- Abschätzung
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Obere Abschätzung und untere Abschätzung sind mathematische Fachbegriffe für Hilfsgrößen im Zusammenhang mit Ungleichungen.
Eine obere Abschätzung für eine Größe A ist eine andere Größe B, wenn gezeigt werden kann, dass gilt: .
Entsprechend nennt man B eine untere Abschätzung für A, wenn mit Sicherheit gilt .
Dabei ist A (oft auch B) in der Regel ein Ausdruck, der von anderen Größen abhängig ist. Die Bedingung muss dann unabhängig von diesen im gesamten Definitionsbereich gültig sein. Hier kommen bei Bedarf Überlegungen der Art zum Einsatz, wie sie in der Intervallarithmetik – etwa bei der Fehlerrechnung – angewandt werden.
Der Begriff „Abschätzung“ bedeutet in diesem Zusammenhang also keinen Verzicht an Zuverlässigkeit. Er hat mit dem gängigen Begriff des Schätzens nur insofern zu tun, als die Abschätzung von dem „abgeschätzten“ Wert abweichen kann – unter Umständen sogar sehr weit, solange es nur in die richtige Richtung erfolgt.
Verwendung
Das Finden einer Abschätzung kann für sich genommen schon interessant sein, es wird aber oft als Hilfsmittel zum Beweis von Ungleichungen benutzt. Man macht sich dabei die Transitivität der Größer-/ Kleiner-Beziehung zu Nutze.
Kennt man für A eine obere Abschätzung B, kann man den Beweis von auf den Beweis für zurückführen; auch kann man damit den Beweis von A < C auf den Beweis von B < C zurückführen. Entsprechend kann man A > C oder zeigen, wenn B eine untere Abschätzung für A ist, und B > C bzw. gezeigt werden kann.
Scheitert dieser Ansatz mit einem bestimmten B, ist dadurch die zu beweisende Ungleichung nicht widerlegt; möglicherweise braucht man nur eine strengere Abschätzung, weil die verwendete zu weit von A abweicht.
Beispiele
Beispiel 1. Im Prinzip ist jede zahlenmäßige „worst-case“-Angabe, wie sie auch im Alltag vorkommt, eine Art untere oder obere Abschätzung.
Abschätzungen sind beispielsweise die Grundlage für Divergenzbeweise mit dem Minorantenkriterium wie dem für mithilfe der Minorante . Anschaulich dargestellt überlegt man sich dabei Folgendes:
Es soll gezeigt werden, dass man mit einer Summe fortlaufender Stammbrüche jede beliebig große natürliche Zahl N durch Wahl eines geeigneten k übertreffen kann.
Dazu bildet man eine andere Summe B von Stammbrüchen, bei dem jedem Summanden in A mit dem Nenner i ein Summand mit der nächsten nicht kleineren Zweierpotenz entspricht. Da der Nenner in der neuen Summe gleich oder größer dem entsprechenden Nenner in der ursprünglichen ist, ist der Bruch gleich oder kleiner, und damit auch die gesamte Summe (gleich oder) kleiner. Sie ist eine untere Abschätzung von A.
Die Abschätzung ist nun aber so gewählt, dass man immer endliche Teilstücke der Reihe zu ½ zusammenfassen kann:
A B Zusammenfassung von Summanden usw. Wählt man k = 22N + 1, so hat man 2N + 1 solche Teilstücke; B summiert sich also auf . Somit ist A erst recht größer als N.
Beispiel 2. Für beliebige beschränkte und reellwertige funktionen f und g mit gleichem Definitionsbereich D gilt
- ,
d. h. der Abstand der Maxima zweier Funktionen kann immer nach oben abgeschätzt werden durch das Maximum des Abstands der Funktionswerte. Obwohl diese Abschätzung nicht unmittelbar einleuchtend sein muss, ist der Beweis sehr einfach. Bemerkenswert ist, dass an f und g außer der Beschränktheit (damit die Maxima angenommen werden) und dem gemeinsamen Definitionsbereich nichts weiter vorausgesetzt wird: gilt also z. B. für stetige Funktionen auf einem Kompaktum (die immer beschränkt sind), aber auch für unstetige Funktionen, etwa diskrete Funktionen, solange sie beschränkt sind.
Beweis. Setze und ; ferner sei o.B.d.A. (kann durch Umbenennung erreicht werden).
Sicher ist . Damit folgt
- .
Diese Abschätzung ist scharf (d. h. in gewissen Fällen tritt Gleichheit auf), wie das Beispiel
zeigt: Hier ist (Achtung: Dass eine Abschätzung scharf ist, bedeutet nicht, dass die Abschätzung so fein wie möglich ist; betrachte dazu das Beispiel und : beide Abschätzungen sind scharf, aber von unterschiedlicher Feinheit).
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