Karte im Maßstab 1:1

Karte im Maßstab 1:1

Die Karte im Maßstab 1:1 ist eine hypothetische Karte, die im Maßstab 1 : 1, also ohne jede Form von Generalisierung erstellt wird. Sie ist ein Symbol wissenschaftlicher Hybris und wurde in mehreren Kurzgeschichten und Aufsätzen beschrieben, darunter von namhaften Autoren wie Jorge Luis Borges, Lewis Carroll und Umberto Eco.

Inhaltsverzeichnis

Hintergrund

Eine Karte im Maßstab 1:1.000.000 kann auf einem Quadratmeter eine Fläche von 1 Million Quadratkilometer abbilden (ca. die Fläche Ägyptens), eine Karte im Maßstab 1:1000 zeigt auf derselben Fläche Informationen über einen Quadratkilometer, und ist demzufolge genauer. Im Maßstab 1:1 ist die Kartenfläche genauso groß wie der dargestellte Bereich der Erdoberfläche. In der Geschichte der Kartografie dienten Karten unter anderem auch als Prestigeobjekt. Je genauer eine Karte, desto besser informiert war der Nutzer. Dies führte zu dem Gedankenspiel, dass ein an Information interessierter Herrscher eine möglichst genaue Nachbildung seines Reiches bräuchte - unter Umständen im Maßstab 1:1.

Literarische Rezeption der Idee

Die Beschreibung der Karte im Maßstab 1:1 taucht erstmals 1893 im Werk von Lewis Carroll auf[1], in der ein Fremder namens „Mein Herr“ berichtet, dass in seinem Land eine Karte im Maßstab 1:1 hergestellt worden sei. Sie sei nie viel benutzt worden, da die Bauern gegen das Auffalten protestiert hätten. Darum benutze man jetzt das Land selbst, als seine eigene Karte, und dies sei fast ebenso praktisch (»we now use the country itself, as its own map, and I assure you it does nearly as well«).

Jorge Luis Borges griff den Gedanken in der Kurzgeschichte „Del rigor en la ciencia“ (dt: „Von der Strenge der Wissenschaft“) auf[2]. Dort beschreibt er ein Reich mit derartig vollkommenen Karten, dass »die Karte einer einzigen Provinz den Raum einer Stadt einnahm und die Karte des Reiches den einer Provinz.« Als diese Karten nicht mehr ausreichten, wurde eine Karte erstellt, »die genau die Größe des Reiches hatte und sich mit ihm in jedem Punkt deckte.« Spätere Generationen vernachlässigten die Pflege der Karte, sodass nur Ruinen übrig blieben. Borges veröffentlichte diese Geschichte als vorgebliches Zitat eines fiktiven Autors aus dem Jahr 1658, um die Illusion historischer Authentizität zu erzeugen.

Auch der Philosoph Umberto Eco verarbeitete das Gedankenspiel in seinem Werk „Diario minimo“ von 1963 [3]. In humorvollem wissenschaftlichem Duktus stellt er in dem Aufsatz „Die Karte des Reiches im Maßstab 1 : 1“ mehrere Ansätze zur praktischen Umsetzung einer Karte im Maßstab 1 : 1 dar, wobei er auf zahlreiche praktische Probleme eingeht. Sein 13-seitiger Aufsatz schließt mit drei Korollaren:

  •  »Eine Karte im Maßstab 1 : 1 gibt das Territorium immer nur ungenau wieder.«
  •  »Das Reich wird im selben Moment, in dem man seine Karte erstellt, undarstellbar.«
  •  »Jede Karte im Maßstab 1 : 1 besiegelt das Ende des Reiches als solches und wäre mithin die Karte eines Territoriums, das kein Reich mehr ist.«

Wissenschaftliche Rezeption der Idee

Die Unpraktikabilität einer Karte im Maßstab 1 : 1 ist offensichtlich, trotzdem dient das literarische Gedankenspiel immer wieder als Ansatzpunkt zur Betrachtung von Karten[4] und Maßstäben [5]. Dabei wird darauf verwiesen, dass Karten ein grafisches Modell der Erde sind, das durch wissenschaftliche Messungen gewonnen wurde, und dass es unmöglich ist, alle Details der Realität bis in die Mikroebene messtechnisch zu erfassen und zu speichern. Es wurden ferner Parallelen zur Modellierbarkeit des Internets gezogen.

Literatur

  1. Lewis Carroll, 1893: Sylvie and Bruno Concluded
  2. Jorge Luis Borges, 1960: El Hacedor. IN: Obras Completas, Emecé Editores, Buenos Aires, 1974; dt. Jorge Luis Borges: Borges und ich. IN:Gesammelte Werke, Band 6, Carl Hanser Verlag, München, 1982
  3. Umberto Eco, 1963: Diario minimo. (Platon im Striptease-Lokal. Parodien und Travestien, 1990)
  4. Alexander C.T. Geppert, Uffa Jensen und Jörn Weinhold, 2005: Ortsgespräche. Raum und Kommunikation im 20. Jahrhundert
  5. Michael Goodchild, James Proctor, 1997: Scale in a Digital Geographic World, in: Geographical and Environmental Modelling, Vol. 1 1997

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