Jiu Zhang Suanshu

Jiu Zhang Suanshu

Die Neun Bücher arithmetischer Technik (Jiu Zhang Suanshu) ist eines der ältesten erhaltenen chinesischen Mathematikbücher und gleichzeitig eines der bekanntesten und bedeutendsten der Sammlung Zehn Mathematische Klassiker (Suanshu shijing). Das Buch zeigt wohl den Stand der chinesischen Mathematik des 1. Jahrhunderts n. Chr., es wurde auch in benachbarten Ländern wie Korea, Japan und Vietnam benutzt.[1]

Eine Seite des Buches

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

Das Buch ist eine Aufgabensammlung von 246 Problemen, die in neun Kapiteln entsprechend Anwendungsfeldern im Alltagsleben (wie Bautechnik, Steuern, Handel, Landvermessung, Geldverleihen) gruppiert sind. Es werden jeweils die Problemstellung, die Lösung und der Lösungsweg angegeben.[2]

  • Kapitel 1: Fang tian (Quadratisches Feld), mit 38 Aufgaben über Flächenmaße aus der Landvermessung
  • Kapitel 2: Su mi (Hirse und Reis), mit 46 Problemen aus dem Umfeld des Handels (Warentausch und Geldwechsel). Geübt werden Verhältnisrechnungen und Bruchrechnungen.
  • Kapitel 3: Shuai fen (Abnehmende Anteile) mit 20 Aufgaben, wieder vom Typ der Verhältnisaufgaben
  • Kapitel 4: Shao guang (Abnahme (der Länge) zum Vorteil der Breite). 24 Aufgaben über Division (formuliert als Aufgabe, die zweite Seitenlänge einer Fläche zu finden, wenn eine Seitenlänge und Flächenmaß gegeben sind), Ziehen von Quadrat- und Kubikwurzel. Im Kommentar von Liu Hui wird das Problem besprochen, das Volumen einer Kugel zu bestimmen, was aber offen bleibt.
  • Kapitel 5: Shang gong (Abschätzung der Arbeit), 28 Aufgaben aus der Bautechnik (wie Kanal- und Deichbau) über das Volumen verschiedener Körper. Im Kommentar gibt Liu Hui das Volumen der Pyramide.
  • Kapitel 6: Junshu (Gerechte Verteilung von Gütern), 28 fortgeschrittenere Verhältnisaufgaben zu gerechter Verteilung von Gütern, zum Beispiel Aufgaben zur Verteilung von Soldaten auf Garnisonen an den Grenzen, Teilen und Transport von Gütern.
  • Kapitel 7: Ying bu zu (Überfluss und Mangel), 20 Aufgaben über lineare Gleichungen, die in einem Versuch und Irrtum Verfahren gelöst werden, die der Regula Falsi entspricht, die in Europa erst im 13. Jahrhundert bekannt war.
  • Kapitel 8: Fangcheng (Rechteck-Anordungen). 18 Aufgaben über Systeme linearer Gleichungen, die mit Gauß-Elimination gelöst werden, die in Europa erst durch Carl Friedrich Gauß bekannt wurde.
  • Kapitel 9: Gougu (Rechtwinkliges Dreieck). 24 Probleme über rechtwinklige Dreiecke. Hier findet sich der Satz des Pythagoras (bei den Chinesen Gougu Regel[3]).

Überlieferung

Die älteste, heute bekannte Ausgabe der ersten fünf Kapitel der Neun Bücher gehen zurück auf das 13. Jahrhundert n. Chr., die anderen bekannten Gesamtausgaben beruhen auf Rekonstruktionen des Textes am Ende des 18. Jahrhunderts, die aus Zitaten der Neun Bücher in einer heute fast vollständig verloren gegangenen Enzyklopädie aus dem Anfang des 15. Jahrhunderts erstellt wurden.[4] 1983–1984 wurden Inschriften auf Bambusstreifen aus der Zeit von 187–157 v. Chr. entdeckt, deren Text Suan Shu Shu dem elementaren Teil des heutigen Textes der Neun Bücher sehr ähnlich ist.[5] Ebenso lassen sich durch im Text verwendete Maße sowie Bezeichnungen wie Orts- und Steuerangaben Teile der Neun Bücher in die frühe Han-Dynastie (206 v. Chr.–9 n. Chr.) datieren. Für diese Datierung sprechen auch sehr ähnliche Textfragmente auf Holzstreifen, die in den Jahren 1899 und 1930 gefunden wurden.[6] Im China dieser Zeit scheint man außerdem das Seleukidenreich (312–63 v. Chr.) gekannt zu haben und es gibt Ähnlichkeiten von bestimmten Problemstellungen der Neun Bücher zu solchen der babylonischen Mathematik, daher könnten Teile der Neun Bücher babylonisch beeinflusst worden sein.[7] Es gibt jedoch auch Textteile, z. B. die Kapitel 4 und 8, die keinen Anhaltspunkt für eine Datierung bieten.[8]

Von den vielen Kommentaren zu den Neun Büchern sind aus dem 1. Jahrtausend n. Chr. nur die von Liu Hui (3. Jahrhundert n. Chr.), Li Chunfeng (602–670 n. Chr.) und ein Fragment von Zu Xuan (6. Jahrhundert n. Chr.) erhalten.[9] Liu Hui schrieb in seinem Vorwort, dass der erste chinesische Kaiser Qin Shihuangdi (von 221–210 v. Chr.) schriftliche Aufzeichnungen verbrennen ließ, wodurch altes Wissen zerstört worden sei. Später habe Zhang Cang, der Gouverneur von Beijing (um 165–142 v. Chr.), mit Mitarbeitern eine neue, vollständige Wiedergabe angefertigt, dabei seien einige Teile auch aktualisiert worden. Außerdem soll Geng Shouchang, zweiter Minister für Landwirtschaft (um 75–49 v. Chr.), bestimmte Teile überarbeitet haben.[10]

Man nimmt heute an, dass das Werk seine heutige Form im 1. Jahrhundert n. Chr. erhielt und dass seit dem neue Kenntnisse nur noch in die Kommentare eingingen.[11] Die Neun Bücher Arithmetischer Technik sind ein wichtiger Bestandteil der zuerst von Li Chunfeng 644–648 n. Chr. zusammengestellten und mit Kommentaren versehenen Sammlung der Zehn Mathematischen Klassiker.[12]

Ausgaben

Deutsche Ausgabe:

  • Kurt Vogel: Neun Bücher Arithmetischer Technik. Vieweg 1968

Englische Ausgaben:

  • Kansheng Shen, et al. (ed.): The Nine Chapters on the Mathematical Art. Oxford University Press, Oxford 1999, ISBN 0-19-853936-3
  • Gekürzte Übersetzungen erschienen von:
    • Florian Cajori: Arithmetic in Nine Sections. 1893
    • Lam Lay Yong: Jiu Zhang Suanshu, An Overview. Archive for History of Exact Science, Band 47, 1994; S. 1-51

Französische Ausgabe:

  • Karine Chemla, Shuchun Guo: Les neuf chapitres: le classique mathématique de la Chine ancienne et ses commentaires. Dunod, Paris 2004, ISBN 978-2-10-049589-4.

Literatur

  • Helmuth Gericke: Mathematik in Antike und Orient. Springer, Berlin u.a. 1984; S. 172–180
  • Jean-Claude Martzloff: A History of Chinese Mathematics. Springer, Berlin u.a. 1997; S. 127–136

Weblinks

Anmerkungen

  1. Martzloff; S. 128
  2. Martzloff; S. 131
  3. Beim rechtwinkligen Dreieck heißt die kurze Kathete gou („Grundseite“ oder „Fuß“) und die lange Kathete gu („Bein“).
  4. Martzloff; S. 128 f.
  5. Martzloff; S. 129
  6. Martzloff; S. 130 f.
  7. Martzloff; S. 94–96
  8. Martzloff; S. 131
  9. Martzloff; S. 135
  10. Martzloff; S. 129
  11. Gericke; S. 173. Martzloff; S. 128
  12. Martzloff; S. 123–126

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