Höhere Lehranstalt (Deutsches Reich)

Höhere Lehranstalt (Deutsches Reich)

Unter höhern Lehranstalten versteht die preußische Schulverwaltung seit langem:

1) die Gymnasien,
2) die diesen allmählich als ranggleich an die Seite getretenen vollständigen Realanstalten mit oder neuerdings auch ohne Latein und
3) die zu beiden gehörigen unvollständigen Anstalten; wesentlich dieselben Schulanstalten also, die in Österreich und Süddeutschland wegen ihrer Mittelstellung zwischen Volks- und Hochschulen Mittelschulen heißen.

Aus Preußen ist die Bezeichnung h. L. seit 1870 in die amtliche Sprache des Deutschen Reiches übergegangen. Für Begriff und Einteilung der höhern Lehranstalten ist hier maßgebend die in Gemäßheit des § 90, Tit. 1 der Wehrordnung vom 28. Sept. 1875 (neue Redaktion vom 22. Nov. 1888) in verschiedenen Abstufungen eingeräumte Berechtigung hinsichtlich des einjährig-freiwilligen Dienstes (s. Freiwilliger).

Nach der Wehrordnung gibt es drei Arten von höhern Lehranstalten:

A. solche, die gültige Zeugnisse über die wissenschaftliche Befähigung für den einjährigfreiwilligen Militärdienst auf Grund des einjährigen erfolgreichen Besuchs der zweiten (zweijährigen) Klasse (von oben gerechnet) ausstellen dürfen;
B. solche, bei denen der erfolgreiche einjährige Besuch der ersten (zweijährigen) Klasse zur Erlangung dieses Zeugnisses erforderlich ist;
C. solche, bei denen es nur auf Grund der wohlbestandenen Entlassungsprüfung gewährt wird.

Außerdem ist einer Anzahl von Privatschulen das Recht, auf Grund wohlbestandener Entlassungsprüfung die wissenschaftliche Befähigung für den einjährigen Dienst zu bescheinigen, widerruflich eingeräumt. Überall ist dabei vorausgesetzt, dass die Entlassungs- oder Reifeprüfung unter Leitung eines staatlichen Kommissars stattfindet. Da das Zeugnis für den einjährigen Dienst nur nach sechsjährigem Besuch einer höheren Lehranstalt, d. h. sechs Jahre nach Beginn des fremdsprachlichen Unterrichts (9. Lebensjahr), erteilt werden soll, folgt, dass die Anstalten

bei A. neunjährigen,
die bei B. siebenjährigen,
die bei C. (der Regel nach) sechsjährigen Lehrgang haben müssen.

Demnach unterscheidet das amtliche Gesamtverzeichnis derjenigen Lehranstalten, die gemäß § 90 der Wehrordnung zur Ausstellung von Zeugnissen über die Befähigung für den einjährig-freiwilligen Militärdienst berechtigt sind (erscheint jährlich im »Zentralblatt für das Deutsche Reich«), folgende einzelne Gruppen:

A a. Gymnasien;
A b. Realgymnasien;
A c Oberrealschulen.
B a. Progymnasien (siebenjährige);
B b. Realprogymnasien (siebenjährige);
B c. Realschulen (siebenjährige).
C a. Progymnasien (sechsjährige);
C b. Realprogymnasien (sechsjährige);
C c. Realschulen (sechsjährige).

Dazu kommen noch seit 1900:

C d. öffentliche Schullehrerseminare und
C e. andre öffentliche Lehranstalten (Landwirtschafts-, Handels-, Industrieschulen) sowie die anerkannten Privatlehranstalten und seit kurzem einige deutsche Lehranstalten im Auslande (nach dem Gesamtverzeichnis 1904: Brüssel, Konstantinopel, Antwerpen, Bukarest und Mailand).

Im J. 1894, wo die Lehrerseminare noch nicht als berechtigt im Sinne von § 90 der Wehrordnung anerkannt waren, gab es 1019 berechtigte Anstalten; 1904 ohne die (205) Seminare 1212. Mehr also im letzten Jahrzehnt: 193. Dieses Mehr trifft besonders auf Realschulen (höhere Bürgerschulen) mit 158 (119,89 Proz.) und Oberrealschulen mit 36 (116,18 Proz.). Die Gymnasien nahmen um 44 (10,16 Proz.) zu, die Realgymnasien um 6 (4,58 Proz.) ab.

Bei der Ausstellung der amtlich maßgebenden Verzeichnisse wird der Reichskanzler von der Reichsschulkommission beraten. Eine erhebliche Neuerung im deutschen höhern Schulwesen bedeutet das Auftreten der sogen. Reformlehrpläne nach dem Altonaer und nach dem Frankfurter System, von denen jenes Realschule (Oberrealschule) und Realgymnasium, dieses Gymnasium, Realgymnasium und Oberrealschule in engere Verbindung bringt durch einen gemeinsamen oder doch gleichartigen Unterbau von drei Jahresklassen, in denen der fremdsprachliche Unterricht mit der an allen beteiligten Anstalten betriebenen Sprache (Französisch, einzeln auch Englisch) beginnt (vgl. Reformschulen).

Meyers Konversationslexikons logo.svg Dieser Artikel basiert auf einem gemeinfreien Text aus Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage von 1888–1890. Bitte entferne diesen Hinweis nur, wenn du den Artikel so weit überarbeitet oder neu geschrieben hast, dass der Text den aktuellen Wissensstand zu diesem Thema widerspiegelt und dies mit Quellen belegt ist, wenn der Artikel heutigen sprachlichen Anforderungen genügt und wenn er keine Wertungen enthält, die den Wikipedia-Grundsatz des neutralen Standpunkts verletzen.

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