Präventive Gewinnabschöpfung

Präventive Gewinnabschöpfung

Die Präventive Gewinnabschöpfung (PräGe) dient der Abschöpfung offensichtlich deliktischer Gewinne mit präventiven Mitteln, um

  1. Eigentumsansprüche Berechtigter - einschließlich der von Personen, die rechtmäßig die tatsächliche Gewalt innehaben - über das Strafermittlungsverfahren hinaus zu wahren ("Eigentumsschutz", zum Beispiel § 26 Nr. 2 Nds. SOG) und/oder
  2. Sachen dem "kriminellen Kreislauf" zu entziehen.

Unter 2. fallen Gegenstände in Form von Hehlereidelikten; Bargeldbeträge in Bezug auf zum Beispiel Drogenhandel, illegalen Zigarettenhandel oder Enkeltrickbetrug ("Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr", zum Beispiel § 26 Nr. 1 Nds. SOG).

Der Erlös der sichergestellten Sachen (Gegenstände) bzw. das unmittelbar sichergestellte Bargeld fallen an den Fiskus (je nach Zuständigkeit Bund, Länder, Kommunen), sofern nach Ablauf der gesetzlichen Fristen keine Eigentümer oder sonst Berechtigte festgestellt werden können und/oder die Sachen zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr sichergestellt wurden.

Inhaltsverzeichnis

Ursprung und Implementierung

Die PräGe wurde 2003 zunächst für den Bereich der Stadt Osnabrück in Absprache zwischen der Staatsanwaltschaft Osnabrück, der Stadtverwaltung Osnabrück und der Polizeiinspektion Osnabrück-Stadt systematisiert. Auf der Grundlage eines Erlasses aus dem Jahr 2007 (vgl. Literatur) soll die PräGe im Land Niedersachsen flächendeckend eingeführt werden.

Vor praktischer Durchführung der PräGe sind insbesondere zu beachten:

  • Verfall, erweiterter Verfall und Einziehung (§§ 73 ff. StGB),
  • ausdrückliche Verzichtserklärung des letzten Gewahrsamsinhabers,

ggf. alternativ in Betracht zu ziehen:

  • Sicherheitsleistung gemäß § 7a Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG),
  • Gewinnabschöpfung durch Besteuerung.

Rechtsgrundlagen

Sicherstellung (zum Beispiel § 26 Nrn. 1, 2 Nds. SOG), Verwahrung (zum Beispiel § 27 Nds. SOG), Herausgabe bzw. Nichtherausgabe (zum Beispiel § 29 Nds. SOG) und ggf. Verwertung (zum Beispiel § 28 Nds. SOG) nach den Gefahrenabwehrgesetzen des Bundes (Bundespolizeigesetz, bedingt BKA-Gesetz) und der Länder (Sicherheits- und Ordnungsgesetze, Polizeigesetze, Polizeiaufgabengesetze usw.) vor strafprozessualer Herausgabe offensichtlich nicht rechtmäßig erlangter Sachen (Gegenstände, Bargeld) durch die Polizei- oder Verwaltungs- bzw. Ordnungsbehörden o.Ä.

Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) als Orientierung

Das BVerfG hat sich in seinem Beschluss - 2 BvR 564/95 - vom 14. Januar 2004 zu § 73d StGB ("Erweiterter Verfall ist mit dem Grundgesetz vereinbar") [1] mit präventiv-ordnenden Zielen, die auch für die PräGe als Orientierung dienen können, befasst und u.a. entschieden:

  • Der Gesetzgeber sieht in der Gewinnabschöpfung also nicht die Zufügung eines Übels, sondern die Beseitigung eines Vorteils, dessen Verbleib den Täter zu weiteren Taten verlocken könnte. ... (Absatz 65)
  • ... Der korrigierende Eingriff aber, mit dem der Staat auf eine deliktisch entstandene Vermögenslage reagiert, ist nicht notwendig repressiv. Auch das öffentliche Gefahrenabwehrrecht erlaubt hoheitliche Maßnahmen, um Störungen zu beseitigen. Gefahrenabwehr endet nicht dort, wo gegen eine Vorschrift verstoßen und hierdurch eine Störung der öffentlichen Sicherheit bewirkt wurde. Sie umfasst auch die Aufgabe, eine Fortdauer der Störung zu verhindern (...). (Absatz 68)

Verwaltungserichtliche Entscheidungen (2. Instanz)

  • Beschluss VGH Baden-Württemberg, Az. 1 S 1710/01, vom 20. Februar 2002; Vorinstanz: Urteil VG Karlsruhe, Az. 9 K 2018/99, vom 10. Mai 2001 (Sicherstellung von ca. 2 000 Gegenständen im geschätzten Gesamtwert von 250 000,00 DM),
  • Beschluss OVG Berlin, Az. OVG 1 N 13.00 / VG 1 A 173.98, vom 16. September 2002; Vorinstanz: Urteil VG Berlin, Az. VG 1 A 173.98, vom 2. Februar 2002 (Sicherstellung von 155 000,00 DM Bargeld),
  • Beschluss Nds. OVG (Lüneburg), Az. 11 PA 391/07 / 1 A 19/07, vom 14. Januar 2008; Vorinstanz: Beschluss VG Stade, Az. 1 A 19/07, vom 31. August 2007 (Sicherstellung einer großen Anzahl gleicher Gegenstände - Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe / PKH),
  • Beschluss Nds. OVG (Lüneburg), Az. 11 LA 133/08 / 1 A 19/07, vom 13. Mai 2008; Vorinstanz: Urteil VG Stade, Az. 1 A 19/07, vom 25. Februar 2008 (Sicherstellung einer großen Anzahl gleicher Gegenstände),
  • Urteil Nds. OVG (Lüneburg), Az. 11 LC 4/08, vom 2. Juli 2009 [2]; Vorinstanz: Urteil VG Osnabrück, Az. 4 A 149/06, vom 8. November 2007 (Sicherstellung von 27 280,00 Euro Bargeld),
  • Beschluss OVG NRW (Münster), Az. 5 A 298/09, vom 11. August 2010; Vorinstanz: Urteil VG Düsseldorf, Az. 18 K 4188/08, vom 10. Dezember 2008 (Sicherstellung von 11 140,00 Euro Bargeld; Revision wird nicht zugelassen),
  • Urteil Nds. OVG (Lüneburg), Az. 11 LB 401/09, vom 17. November 2009; Vorinstanz: Urteil VG Braunschweig, Az. 5 A 251/07, vom 29. Mai 2008 (Sicherstellung von 12.328,13 Euro Bargeld; Verdacht illegaler Waffengeschäfte),
  • Beschluss Nds. OVG (Lüneburg), Az. 11 LA 574/09, vom 29. September 2010; Vorinstanz: Urteil VG Stade, Az. 1 A 1504/08, vom 17. November 2009 (Sicherstellung eines Geldbetrages in Höhe von 27 000,00 Euro; Beschluss ist unanfechtbar),
  • Beschluss Bay. VGH, Az. 10 ZB 10.1707, vom 19. November 2010; Vorinstanz: Urteil Bay. VG Würzburg, Az. W 5 K 09.963, vom 2. Juni 2010 (Sicherstellung verschiedener Sachen),
  • Anstehende Entscheidung OVG Berlin-Brandenburg, Az. OVG 1 B 19.08; Vorinstanz: Urteil VG Berlin, Az. VG 1 A 137.06, vom 28. Februar 2008 (Sicherstellung von ca. 100 000,00 Euro Bargeld - "Polizei darf Geld zum Drogenkauf trotz Freispruchs im Strafverfahren sicherstellen") [3] Hinweis: In diesem Zusammenhang könnte der BVerfG-Beschluss, Az. 2 BvR 2225/08, vom 2. Juli 2009 von Bedeutung sein ("Beweismittel können auch nach rechtswidriger Wohnungsdurchsuchung verwertet werden"). [4]

Literatur

  • Präventive Gewinnabschöpfung; Hinweise zum Verfahren der Sicherstellung nach § 26 Nds. SOG vor strafprozessualer Herausgabe offensichtlich nicht rechtmäßig erlangter Sachen - Gem. RdErl. d. MI u. d. MJ v. 16. November 2007 - P 22.2-1201-26 - VORIS 21011 - Nds. MBl. 50/2007, S. 1515 ff. [5]
  • Barthel, Torsten F.: Präventive Gewinnabschöpfung als neue Aufgabe der kommunalen Ordnungsbehörden, in: KommJur 3/2009, S. 81 ff.
  • Hüls, Silke/Reichling, Tilman: Vermögensabschöpfung vor und nach dem Strafurteil - "Verzichtserklärungen" und die Instrumentalisierung des Gefahrenabwehrrechts, in: Strafverteidiger Forum (StraFo) 5/2009, S. 198 ff.
  • Hunsicker, Ernst: Präventive Gewinnabschöpfung (PräGe) in Theorie und Praxis - Sicherstellung, Verwahrung und Verwertung von Gegenständen und (Bar-)Geld aus Gründen der Gefahrenabwehr in Kooperation von Polizei, Staatsanwaltschaft und Kommune (Osnabrücker Modell), 3. überarb. & erw. Auflage, Verlag für Polizeiwissenschaft, Frankfurt/Main 2008, ISBN 978-3-935979-55-9
  • Hunsicker, Ernst: Präventive Gewinnabschöpfung (PräGe) - Entscheidungssammlung in Volltexten (Sammelband), 2. überarb. & erw. Auflage, GRIN Verlag, München/Ravensburg 2009, ISBN 978-3-638-92733-8
  • Hunsicker, Ernst: Verfassungsmäßigkeit der Präventiven Gewinnabschöpfung (PräGe) - Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit unter Einbindung der BVerfG-Entscheidung zum erweiterten Verfall (§ 73d StGB) und der einschlägigen Rechtsprechung (PräGe), GRIN Verlag, München/Ravensburg 2009, ISBN 978-3-64033137-6
  • Hunsicker, Ernst: Ländervergleich: Präventive Gewinnabschöpfung (PräGe) - Rechtsgrundlagen, Rechtsprechung, Entwicklung und Stand in Deutschland - Vergleichbare Rechtsgrundlagen in Österreich und in der Schweiz?, GRIN Verlag, München/Ravensburg 2009, ISBN 978-3-640-47339-7
  • Rohde, Thomas/Schäfer, Thomas: Präventive Gewinnabschöpfung - Sicherstellung nach Gefahrenabwehrrecht im Rahmen des Osnabrücker Modells, in: NdsVBl. 2/2010, S. 41 ff.
  • Thiee, Philipp: "Präventive Gewinnabschöpfung": Wenn Polizeibeamte Winkeladvokaten spielen, in: Strafverteidiger (StV) 2/2009, S. 102 ff.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rs20040114_2bvr056495.html
  2. http://www.dbovg.niedersachsen.de/Entscheidung.asp?Ind=05000200800000411%20LC%5B02%5D
  3. http://www.berlin.de/sen/justiz/gerichte/vg/presse/archiv/20080402.1000.97361.html
  4. http://www.bundesverfassungsgericht.de/pressemitteilungen/bvg09-085.html
  5. http://www.recht-niedersachsen.de/21011/p22,2,1201,26.htm
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