ und errang Preise bei der Weltausstellung Antwerpen 1885 sowie bei den Bayerischen Landesausstellungen 1896 und 1906 in Nürnberg. Berühmtestes Produkt wurden die in dem Unternehmen entwickelten und 1928 patentierten „Forchheimer Leimplättchen“; kleine vorgeformte Leimstückchen, die man nur noch für ca. eine Stunde einweichen musste, um sie verwenden zu können. Die herkömmlichen Leimtafeln hatte man selbst zu zerkleinern und sie benötigten ca. 12 bis 24 Stunden Aufquellzeit im Wasser, ehe man den Leim benutzen konnte. Zeitweise war die Nachfrage nach den Leimplättchen so groß, dass man selbst Knochen aus Indien und Südamerika zur Produktion ankaufte. Erst um 1970 ging das Geschäft wegen der wachsenden Herstellung von Kunstleim zurück. Dennoch hielt sich die Seltsam AG noch einige Jahre und stellte neben den Leimprodukten auch verstärkt Dünge- und Futtermittel, sowie hochwertige Fette her. 1984 wurde der chemische Betriebsteil beim Gewerbeamt abgemeldet, 1985 folgten die Knochenmehl-, Futter- und Düngemittelfabrikation. Nach Abriss der Firmengebäude gestaltete man das 17.000 m² große Gelände in ein Wohngebiet um und benannte einen dort gelegenen Platz nach Friedrich Seltsam.
Wegen des Entstehens aus dem städtischen Gaswerk und wohl auch wegen des Gestanks den die Fabrik verbreitete, nannte man sie in Forchheim einfach „Die Gas“; ein Begriff der dort bis heute geläufig ist.
Literatur
- Dr. Konrad Kupfer: „Forchheim - Geschichte einer alten fränkischen Stadt“, Frankenverlag Lorenz Spindler, Nürnberg, 1987.
- Joachim Specht: „Vater des modernen Knochenleims – Friedrich Seltsam aus Grünstadt war Unternehmer in Franken“ , Heimatjahrbuch der Kreisverwaltung Bad Dürkheim, 2003, Seiten 276-280.
- Hermann Ammon: „Forchheim in Geschichte und Gegenwart“, Creo Druck, Bamberg, 2005
- Johann Gottfried Dingler: „Dinglers Polytechnisches Journal“, Band 257, 1885, Seite 530; Scan über Friederich Seltsams Patent von 1884/85 zur Vortrocknung der Knochen.
Weblinks
- Seite zum Forchheimer Stadtjubiläum mit Nennung von Friedrich Seltsam und seiner Fabrik
- Unternehmensdaten der Firma Seltsam in Forchheim
- Die Entwicklung der Industrie Forchheims im 19. Jahrhundert; mit Nennung Friedrich Seltsams
- Die Entwicklung der Forchheimer Wirtschaft seit 1945; mit Ausführungen über das Ende der Firma Seltsam
Einzelnachweise
- ↑ Scan aus „Enzyklopädie der technischen Chemie“ , Fritz Ullmann, 1923, Seite 39, über Seltsams erstes Patent Nr. 10196
- ↑ Heimatjahrbuch Landkreis Bad Dürkheim, 2003, Seite 278
- ↑ Chemikerzeitung, S. 12, Nr. 3, vom 8. Januar 1885, 9. Jahrgang, Cöthen, auf ebipol.p.lodz.pl (PDF)
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